Spanien droht wegen Gibraltar-Frage mit Veto
Großbritannien und die EU haben sich offenbar grundsätzlich geeinigt, doch das Brexit-Abkommen könnte wegen des umstrittenen Status der Kronkolonie an Spanien scheitern
Gibraltar ist für Spanien wie der Hase für den Zauberer, der immer dann aus dem Hut gezaubert wird, wenn es von innenpolitischen Problemenabzulenken gilt. Angesichts der Tatsache, dass nun der schwer angeschlagene spanische Regierungschef Pedro Sánchez damit droht, sein Veto gegen das Brexit-Abkommen einzulegen, kann auch das in die Kategorie Zauberstückchen aus Madrid eingeordnet werden.
Der Sozialdemokrat erklärte, es sei nicht vorstellbar, dass die Zukunft Gibraltars von Verhandlungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union abhängig sei. Seine Position hat Sánchez auch nach einem Telefongespräch mit der britischen Regierungschefin Theresa May am Mittwochabend bekräftigt.
So wie das Abkommen bisher ausgehandelt sei, "wird die die Kapazität Spaniens, über die Zukunft Gibraltars zu verhandeln, in Frage gestellt". Damit bekräftigt der Sozialdemokrat die nationalistischen Ansprüche auf den "Affenfelsen" an der Meerenge erneut. Dabei wollen die Bewohner Gibraltars nachweislich von spanischen Ansprüchen nichts wissen.
99% der Bevölkerung gegen eine geteilte Souveränität
Bei einem Referendum, das eine Beteiligung von fast 90% hatte, sprachen sich knapp 99% der Bevölkerung sogar gegen eine geteilte Souveränität Großbritanniens und Spaniens über Gibraltar aus. Wie üblich erkennen die spanischen Unionisten - wie im Fall Katalonien - solcherlei Abstimmungen der Bevölkerung nicht an. Dabei könnte das Votum im Fall Gibraltar klarer nicht sein.
Und nun droht Sánchez also damit, ein Brexit-Abkommen scheitern zu lassen. May hat ihm gegenüber ihre Haltung bekräftigt, es werde nur ein Abkommen geben, dass das gesamte Vereinigte Königreich umfasse, einschließlich der Enklave Gibraltar. Sánchez meint, gegen alle Realitäten, allerdings: "Gibraltar ist nicht Teil des Vereinigten Königreiches."
Tatsächlich aber steht Gibraltar seit mehr als 300 Jahren unter der Souveränität des Vereinigten Königreichs und Spanien hat das Gebiet im Friedensvertrag von Utrecht 1713 offiziell abgetreten.
Man darf nun gespannt sein, ob sich Sánchez tatsächlich traut, ein Abkommen zu blockieren, womit ein harter Brexit provoziert werden könnte, was ihm und Spanien in Europa viele neue Kritiker einbringen würde.
Brexit: Einigung auf der Ebene der Unterhändler
Aber das ist unwahrscheinlich und das "Stehaufmännchen" ist ohnehin für seine radikalen Schwenks bekannt. Zudem ist er noch weiter unter Druck geraten, da inzwischen aus Brüssel gemeldet wird, dass es auf der Ebene der Unterhändler eine Einigung über die zukünftigen Beziehungen zwischen EU und Großbritannien ausgehandelt worden sei.
Kommissionspräsident Jean Claude Juncker soll heute einen entsprechenden Brief an Ratspräsident Donald Tusk geschrieben haben, wie ein Kommissionssprecher in Brüssel mitgeteilt hat. Tusk hat das inzwischen bestätigt.
Details wurden bisher keine bekannt, aber klar ist, dass die Gibraltar-Frage weiter offen bleibt. Erklärt wird, dass die EU und Großbritannien enge Partnerschaften in vielen Bereichen anstreben. Die Handelsbeziehungen und der Austausch von Gütern soll so eng wie möglich sein, wird aus gut unterrichteten Kreisen gemeldet. Es solle "eine ambitionierte und weitreichende wirtschaftliche Partnerschaft entwickelt" werden, wird aus dem Entwurf des Abkommens zitiert.
Treffen May, Sánchez und Juncker
Es sieht danach aus, dass es vor dem Brexit-Gipfel am Sonntag noch zu einem trilateralen Treffen zwischen May, Sánchez und Juncker kommen wird. Der Termin dürfte der Samstag sein, denn May hat schon angekündigt, einen Tag vorher nach Brüssel reisen zu wollen. Sie ist von der spanischen Regierung nun wieder in eine gute Position gebracht worden.
Denn die spanischen Drohungen ermöglichen es gegen ihre internen Kritiker, das bisherige Paket noch einmal aufzuschnüren. Schließlich fordert das nun eines der großen EU-Länder. Bisher hatte Brüssel Nachverhandlungen ausdrücklich abgelehnt.
"Für Nachverhandlungen gibt es keinen Spielraum. Die Europäer haben die Grenze des Machbaren erreicht", hatte zum Beispiel der CDU-Politiker Elmar Brok getönt. Die Unkenrufe, dass May nur Chaos erzeugt und ihr Rücktritt bevorstehen dürfte, haben sich vermutlich erneut als falsch herausgestellt.
Ob sich dagegen ein extrem schwacher Sánchez leisten kann, den Deal zu blockieren, ist mehr als unwahrscheinlich. Wie lange er noch im Amt ist, ist ohnehin fraglich, da er seit einem halben Jahr eine sehr schwache Minderheitsregierung führt. Zudem ist er unfähig, einen eigenen Haushalt durch das Parlament zu bringen, weil er den Katalanen nicht entgegenkommt, die ihm dabei geholfen hatten, an die Macht zu kommen.
Vorgezogene Neuwahlen in Spanien am Horizont
Da kommt, neben den verschiedenen Justizskandalen, die in den letzten Tagen massiv aufgebrochen sind, die Gibraltar-Frage gerade recht, um von dem Desaster im Land abzulenken. Inzwischen dementiert auch Sánchez nicht mehr, dass es am 26. Mai mit den Europaparlamentswahlen zum Super-Wahltag in Spanien kommen könnte, an dem außerdem Kommunalwahlen und in einigen Regionen Regionalparlamentswahlen abgehalten werden.
Zuvor hatte der Regierungschef stets bekräftigt, zur Not den Haushalt der konservativen Vorgänger zu verlängern, um die Legislaturperiode auszuschöpfen. Inzwischen spricht er aber von dem "gesundem Menschenverstand", vorgezogene Neuwahlen in Erwägung zu ziehen.
Die fordert der linke Partner Podemos ("Wir können es") ohnehin. Podemos bereitet sich längst auf Neuwahlen vor und vermutet, dass diese sogar noch vor dem Wahltermin im Mai stattfinden könnten. So dürfte das ganze Gibraltar-Getöse schon als Wahlkampfspektakel zu sehen sein.