Berliner Schlingerkurs zur Griechenland-Hilfe

Nach harter Kritik am Kurs der Bundesregierung rudert Berlin zurück und will die Hilfe nun doch schnell gewähren, während die Rufe lauter werden, auch die Banken daran zu beteiligen

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Nachdem die Bundesregierung am Wochenende nicht nur auf die Bremse gestiegen war, sondern die Griechenland-Hilfe nach dem Antrag Athens auf Nothilfe sogar in Frage stellte, rudert Berlin nun zurück. "Dies ist eine Sache von Tagen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Nothilfe am Montag, nachdem Berlin den Rest der EU mit ihrem Schlingerkurs erneut gegen sich aufgebracht hatte. Zwischenzeitlich schießen die Zinsen für griechische Staatsanleihen auf neue Rekorde. Das Land musste schon am Montag mehr als dreimal so viel bezahlen wie Deutschland. Derweil sind aber auch die Kreditkosten für Portugal, Irland, Spanien und Italien gestiegen. Allerdings beginnt nun in Deutschland die Debatte, dass man auch die Profiteure – die Banken – in die Verantwortung nehmen sollte.

Die Wahlen in einem deutschen Bundesland werden wohl die teuersten in der Geschichte. Da die schwarz-gelbe Koalition befürchtet, die Wahlen in Nordrhein-Westfahlen zu verlieren, haben FDP und Union im Wahlkampf populistisch einen Bieterwettbewerb im Fall Griechenlands gestartet, der dem Land teuer zu stehen kommt. Begonnen damit hatten führende Politiker in der FDP. Weil die Partei vielleicht sogar befürchten muss, an der 5-Prozent-Hürde zu scheitern, legten einige Führungsmitglieder um den Obmann im Finanzausschuss Frank Schäffler vor dem Bundesparteitag am Wochenende den Griechen nahe, den Euroraum zu verlassen (Griechenlands Defizit ist nochmals gestiegen). Schäffler hatte sich auch schon zuvor mit der abstrusen Forderung hervorgetan, das Land solle seine Inseln zur Schuldentilgung verkaufen.

Doch in der Union wollte man nicht nachstehen. Der CSU-Landesgruppenchef im Deutschen Bundestag, Hans-Peter Friedrich, erklärte, Athen solle "ernsthaft erwägen, aus dem Euro-Raum auszutreten", weil Griechenland "nicht nur ein Liquiditäts-, sondern auch ein grundsätzliches Wachstums- und Strukturproblem" habe. Und dann kamen die Aussagen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vom Wochenende, denn auch er wollte im Griechenland-Spiel mitmachen und stellte die Hilfe wieder grundsätzlich in Frage: "Die Tatsache, dass weder die EU noch die Bundesregierung bisher eine Entscheidung getroffen haben, bedeutet: Sie kann positiv wie negativ ausfallen."

Ansteckungsgefahr

Kopfschütteln löste diese Debatte erneut in Europa aus. Österreich und Italien zeigten sich bestürzt über das Gezerre. Der österreichische Außenminister Ressortchef Michael Spindelegger erklärte mit Bezug auf das Hilfspaket. "Wir sollten hier keine Zeit verlieren, die grundsätzlichen Beschlüsse sind gefasst." Jede Verzögerung könnte schädlich sein, erklärte er diplomatisch. Sein italienischer Kollege Franco Frattini wurde schon deutlicher und kritisierte die "Starrheit Deutschlands". Er machte auf die Ansteckungsgefahr aufmerksam, die sich schon abzeichnet. "Ich meine, wenn Griechenland andere Länder ansteckt – Portugal wurde schon angesprochen –, heißt das, dass wir tatsächlich unser gemeinsames Haus retten müssen." Gerne wird im Rahmen der Krise auf Portugal verwiesen, doch hat Frattini tatsächlich mehr Angst ums eigene Haus. Inzwischen ist bekannt, dass Italien in Europa noch vor Griechenland Schuldnermeister ist, die Schulden Italiens machen 115,1 % der jährlichen Wirtschaftsleistung aus.

Steigen die Zinsen auf italienische Anleihen, ist angesichts eines Schuldenbergs von fast zwei Billionen Euro ganz schnell Schluss mit lustig und daher die große Sorge Frattinis. Er kritisiert die Haltung der Bundesregierung, "da Berlin der Angelpunkt der Wirtschafts- und Währungsordnung des Kontinents ist, droht seine Haltung jetzt das gemeinsame Boot zu versenken". Tatsächlich steigen inzwischen auch die Zinsen für italienische Staatsanleihen. Portugal sieht sich derweil schon heftigen Angriffen von Spekulanten ausgesetzt. Das hat nichts mit der realen Lage des Landes zu tun. Zwar wird Portugal gerne als Pleitestaat gehandelt, dabei liegt die Verschuldung mit 76,8 % zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur leicht über dem deutschen Anteil am BIP und Lissabons Sparpläne sind realistisch.

Doch kleine Volkswirtschaften sind für Spekulanten leichter angreifbar als große. Deshalb hatte man zunächst damit begonnen, Portugal in einem Atemzug mit Griechenland zu nennen . Nun geht man offensichtlich, nachdem der Boden bereitet ist, auch für Portugal in die zweite Phase über. Damit die "selbsterfüllende Prophezeiung" durch Wetten von Banken und Hedge-Fonds, wie die Washington Post zu den Wetten gegen Griechenland schrieb, auch in Portugal eintritt, müssen auch hier die Zinsen für Staatsanleihen in die Höhe gebracht werden.

So haben vielleicht einige Experten und die EU-Mitgliedsländer der Bundeskanzlerin klar gemacht, dass ihre Regierung besonders dafür verantwortlich ist, dass sich die gefährliche Spekulationsspirale immer schneller zu drehen beginnt. Der Berliner Hickhack um die griechische Nothilfe lässt die Zinsen für Griechenland auf immer neue Rekorde explodieren. Der CDU-Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen kommt den Griechen inzwischen sehr teuer zu stehen. Die Renditen für zweijährige Anleihen stiegen am Montag um 3 % und wurden schon für 13 % gehandelt. Griechenland muss damit mehr bieten als das krisengeschüttelte Pakistan und das ist durch nichts gerechtfertigt. Für zehnjährige Anleihen muss das Land schon fast 10 % Zinsen zahlen - mehr als dreimal so viel wie Deutschland.

Doch, wie schon angedeutet, trifft es längst nicht mehr allein Griechenland. Die Zinsen für Portugal steigen inzwischen auch schnell an. Die Rendite zweijähriger portugiesischer Staatsanleihen schoss am Montag um 0,7 Punkte auf 3,6 % hoch. Für zehnjährige Anleihen hat Portugal die Schwelle von 5 % mit 5,1 % nun überschritten, die als alarmierend gilt. Eine ähnliche Entwicklung ergibt sich für Irland, dessen Defizit 2009 noch heftiger als das der Griechen ausfiel und das weiter heftig für die Bankenrettung bluten muss ("Sie verdienen es, erschossen zu werden"). Die Zinsen für zehnjährige Anleihen stiegen auf 4,9 % und die für zweijährige haben sich am Montag fast so stark verteuert wie die Portugals und sind auf 2,8 % gestiegen.

Das ist der Stoff, aus dem die Träume der Spekulanten gemacht sind und das bringt sie dem Ziel näher. Stimmen, die vor einem Domino-Effekt in Europa waren, werden lauter. Für "auffällig verwundbar" hält der Harvard-Professor und frühere IWF-Chefökonom nun auch andere Euroländer. "Die Wahrscheinlichkeit, dass wir in den kommenden zwei bis drei Jahren ein IWF-Programm in mindestens einem anderen Euro-Staat brauchen, ist höher, als dass das nicht passiert", sagte Rogoff. Der IWF hat sich auf dieses Szenario ohnehin schon vorbereitet. Die Mittel für den IWF-Notfallfonds wurden kürzlich von 50 auf sage und schreibe 550 Milliarden Dollar aufgestockt. IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn verkauft das als einen wichtigen Beitrag für die Finanzstabilität. Man könnte daraus aber auch ableiten, dass viele Länder weltweit vor der Pleite stehen. Mit den 15 Milliarden Euro, die der IWF an Griechenland vergeben will, lässt sich diese riesige Summe jedenfalls nicht erklären.

Bundeskanzlerin muss den geordneten Rückzug antreten

Bundskanzlerin Merkel kündigte am Montag kurzfristig eine Erklärung zur Griechenland-Krise an. "Ich sage noch mal, das ist eine Sache von Tagen", erklärte die Bundeskanzlerin in Berlin zum Griechenland-Rettungspaket. Man werde die Schritte "sehr besonnen und sehr entschlossen gehen". Deutschland werde aber nur helfen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt seien, sagte sie, um das Gesicht zu wahren. Sie klammert sich an den Internationalen Währungsfonds (IWF), den sie mit allen Mitteln für das Rettungspaket ins Boot geholt hatte. Vor einer Entscheidung in Deutschland müssten die Gespräche zwischen dem IWF und der griechischen Regierung abgeschlossen werden. "Dies ist nicht nur die Sache eines Jahres, sondern der Internationale Währungsfonds verhandelt immer Programme, die über drei Jahre gehen", so die Kanzlerin - und das sei gut so.

Sie schickt den IWF vor, um weitere Sparprogramme von den Griechen zu fordern. "Wir brauchen eine positive Entwicklung in Griechenland, verbunden mit weiteren Sparanstrengungen." Doch die werden nur nötig, weil die hohen Zinsen die bisherigen Sparbemühungen schon wieder zunichte gemacht haben. Doch führt an der Nothilfe aus der Logik der Regierung kein Weg vorbei. Real handelt es sich vor allem um einen schlecht getarnten Banken-Bailout und auch der Zeitplan steht längst fest. Griechenland braucht spätestens am 19. Mai Geld, weil es sonst pleite ist. Bekommt es das nicht, hätte das gravierende Auswirkungen auf die Gläubiger der Hellenen und damit auch auf deutsche Banken (Deutsche Ökonomen und die Griechenlandkrise). Darunter ist auch die verstaatlichte Münchner Hypo Real Estate (HRE), die besonders stark exponiert ist.

Dass Merkel den "Euro als stabile Währung" erhalten will, ist eher vorgeschoben. Die deutsche Politik hat dem Euro schon schwer geschadet, was auch als Exporthilfe gerne mitgenommen wurde, weil sich deutsche Exporte verbilligt haben. Nun erklärte Merkel, nur mit einem tragfähigen Programm für Griechenland gebe es die Chance, insgesamt die Euro-Stabilität dauerhaft zu sichern. "Deutschland fühlt sich dieser Euro-Stabilität immens verpflichtet." Deshalb müsse Griechenland bereit sein, auch harte Maßnahmen zu akzeptieren - und zwar für mehrere Jahre. Dabei hat man in Spekulantenkreisen erst so richtig Lust darauf bekommen, die Wetten gegen einzelne Länder und damit gegen den Euro zu verstärken (Wetten gegen den Euro). Darauf kann die schwarz-gelbe Regierung mit ihrem Kurs stolz sein.

Die Banken sollen beteiligt werden

Doch inzwischen hat die Diskussion auch eine interessantere Wendung genommen. So betonte die stellvertretende Vorsitzende der Links-Fraktion, Gesine Lötzsch: "Es kann kein Rettungspaket geben, ohne dass die deutschen Banken und auch andere Banken mit in die Verantwortung genommen werden." Sie kreidete der Regierung an, dass sie nicht Griechenland retten wolle, sondern man den Spekulanten dabei geholfen habe, das Land "systematisch in den Staatsbankrott" zu treiben. Sie fragte deshalb auch nach dem Beitrag der Teilnehmer am Finanzmarkt zur Rettung und Stabilisierung.

Auch der SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast stimmen nun auf diesen Kurs ein. Auf der Facebook-Seite von Steinmeier ist zu lesen: "In der Griechenland-Frage wird es keine Zustimmung der SPD zu einem Gesetz geben, wenn private Banken nicht ebenfalls zur Hilfe herangezogen werden. Die Bundesregierung muss Vorschläge machen, wie Devisenspekulationen wenigstens in der Zukunft eingedämmt werden können." Auch Künast sagte, es könne nicht sein, dass der Staat alleine eingreife. Sie forderte, wie die Links-Fraktion, dass anders als beim Bankenrettungspaket in Deutschland die Entscheidungen diesmal nicht in Hinterzimmern getroffen werden dürften, sondern im Rahmen eines parlamentarischen Verfahrens. Sie signalisierte ein "positive Grundhaltung" zur Griechenland-Hilfe, machte aber auch deutlich, dass die Situation gezeigt habe, dass die Kontrollen in Europa nicht ausreichend sind.

Und diese Debatte ist inzwischen auch bei den Liberalen angekommen. So erklärte der FDP-Haushaltsexperte Jürgen Koppelin nun plötzlich, er könne nicht einsehen, dass den Banken die sich "fast vollgesogen haben mit Anleihen aus Griechenland" dabei geholfen wird, "dass sie einen ordentlichen Schnitt und Gewinne machen." Da reibt man sich erstaunt die Augen, welche Worte da plötzlich aus der FDP zu hören sind. "Das kann nicht sein auf Kosten der Steuerzahler aus der Eurozone, dass die Banken da plötzlich Riesenprofite machen und wir müssen alle zahlen und müssen Griechenland helfen." Deshalb müsse nun überlegt werden, wie die Banken eingebunden werden können. Koppelin äußert sogar Verständnis für das Land, das für seine Kredite nun sehr hohe Zinsen zahlen muss. "Das ist natürlich auch ein Problem für Griechenland." Von der Idee seines Kollegen Schäffler, Griechenland aus dem Euroraum zu werfen, will er sich aber trotzdem nicht distanzieren.

Die Diskussion beim Koalitionspartner FDP stößt der CDU besonders auf. Die Beteiligung von Banken dürfe keine grundsätzliche Bedingung für Finanzhilfen an Griechenland sein, meint Unions-Fraktionsvize Michael Meister (CDU). Während man für die Sorgen der Griechen nur wenig Verständnis bei der CDU aufbringt, sieht das bei Banken ganz anders aus. "Man muss aufpassen, dass man sich nicht auf Nebenkriegsschauplätze begibt", versucht Meister die Diskussion abzubügeln. "Die wichtigste Position ist die Stabilisierung der Euro-Währungsgemeinschaft", erklärt er nun, nachdem man der Währungsunion monatelang mit dem kleingeistigen Gezänk geschadet hat. Der CDU gefällt die Wendung, welche die Diskussion genommen hat, nicht. Denn die benennt auch Nutznießer der Spekulation. Sie rückt wieder einmal die in den Mittelpunkt, die für die gesamte Finanz- und Wirtschaftskrise eine gehörige Verantwortung haben. Das scheint zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten zu sein.