Bravo, Frau Kanzlerin! Merkel löst Flächenbrand aus
Das deutsche Wahlkampfgeplänkel rund um die Griechenlandhilfen hat dazu geführt, dass Griechenland vor der Pleite und Portugal sowie nun auch Spanien vor ernsten Problemen stehen
Es ist eine Ironie der Weltgeschichte, dass epochale Ereignisse oft durch sehr banale Dinge ausgelöst werden. So könnte in zukünftigen Geschichtsbüchern stehen, dass der Funke, der den Flächenbrand auslöste, der zum Einsturz der Eurozone und später auch der Europäischen Union führte, dem wahlkampfstrategischen Geschacher in einem deutschen Bundesland entsprang.
Um nicht als zu großzügige Nachbarschaftshelferin dazustehen, spielt die deutsche Kanzlerin mit dem Feuer. Nun muss die deutsche Regierung – natürlich erst nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen – noch mehr Geld in die Hände nehmen, um einen Kollaps der Eurozone zu verhindern. Die Rechnung zahlt, wie stets, der Steuerzahler. Der Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen könnte so indirekt als der mit Abstand teuerste Wahlkampf aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Bravo, Frau Kanzlerin!
Selbsterfüllende Prophezeiung
Hätten EU und IWF die Entwicklung verhindern können, die dazu führte, dass Ratingagenturen und die Märkte einem Euroland den Todesstoß versetzen können? Sicher, man hätte Griechenland beispielsweise Überbrückungszahlungen zusichern können, die zumindest die Verpflichtungen der nächsten 18 Monate decken und dies an die Gründung eines europäischen Währungsfonds koppeln können, der nicht nur die längerfristigen Schulden der Griechen, sondern vor allem die Sicherheit der Staatsanleihen Portugals, Spaniens, Irlands und Italiens sicherstellt. Dies hat man verabsäumt. Stattdessen macht Angela Merkel – im Einklang mit dem SPD-Vorsitzenden Gabriel – die Spekulanten für den zu erwartenden griechischen Staatsbankrott verantwortlich. Das ist freilich grober Unfug, denn es sind nicht etwa Spekulanten, sondern Lebensversicherungen und Pensionsfonds, die nun griechische Papiere notgedrungen auf den Markt werfen müssen.
Nach welchen Mechanismen funktioniert eigentlich die Preisfindung bei Staatsanleihen? Wer sein Geld einem Staat leiht, geht damit auch immer ein Risiko ein. Dieses Risiko ist mal klein und mal groß – es hängt von der Wahrscheinlichkeit ab, mit der man sein Geld zurückbekommt. Wer dem deutschen Staat Geld leiht, ist auf der sicheren Seite – daher muss die Bundesregierung auch nur sehr geringe Risikoaufschläge zahlen. Wer dem griechischen Staat Geld leiht, verlangt – vollkommen zu Recht – einen höhere Risikoaufschlag. Da sich die Aufschläge direkt an der Liquidität eines Staates orientieren, ist es auch überhaupt nicht verwunderlich, dass der verlangte Risikoaufschlag für griechische Staatsanleihen steigt, wenn deutsche Politiker offen den deutschen Beitrag zum Rettungspaket in Frage stellen oder gar eine Umschuldung – was nur ein schöneres Wort für einen Staatsbankrott ist – fordern. Das alles hat nichts mit Spekulation oder halbseidenem Finanzglücksspiel zu tun, sondern ist Volkswirtschaft für Anfänger und sollte damit selbst den Damen und Herren Merkel, Gabriel und Westerwelle bekannt sein.
Die Renditen für griechische Staatsanleihen, die sich umgekehrt zum Kurs dieser Papiere verhalten, schossen erst in den Himmel, als "Madame Non" aus Rücksichtnahme vor ihrem Parteifreund Rüttgers lauthals ihre Zweifel über das Zustandekommen eines europäischen Rettungspaketes äußerte. Damit sorgte sie allerdings erst dafür, dass Griechenland seine Anleihen nicht mehr auf dem freien Markt veräußern kann. Ein einfaches Bekenntnis zur Solidarität hätte genügt, um das Ausfallrisiko zu begrenzen und damit den Risikoaufschlag in Bahnen zu lenken, die der griechischen Regierung immer noch die Option einer Kreditaufnahme über die Märkte bietet.
Angela Merkel hat Griechenland besten Wissens ins offene Messer laufen lassen und damit auch die Abstufung griechischer Papiere auf "Ramsch-Niveau" zu verantworten. Standard & Poors hat natürlich mit seiner Einschätzung vollkommen Recht – ohne die schriftliche Garantie der EU wird Griechenland seine ausstehenden Schulden nicht bedienen können - und es wird zumindest zu einem signifikanten Ausfall der Forderungen (einem sogenannten "Haircut") kommen. Ohne die wahlkampftaktische Verzögerung der deutschen Solidariätsbekundung wäre Griechenland somit auch das „Ramsch-Niveau“ erspart geblieben. Nun ist es jedoch bereits zu spät, der Funke hat nicht nur gezündet, er ist auch auf den nächsten Pleitekandidaten Portugal und auf Spanien übergesprungen. Bravo, Frau Kanzlerin!
Was will Angela Merkel eigentlich?
Die Linie der deutschen Regierung ist nicht nur chaotisch, sie ist auch in sich unlogisch und desaströs. Wenn Merkel wirklich den Euro retten und das Vertrauen der Märkte in Griechenland wiederherstellen will - wie sie stets bekundet - ist ihre Taktik im besten Falle kontraproduktiv. Das Vertrauen ist weg, der Euro steht unter Beschuss.
Um das Maß kommunikativer Inkompetenz vollzumachen, spekuliert man neuerdings sogar in den Reihen der Regierungskoalition über eine Umschuldung und eine Einbeziehung der Schuldner. Das ist zweifelsohne populär und kommt bei Bild-Zeitung und dem Wähler gut an, das Signal für die Märkte ist jedoch vernichtend. Wenn Deutschland ernsthaft einen Staatsbankrott der Griechen einkalkuliert, steigt dadurch nicht nur der Risikoaufschlag für Griechenland selbst, sondern auch für alle anderen angeschlagenen Staaten.
Die griechischen Schulden mögen ja für das Finanzsystem gerade eben noch zu schultern sein, wie aber sieht es aus, wenn zunächst Portugal, und dann auch Spanien, Italien und Irland so hohe Risikoaufschläge zahlen müssen, dass sie wohl oder übel auf die Hilfsbereitschaft von EU und IWF angewiesen sind? Griechenland hat gemäß der Zahlen der Weltbank 309 Milliarden Dollar Schulden – die PIIGS-Staaten zusammen weisen allerdings bereits 2,13 Billionen Dollar Schulden auf, ein Haircut von 25% würde demnach zu 532 Milliarden Dollar Abschreibungen bei Banken und Versicherungen führen. Das wäre Lehman 2.0, ohne weitere Staatshilfen würde dies das Finanzsystem nicht überleben. Kann das etwa ernsthaft eine Option für Frau Merkel sein?
Ein Fass ohne Boden
Sicherlich, ein Blankoscheck für Griechenland ist auch keine echte Option, schließlich taxieren Analysten den Gesamtbedarf für die nächsten drei Jahre auf 150 Milliarden Euro. Griechenland ist ein Fass ohne Boden, aber es soll nur niemand kommen und behaupten, die griechische Schuldenkrise wäre überraschend eingetreten und es hätte keine Möglichkeiten gegeben, sie zu verhindern. Dass Griechenland zu hohe Defizite hat und bei den Statistiken betrügt, ist bereits seit der Konvergenzphase zur Euro-Einführung ein offenes Geheimnis. Vor allem Deutschland profitierte aber jahrelang vom griechischen Schlendrian und hielt sich mit Kritik äußerst bedeckt. Seit Bekanntwerden der ersten Prognosen, welche Folgen die Finanzmarktkrise 2007/2008 auf die Realwirtschaft haben würde, war jedermann klar, dass die Zeitbombe in Griechenland – und nicht nur dort! – tickt. Wertvolle Zeit wurde verschenkt und nun steht die EU vor einem Desaster, gegen das Lehman ein Kindergeburtstag ist.
Eine Umschuldung mit einem Haircut von 25% würde nicht nur deutsche Banken und Versicherungen schwer schädigen, vor allem das griechische Bankensystem stünde vor dem Kollaps. Bei welchen Geldinstituten stehen griechische Banken in der Schuld und welche synthetischen Papiere haben Positionen, die damit in Verbindung stehen? Nicht auszudenken, welche Einschläge das Finanzsystem verkraften müsste, wenn nach Griechenland auch noch andere Wackelkandidaten fallen sollten. Allein das Bankensystem der PIIGS-Staaten hat Verbindlichkeiten im Werte von 8,6 Billionen Dollar beim Ausland.
Auch bei deutschen Banken und Versicherungen steht Griechenland mit einem signifikanten Betrag in der Kreide - 32 Milliarden Euro sollen es laut den Statistiken der Bank für internationalen Zahlungsausgleich sein. Ganz vorne auf der Liste stehen einmal wieder alte Bekannte – die Hypo Real Estate mit 7,9 Milliarden Euro, die Commerzbank mit etwa drei Milliarden Euro und auch die Landesbanken sind natürlich wieder einmal mit im Boot. Für die Verluste dieser staatlichen bzw. jüngst verstaatlichten Banken haftet natürlich der Staat – und damit der Steuerzahler – in voller Höhe. Nur Banken-Enfant-Terrible Joseph Ackermann hatte anscheinend wieder mal ein besseres Näschen – die Deutsche Bank sei, so ein Sprecher, nur "very limited" in Griechenland engagiert. Die sekundären Folgen eines Griechenland-Kollapses würden jedoch auch die Deutsche Bank "unlimited" treffen.
Doomsday
Weder der Blankoscheck, der letztlich vor allem die Banken auf Kosten der Steuerzahler bereichert (Deutsche Ökonomen und die Griechenlandkrise), noch eine Umschuldung ohne gleichzeitige Stützungsmaßnahmen für andere Staaten sind echte Optionen. Das Problem ist – auch dank tatkräftiger Unterstützung der deutschen Politik – mittlerweile so groß, dass es keine einfachen Lösungen mehr gibt. Nachdem nun auch Spanien in unruhige See gerät, reichen noch nicht einmal mehr die Gelder von IWF und EU aus, um den Märkten ein "business as usual" vorzugaukeln.
Ein möglicher Ausweg aus der Krise wäre vielleicht ein europäischer Währungsfonds, der die Refinanzierung von Staaten unter Auflagen vom Marktgeschehen entkoppelt. Eine solche Institution lässt sich natürlich nicht binnen weniger Wochen – und schon gar nicht während des Wahlkampfs in Nordrhein-Westfalen – auf die Beine stellen. Hätte man sich über solche Dinge bereits Gedanken gemacht, als es noch nicht zu spät war, wäre eine befriedigende Lösung noch möglich gewesen. Das wollte man allerdings nicht und dies ist ein wohl epochaler Fehler europäischer Politik. Am 19. Mai muss das Rettungspaket für Griechenland stehen, sonst muss Athen offiziell den Staatsbankrott erklären. Einen Tag später muss Portugal Anleihen im Wert von 5,6 Milliarden Euro refinanzieren. Sollte Berlin seine Taktik nicht schnell ändern, wird dieser Termin wohl als "Doomsday" in die Geschichte eingehen. Doch so weit wird es aller Voraussicht nach nicht kommen.
Natürlich wird die Bundesregierung kurz nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen ihre Schatullen öffnen, wie auch Finanzminister Schäuble schon klipp und klar feststellte. Natürlich wird das durch und durch sinnlose Taktieren die Rettungskosten massiv in die Höhe treiben. Natürlich geht es dann nicht nur um Griechenland, sondern auch um andere Staaten. Natürlich werden die Banken nicht an ihren eigenen Rettungskosten beteiligt werden. Natürlich wird es Ende Mai heißen, dieser Kraftaufwand sei alternativlos. Bravo, Frau Kanzlerin!