Griechenlands Defizit ist nochmals gestiegen

Trotz Rettungsplan steigen die Zinsen für das Land, womit der Notfall immer schneller näher kommt

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Nun ist es heraus. Wie nicht viel anders zu erwarten war, fiel das Haushaltsdefizit Griechenlands 2009 mit 13,6 % noch höher aus, als bisher prognostiziert worden war. Nach dem Wahlsieg hatten es die Sozialisten mit 12,7 % gegenüber den konservativen Vorgängern schon deutlich nach oben korrigiert. Nun wird die Regierung bald die Nothilfe der EU und des IWF beantragen. Die Verhandlungen haben am Mittwoch in Athen begonnen. Dass die Zinsen am Kapitalmarkt explodieren, dürfte den Vorgang noch beschleunigen, denn sie machen die Schulden unbezahlbar. Doch der Quersteller Deutschland scheint erneut zum Bremser zu werden. Wahlen in Nordrhein-Westfalen sind offenbar wichtiger als die Stabilität des Euroraums.

"Wir werden einen Beschluss fassen, wie auch immer der aussieht, und wir werden ihn bald fassen", erklärte der griechische Finanzminister Giorgos Papakonstantinou. Doch hinter diesen Worten dürfte sich tatsächlich nur verbergen, dass Athen die Nothilfe bald beantragen wird. Man versucht weiterhin den Schein zu wahren, als wäre das vielleicht gar nicht nötig. In griechischen Medien wird sogar schon darüber spekuliert, dass schon am Wochenende bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington die Hilfe angefordert werden könnte. Das darf bezweifelt werden. Vieles spricht dafür, dass man die Wahlen abwarten wird, die in verschiedenen Ländern anstehen. Neben Großbritannien, Polen und den Niederlanden steht auch der Stimmungstest für die Berliner Regierungskoalition am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen an.

Die Detail-Gespräche zwischen Athen, der EU und dem IWF für die Nothilfe sind schon angelaufen und der Zeitplan wurde bisher so gelegt, dass die Gespräche am 15. Mai mit einer gemeinsamen Erklärung abgeschlossen werden sollen. Und dieser Termin liegt nach den Wahlen, in denen zum Beispiel Merkels CDU Stimmenverluste befürchtet, wenn der Notfall zuvor ausgelöst werden würde. Es ist zu vermuten, dass man in Athen Rücksicht auf Bundeskanzlerin Angela Merkel nehmen wird, nachdem sie zwar spät, aber doch ihre Zustimmung zu einem Rettungsplan gegeben hat. Merkel hatte sich lange gegen ein Rettungspaket für Griechenland gesperrt und damit für großen Unmut in Europa gesorgt.

Angesichts der Wahlen darf davon ausgegangen werden, dass in Berlin alles getan wird, um den Notfall nicht vor dem 9. Mai deklarieren zu müssen. Helfen wird der Koalition aus Union und FDP das Vetorecht, dass sich Merkel für die Nothilfe gesichert. Wichtig ist für Griechenland vor allem, dass es am 19. Mai frisches Geld bekommt. Dann steht die Rückzahlung einer griechischen Staatsanleihe in der Höhe von 8,5 Milliarden Euro an. Zwar ist es theoretisch möglich, sich auch dieses Geld an den Kapitalmärkten zu besorgen, wie dies kürzlich gemacht wurde. Doch das könnte auch schief gehen, weil die im Mai benötigte Summe deutlich höher ist. Zudem würden am Kapitalmarkt deutlich höhere Zinsen fällig werden, als die im Notfallplan vereinbarten 5 %.

Wenn Griechenland also die Haushaltslage nicht für lange Zeit noch stärker belasten will, werden die Euroländer und der IWF noch vor dem 19. Mai angepumpt werden. Die Märkte prügeln das Land ohnehin mit aller Kraft in die Nothilfe. Schon am Mittwoch waren die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen auf über 8% geklettert und am Donnerstag näherten sie sich der Marke von 9 %. Damit müsste das Land etwa 6 % höhere Zinsen bezahlen als Deutschland. Doch damit nicht genug, die Renditen für zweijährige Staatsanleihen explodierten am Donnerstag regelrecht und stiegen sogar auf über 10 %. Das sind gut 2 % mehr als am Vortag. Nach Verabschiedung der Nothilfe waren die Renditen für diese Anleihen auf 6 % gesunken. Üblicherweise werden kurzfristige Anleihen deutlich niedriger verzinst als langfristige. Die sogenannte inverse Zinsstruktur zeigt, dass Anleger flüchten und für die Regierung geht die Möglichkeit verloren, bei der Refinanzierung von lange auf kurze Laufzeiten auszuweichen.

Italien ist für die Eurozone vermutlich viel gefährlicher als Griechenland

Der offizielle Grund für die neue Zinsexplosion neben den Spekulationen gegen das Land ist die Meldung der europäischen Statistikbehörde Eurostat, dass das Haushaltsdefizit in Griechenland sogar 13,6 % ausgemacht hat. Das sind 0,9 % mehr, als ohnehin angenommen wurde. Nach ihrem Wahlsieg hatten die Sozialisten an Brüssel als Prognose noch 12,7 % nachgemeldet. Die abgewählten Konservativen hatten sogar nur einen Bruchteil des realen Defizits gemeldet. Damit nicht genug, hat Eurostat diese Zahl noch mit einem Vorbehalt belegt. Wegen Unsicherheiten beim "Überschuss der Sozialversicherung" und "wegen der Klassifizierung von einigen öffentlichen Einrichtungen und der Erfassung von 'off-market' Swapgeschäften" wurde zudem noch ein Vorbehalt geäußert. Das Defizit könnte demnach um weitere 0,3 bis 0,5 % steigen.

Interessant an den Angaben von Eurostat sind aber vor zwei Daten, die gerne unbeachtet bleiben. Eurostat stellt klar, dass Italien weiterhin den Schuldenrekord hält. Das Land schiebt einen enormen Schuldenberg vor sich her, 115,8 % des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Griechenland (115,1 %) konnte sogar mit diesem riesigen Haushaltsdefizit nicht Italien an der Spitze ablösen. Aber kaum jemand spricht von Italien als Pleitekandidat und das Land erhält von den Ratingagenturen mit "A+" weiterhin eine gute Bonitätsnote, während Griechenland mit "BBB-" inzwischen an der Ramsch-Grenze angelangt ist. Die 300 Milliarden Euro, die Griechenland als Gesamtverschuldung aufweist, sind gegenüber den fast zwei Billionen Euro, die Italien an Schulden drückt, eher gering. Deshalb ist dieses Land eine viel größere Gefahr für die Währungsunion als Griechenland ("Italien ist größte Gefahr für den Euro").

Belgien ist danach das einzige Land, dass sich mit fast 97 % Schulden im Verhältnis zum BIP stark der Schwelle annähert, die als gefährlich angesehen wird. Mit fast 20% Abstand folgen Ungarn (78,3 %), Frankreich (77,6 %) und Portugal (76,8 %), das ja so gerne und zu Unrecht als Pleitekandidat gehandelt wird. Demnach müsste sich aber auch Deutschland schon fast solche Vorwürfe gefallen lassen. Denn Deutschland hinkt mit Deutschland 73,2 % nur leicht hinter Portugal her. Allerdings fiel das Berliner Haushaltsdefizit mit 3,3 % deutlich niedriger aus, als die 9,4 % in Lissabon.

Was allerdings auch auffällt ist das dramatische Defizit Irlands. Es fiel mit 14,3% noch deutlich höher aus als das in Griechenland. Es ist ebenfalls noch höher als ohnehin erwartet, ohne dass hier das große Geschrei angestimmt würde. Hier spielen die enormen Kosten für die Bankenrettung eine große Rolle, die scheinbar leichter zu verdauen sind. Die werden aber bekanntlich dafür sorgen, dass Irland trotz extremer Sparanstrengungen auch 2010 das Defizit nur kaum verringern kann. Einige würden wegen der Verluste gerne Banker erschießen (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32383/1.html). Allerdings hat Irland mit 64 % Staatsschulden im Verhältnis zum BIP noch etwas mehr Spielraum und liegt sogar noch hinter Großbritannien (68,1 %). Doch auch Großbritannien wird weiter zu den Spitzenpositionen aufschließen, denn es hatte 2009 ein Defizit von 11,5 %. Wegen fehlender Sparmaßnahmen – Wahlen stehen vor der Tür – wird es 2010 ebenfalls nicht viel tiefer ausfallen (Wer von Athen spricht, darf von London nicht schweigen).

In Deutschland unterliegt die Haltung zu Griechenland weiterhin den Wahlkampfstrategien

Obwohl absehbar war, dass es kaum bei dem bisher prognostizierten Defizit in Athen bleiben wird, kommen nun wieder die Kleingeister zum Vorschein, die den Rauswurf Griechenlands aus der Eurozonefordern. Auch im Regierungslager wird vor den Wahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland wieder mal diese Pauke getrommelt. Die DDP prescht populistisch vor. Der Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Finanzausschuss, Frank Schäffler erklärte, Griechenland müsse seine Sparanstrengungen "erheblich" verstärken. Doch das ist, wenn man es vernünftig betrachtet, sehr schwierig und wird eine wirtschaftliche Erholung erschweren.

Das Land versichert aber weiterhin, seine ambitionierten Ziele, das Defizit um 4 % zu senken, erreichen zu wollen. Im Ministerrat schloss Ministerpräsident Giorgos Papandreou trotz des harten Widerstands und der Streiks im Land nicht aus, dass weitere Sparpakete aufgelegt werden könnten: "Unsere historische Verantwortung ist, jeden notwendigen Beschluss zu treffen, der die Griechen vor Schlimmerem bewahrt", sagte er. Schäffler erklärte schon mal vorsorglich: "Wenn Griechenland diese Sparanstrengungen nicht durchsetzen kann, muss es aus der Euro-Zone freiwillig austreten."

Doch auch im Parlament geht nun das Gezerre auf den Regierungsbänken so richtig los, da angesichts der momentanen Entwicklung nicht ausgeschlossen werden kann, dass Griechenland noch vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen die Reißleine ziehen muss. Während andere sich auf die Nothilfe vorbereiten, tritt man im Regierungslager erneut auf die Bremse. Die spanische Regierung rechnet dagegen ihrer Bevölkerung vor, dass diese wenig solidarische Nothilfe für die Helfer sogar ein gutes Geschäft ist. Die letzten dreijährigen Anleihen hatte Madrid mit einem Zinssatz von 2% platziert, weshalb bei einem Kredit von knapp 3,8 Milliarden jährlich einen Zinsgewinn von 110 Millionen erzielt würden. Von einer Subvention an Griechenland kann bei dem Zinssatz von 5 % nicht gesprochen werden.

Aber in Deutschland rechnet man, besonders vor Wahlen, natürlich anders. Es wird weiter so getan, als würde man "faulen Griechen" das Geld schenken. Die Unionsparteien lassen dabei sogar ihren Finanzminister im Regen stehen, denn auch Wolfgang Schäuble (CDU) wollte es ermöglichen, dass im Bundestag schnell die 8,4 Milliarden Euro bereitgestellt werden, mit denen die Bundesrepublik an der Nothilfe beteiligt ist. Schäuble wollte die Regelung an das Gesetz zur Abschaffung des Finanzplanungsrates anhängen und damit die Verabschiedung beschleunigen. Doch sowohl die FDP und der Unions-Fraktionsvorstand wollen das nicht zulassen.

Mit einem Beschluss ist deshalb erst in einigen Wochen zu rechnen, egal ob Griechenland das Geld schon früher braucht. Dass die Folgen einer Zahlungsfähigkeit unabsehbar wären, und die Stabilität des Euro in Frage gestellt würde, wie sogar Schäuble argumentiert, ist vielen in der Regierung ganz offensichtlich egal. So merkt inzwischen sogar die Financial Times Deutschland in einem Editorial an, dass es "nur noch peinlich" sei, dass nach der Zustimmung von Merkel nun versucht wird, "die Umsetzung dieses Beschlusses infrage zu stellen."