Brasiliens Staatsanwälte scherzten über Tod von Angehörigen Lulas
Chats geben Sarkasmus und Politisierung der Justiz wieder. Bundesregierung hält den Prozess gegen Politiker weiter für rechtsstaatlich
In Brasilien sind erneut Chatprotokolle von führenden staatlichen Juristen geleakt worden, die eine Voreingenommenheit der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten (2003-2011) Luiz Inácio Lula da Silva belegen. Die privaten Chats von Mitgliedern der staatsanwaltschaftlichen Arbeitsgruppe "Lava Jato" belegen, wie sich die Staatsanwälte in wenig professioneller Manier über mehrere Todesfälle in der Familie Lulas lustig machen.
Neben sarkastischen Kommentaren über den Tod seiner Ex-Ehefrau Marísa äußerten die Juristen dabei Zweifel an der Trauer da Silvas über den Tod seines Enkels. Auch versuchten sie eine Teilnahme des ehemaligen Präsidenten an der Beerdigung seines Bruders zu verhindern.
Die neuen Veröffentlichungen stammen von der Enthüllungsplattform The Intercept. Die Seite hatte vor einigen Wochen erst brisante Informationen über den amtierenden Justizminister Sérgio Moro veröffentlicht (Brasilien: Lula da Silva war offenbar nach Justizmanipulation inhaftiert worden). Moro hatte als Ermittlungsrichter Staatsanwälten von seinem Handy aus wiederholt Ratschläge, Kritik und Tipps zukommen lassen, um die Untersuchungen im Fall "Lava Jato" voranzutreiben.
Dabei handelt es sich um einen ausgedehnten Korruptionsskandal, in den staatliche und halbstaatliche Unternehmen sowie Politiker verwickelt sind. Lula da Silva wurde in diesem Zusammenhang 2016 angeklagt und 2017 von Moro selbst zu gut neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Dieses Strafmaß wurde später noch einmal auf gut zwölf Jahre erhöht. In Brasilien und international sind Prozess und Urteil massiv umstritten, weil gegen Lula keine belastbaren Beweise vorgelegt werden konnten. Nach seiner Wahl ernannte Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro Moro zu seinem Justizminister.
Nun veröffentlichten The Intercept Brasilien und die brasilianische Nachrichtenseite UOL weitere Nachrichten, die Staatsanwälte über den Messenger Telegram versendet haben. Der erste Austausch in der Gruppe erfolgte, nachdem die Ex-Frau von Lula da Silva im Januar 2017 einen Schlaganfall erlitt. "So schaffen sie die Zeugen beiseite", kommentierte einer von ihnen sarkastisch. Als Tage später der Tod von Marisa Letícia Lula da Silva bestätigt wurde - kommentiert die Staatsanwältin Laura Tessler in der Gruppe: "Wer an der nächsten Gerichtsverhandlung teilnimmt, sollte eine gehörige Dosis Geduld mitbringen." Es sei zu erwarten, dass Lula da Silva "sich als Opfer inszeniert".
Die Juristen tauschten sich über Telegram zudem über die Krankheit von Lula da Silvas Ex-Frau aus und sandten sich Zeitungsberichte über die letzten Jahre der Ehe zu. "Fehlt nur noch, dass sie behaupten, dass wir der Frau vor zehn Jahren ein Aneurysma in den Kopf implantiert haben", so Tessler.
In einem immer aggressiveren Ton kommentierten die Staatsanwälte die Trauer des Politikers nach dem Tod seines Bruders Ende Dezember 2018 und seines Enkels Arthur im ergangenen März. "Er wird darum bitten, zur Beerdigung gehen zu können. In diesem Fall wird es einen riesigen Tumult geben", spekuliert einer der Chat-Teilnehmer in Anerkennung der großen Unterstützung, die der linksgerichtete Politiker nach wie vor genießt. Andere sprechen sich dafür aus, Lula da Silvas Teilnahme an der Beerdigung seines Bruders zu erlauben. Dennoch konnte der ehemalige Präsident seinen Bruder nicht beerdigen, weil die Erlaubnis des Obersten Gerichtshofs Brasiliens zu spät kam. Danach schrieb Januario Paludo (auch Staatsanwalt): "Das Schlitzohr wollte ohnehin nur mal spazieren gehen."
Als sein siebenjähriger Enkel an Meningitis starb, wurde das Gespräch deutlicher. In diesem Fall konnte Lula an der Beerdigung teilnehmen. Die Kommentare dazu:
- "Ugh, mach dich bereit für so eine neue Schmierenkomödie bei der Totenwache." - "Und das mitten im Karneval", schreibt ein anderes Gruppenmitglied.
Später kommentieren die Staatsanwälte eine Nachricht, in der darüber berichtet wird, wie Lula da Silva im Gespräch mit einem Minister weinte. Dies sei eine "Strategie, sich menschlich zu präsentieren", heißt es in einer Nachricht. "Als ob das in seinem Fall überhaupt noch möglich wäre", so Staatsanwalt Roberson Pozzobon in dem Chat mit Staatsanwalt Deltan Dallagnol.
Lula da Silva verbüßt indes weiterhin eine zwölfjährige Haftstrafe, die viele Beobachter in Brasilien und im Ausland für politisch motiviert halten. In der Tat stellen die seit Mitte des Jahres bekanntgewordenen Chatprotokolle das Gerichtsverfahren in Frage. Einer der Richter des brasilianischen Bundesgerichtshofs, Gilmar Mendes, sagte dazu unlängst im Interview mit der britischen Nachrichtenagentur Reuters: "Wir schulden Lula einen fairen Prozess."
Anders denkt die deutsche Bundesregierung. Sie hatte das Verfahren gegen Lula trotz massiver Kritik von Beginn an verteidigt. "Nach Einschätzung der Bundesregierung gibt es keine Anhaltspunkte, das Verfahren gegen den ehemaligen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva als politisch motiviert oder rechtsstaatswidrig anzusehen", antwortete sie auf eine parlamentarische Anfrage.
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