Brexit: May plant Verschieben des Termins
Die britische Premierministerin hat nach einer siebenstündigen Kabinettssitzung Gespräche mit Oppositionsführer Corbyn angekündigt
Im Regelfall werden für Kabinettssitzungen in Großbritannien etwa eineinhalb Stunden angesetzt. Gestern gab es einen Ausnahmefall mit sieben Stunden Sitzung. Danach verkündete Premierministerin Theresa May, sie werde nun das Gespräch mit Labour-Chef Jeremy Corbyn suchen. Der könnte als Gegenleistung für eine Zustimmung seiner Partei die vorgezogenen Neuwahlen verlangen, die er bereits im Parlament immer wieder forderte.
Außerdem gab May bekannt, sie wolle in Brüssel auf ein Verschieben des Austrittstermins auf ein Datum zwischen dem 12. April und den 22. Mai hinwirken. Dass die Premierministerin das Austrittsdatum nicht über den 22. Mai hinausschieben möchte, liegt daran, dass sie sonst gedrängt wäre, das Vereinigte Königreich am 23. Mai an den Europawahlen teilnehmen zu lassen. Einer neuen ComRes-Umfrage für Leave Means Leave zufolge müsste ihre Partei dabei ein eher schlechtes Abschneiden bei Brexit-Befürwortern befürchten, die zu 92 Prozent unzufrieden damit sind, wie die britische Politik mit dem Ergebnis der Volksabstimmung von 2016 umgeht.
Kabinett gespalten
Dass gestern nicht alle Kabinettsmitglieder die gesamten sieben Stunden anwesend waren, hing womöglich nicht nur mit ihren Ressorts, sondern auch mit unterschiedlichen Meinungen zum weiteren Vorgehen beim EU-Ausstieg zusammen. Den Informationen der Londoner Times nach haben mindestens sechs Minister mit Rücktritt gedroht, wenn es zu einem No-Deal-Brexit kommen sollte - und ein anderer Teil der Kabinettsmitglieder will aussteigen, wenn May den Ausstiegstermin mehr als einige Wochen hinausschiebt.
Einen Hinweis darauf, dass diese Informationen zutreffend sein könnten, hatte Julian Smith, die "Chief Whip" der Konservativen, geliefert: In einer überraschenden Äußerung beklagte er nicht etwa die unter seinen Aufgabenbereich fallende "mangelnde Disziplin" in der Fraktion, sondern die im Kabinett.
Eindeutig zu den No-Deal-Gegnern gehört Kabinettssekretär Mark Sedwill, der vor der Kabinettssitzung vor der "schlimmsten Rezession" seit der Weltfinanzkrise 2008 warnte, die dem Vereinigten Königreich seinen Befürchtungen nach bei einem Verlassen der EU zu WTO-Konditionen droht. Er und Damian Hinds setzen auf eine vierte Vorlage des von Theresa May ausgehandelten Ausstiegsabkommens, das den Worten des Bildungsminister nach "immer noch die mit Abstand beste Option" ist (vgl. Brexit-Deal: Vierter Versuch?).
Auf so eine Annahme im vierten Anlauf hofft seinen eigenen Angaben nach auch der EU-Chefunterhändler Michel Barnier, der gestern verlautbarte, ein "No-Deal-Szenario" sei nach Mays dritter Abstimmungsniederlage zwar "wahrscheinlicher geworden", könne aber "noch verhindert" werden. Die Annahme des Deals ist seinen Worten nach der "einzige" Weg, "wenn Großbritannien die EU immer noch auf geordnete Art und Weise verlassen will". Damit erteilte er jenen Abgeordneten eine Absage, die auf eine Mehrheit für einen der nicht von der Regierung eingebrachten Alternativpläne hoffen.
Zollunion ohne Binnenmarktverbleib nur knapp abgelehnt
Am Montag hatte Parlamentspräsident John Bercow erneut über vier der Vorschläge abstimmen lassen, die am letzten Mittwoch abgewiesen worden waren. Eine Mehrheit für einen dieser Vorschläge kam auch bei der zweiten Vorlage nicht zustande - aber der Plan eines Abschieds aus dem Binnenmarkt bei gleichzeitiger Zollunion mit der EU wurde nur mit einer sehr knappen Mehrheit von 276 zu 273 Stimmen abgelehnt. Eine Zollunion würde Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland überflüssig machen, hätte aber zur Folge, dass das Vereinigte Königreich Handelsabkommen nicht mehr frei verhandeln kann.
Die Führer der Labour Party und der Scottish National Party (SNP) hatten auf die Annahme des mit größerer Mehrheit abgelehnten Norwegen-Plus-Plans gehofft, der vorsah, dass das Vereinigte Königreich über eine Mitgliedschaft in der European Free Trade Association (EFTA) und der European Economic Area (EEA) im EU-Binnenmarkt verbleibt. Die EFTA-Länder haben einen eigenen Gerichtshof, der sich an der Rechtsprechung des EuGH orientiert, aber keine bindenden Urteile sprechen kann. Außerdem können sie den Zuzug von Bürgern aus anderen EU-Ländern einschränken, was beispielsweise Liechtenstein machte. Dieser Plan wurde mit 282 zu 261 Stimmen verworfen. Etwas besser kam der Vorstoß an, das britische Volk direkt über Theresa Mays Ausstiegsplan entscheiden zu lassen: Hier stimmten 280 Abgeordnete dafür, aber 292 dagegen.
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