Brexit: Taktische Verbannung des Plan B
Die EU-27 sind einstimmig für das Austrittsabkommen. Was aber ist, wenn das britische Parlament die "bestmögliche Vereinbarung" ablehnt?
EU-Ratspräsident Donald Tusk teilte am heutigen Sonntagvormittag mit, dass die Staats- und Regierungschef der verbleibenden 27-Eu-Staaten das "Rückzugsabkommen und die politischen Erklärungen über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien unterstützen".
Zuvor waren noch Hindernisse mit Spanien aufgetreten (vgl. Spanien droht wegen Gibraltar-Frage mit Veto) und die Notiz des Guardian, wonach die EU-27-Teilnehmer des Sondergipfels noch "Absichtserklärungen" zu den Fischerrechten europäischer Fangflotten in britischen Gewässern abgegeben haben, verweist darauf, dass längst nicht alles geklärt ist.
Ein wichtiger, aber nicht enstcheidender Schritt
Ohnehin ist der heute erzielte Rückhalt der EU-27-Chefs nur ein zwar wichtiger, aber nicht entscheidender Schritt. Die Einigung ist kein Glanzstück, das guten Beziehungen den Weg ebnet. Eric Bonse, der auch für Telepolis darüber geschrieben hat, wie sich die EU auf ganzer Linie durchgesetzt hat legt den Finger auf den wunden Punkt: Die britische Premierministerin May hat noch einen schweren Akt vor sich, mit dem ihr politisches Überleben verbunden ist. Das hängt daran, ob das Papier im UK angenommen wird.
Die EU habe einen harten Kurs gefahren und rote Linie aufgezeigt, aber keine guten Perspektiven aufgezeigt, so seine prägnante Analyse zur Brexit-Vereinbarung:
Der Entwurf für einen "Zukunftspakt" enthält zwar viele schöne Worte. Und der Austrittsvertrag könnte den "Worst Case" verhindern - einen ungeordneten Brexit mit riesigen ökonomischen und sozialen Verwerfungen. (…)
Doch Brüssel entlässt London nicht etwa in die ersehnte Freiheit, sondern in ein dubioses Zwischenreich. In der Übergangsphase nach dem Brexit, die bis 2022 dauern könnte, muss London alle EU-Regeln einhalten und seine Beiträge zahlen, ohne in Brüssel mitreden zu dürfen. Selbst danach bleibt das Land an die EU gebunden.
Eric Bonse
Es gibt nur den "bestmöglichen Deal"
Die Formel, die heute überall herumschwirrt und auch von May fortwährend eingesetzt wird, lautet dennoch "bestmöglicher Deal". Kommisionschef Juncker setzte dem noch eins drauf: "Wer ihn ablehnt, wird Sekunden später enttäuscht sein." Er betonte, das sei "der einzig mögliche Vertrag, der beste Deal für Großbritannien, der beste für die EU".
Das heißt nichts anderes als "Ihr habt das Abkommen anzunehmen". Juncker versucht es auf die bewährte Härte der "ultimativen EU-Methode". Wenn die britischen Abgeordneten im Unterhaus das nicht so sehen, wird es schwierig, sehr schwierig, wirklich darauf vorbereiten will sich keiner der am Zustandekommen des dicken Konvoluts Beteiligten.
Zwar hat Premierministerin May die Unterstützung britischer Unternehmenschefs, wie Christian Bunke kürzlich hier schilderte (in seinem Artikel werden auch die wichtigsten und strittigen Inhalte der Vereinbarung vorgestellt), aber im Unterhaus, wo die Vereinbarung abgesegnet werden muss, ist "keine Mehrheit in Sicht".
Angesetzt ist die Parlaments-Entscheidung für den Dezember, laut Guardian wahrscheinlich für den 10 oder 11. des Monats, dem würden "wahrscheinlich über 30 Stunden an Debatten über das zutiefst geteilte Unterhaus verteilt auf mehrere Tage vorausgehen".
Fragen nach Plan B
Die von der Aussicht auf eine fehlende Mehrheit und dem Diktum der EU ("Nehmt diesen Vertrag oder keinen") bedrängte Theresa May blieb in ihrer Pressekonferenz nur eine verzweifelte Offensive mit einer großen Leerstelle. Abgeordnete, welche die Brexit-Vereinbarung ablehnen würden "Spaltung und Unsicherheit schaffen", zitiert sie der Guardian.
Zugleich verwehrte sie sich laut der britischen Zeitung gegen jede Spekulation darüber, was passieren wird, wenn genau das eintritt, was als wahrscheinlich gilt: Dass die Mehrheit der Unterhausabgeordneten eben doch ablehnt. Sie blieb fixiert auf dem Standpunkt, dass es die beste Vereinbarung ist, die Großbritannien mit der EU erreichen könne und dass es laut der EU-Verhandlungspartner keine weiteren Verhandlungen geben werde: "the only deal possible".
"Es gibt nur diesen Deal", betonte sie und verwies auf Junker und Regierungschefs aus EU-Staaten, die ihr dies erklärt hätten.
Wenn die Leute jetzt irgendwie denken, dass es noch andere Verhandlungen geben muss - das ist nicht der Fall. So lautet die Vereinbarung. Sie ist das Ergebnis harter, langwieriger und schwieriger Verhandlungen.
Theresa May
Aber, und an dieser Stelle wird es interessant, May schloss bei ihrer Pressekonferenz nicht aus, dass die Dinge nach einer Abstimmungsniederlage anders liegen könnten und sie dann nach Brüssel fahren würde, "um Konzessionen zu erhalten". Allerdings formulierte der Guardian, wie das Medien manchmal so machen, hier eine Frage zur Antwort um. Im Original lautete sie: "Es muss einen Plan B geben. Können sie ausschließen, dass sie in drei Wochen nach Brüssel fahren und mehr verlangen?"
Mays Antwort bestand aus einem Verweis auf die Aussagen Junckers, wie auf dem Live-Blog zur Pressekonferenz zu lesen ist: "Wir hörten bereits, was die führenden Politiker der EU sagten. Junkcer sagte, dies ist der einzig mögliche Deal."
May will sich über das Thema Plan B nicht verbreiten und bleibt in den Grenzen, die ihr von der EU vorgeben sind, um allen Schwierigkeiten zum Trotz für eine Mehrheit im Parlament zu werben. Sie lehnte auch Stellungnahmen dazu ab, was laut britischen Medienberichten von Ministern im Kabinett diskutiert wird - eine Regelung nach der Art, wie sie Norwegen mit der EU hat. May ignorierte stets den Teil von Frage, wo von einem "alternativen Plan" die Rede war, so der Zeitungsbericht. Sie sagte auch nichts darüber, ob sie nach einer Ablehnung der Brexit-Vereinbarung zurücktreten würde.
"Wir sollten nicht spekulieren"
Und die EU? Dort will man öffentlich den größtmöglichen Druck auf Großbritannien aufrechterhalten. Tusk ließ bei seiner Pressekonferenz offen, was nach einer Ablehnung passiere. "Wir sollten nicht spekulieren", zitiert ihn die FAZ. Dort heißt es außerdem: "'Wir haben den bestmöglichen Kompromiss gefunden'", sagte Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel am Sonntag in Brüssel. Die Stimmung sei positiv."