Brexit: Unterhaus stimmt für Terminverschiebung
May will dem Parlament ihren Deal nächste Woche noch einmal vorlegen und mit der Drohung eines Verbleibs in der EU über den 30. Juni hinaus Abgeordnete dazu bewegen, ihm zuzustimmen
Gestern Abend stimmte das britische Unterhaus mit 412 zu 202 Stimmen dafür, dass die britische Regierung bei der EU beantragt, den Austrittstermin zu verschieben. May will das machen, aber vorher ihren mit Jean-Claude Juncker ausgehandelten und im Parlament zwei Mal abgelehnten Brexit-Deal mit Backstop ein drittes Mal vorlegen. Erreicht er dann eine Mehrheit, will sie den Austrittstermin auf den 30. Juni 2019 verschieben. Erreicht er keine Mehrheit, droht sie mit einem Antrag für einen Aufschub über den 30. Juni hinaus. Das, so May, wäre dann zwar nicht ihr Wunschergebnis, aber das Unterhaus müsse sich "den Konsequenzen seiner Entscheidungen stellen".
Ein Antrag, dass der Austrittstermin nicht länger als bis zum Juni verschoben werden darf, wurde gestern knapp mit 314 zu 311 Stimmen abgelehnt. Einen weiteren Antrag, der vorsah, May ein drittes Vorlegen ihres Deals zu verbieten, zog der walisische Labour-Abgeordnete Christopher Bryant wieder zurück.
Das Verschieben des Austrittstermins über den 30. Juni hinaus ist nicht nur für die "Brexiteers" unter den Abgeordneten eine Drohung (die sich möglichst schnell einen Ausstieg herbeisehnen), sondern auch für andere Abgeordnete. Auch für solche aus Oppositionsparteien. Bei so einem Aufschub müsste Großbritannien nämlich am 23. Mai an der Europawahl teilnehmen - und das Ergebnis dieser Wahlteilnahme könnte sowohl für die Tories als auch für die Labour Party und die schottischen Separatisten von der SNP ernüchternd ausfallen, wenn viele Wähler für Nigel Farages neue Brexit Party (der sich bereits in den ersten Tagen nach ihrer Gründung über 100.000 Briten anschlossen) oder die aus abtrünnigen Labour- und Tory-Abgeordneten bestehende GIMP-Gruppe stimmen (vgl. Drei Tory-Abgeordnete schließen sich Labour-Abspaltung an). Diese beiden Gruppierungen hätten dann eine Basis, auf der sie bei Wahlen für das Westminster-Parlament Abgeordneten der Altparteien Sitze streitig machen könnten.
EU-Politiker spekulieren auf zweites Referendum
Theoretisch könnten die EU-Mitgliedsländer Mays Antrag für eine Verschiebung des Austrittstermins ablehnen. Dass das praktisch nicht zu erwarten ist, machte gestern unter anderem der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk deutlich, als er twitterte, er werde bei den Staats- und Regierungschefs der anderen 27 EU-Mitgliedsländer für ein längeres Hinausschieben des Austrittstermins werben, wenn das Vereinigte Königreich das für nötig halte, um "seine Brexit-Strategie zu überdenken" und zu einem Konsens zu finden. Der wahrscheinlich nächste EU-Kommissionschef Manfred Weber und andere EU-Politiker hoffen öffentlich, dass so ein "Überdenken" mit einem neuen Referendum verbunden sein wird.
Unter den Parteien im Westminster-Unterhaus fordern das bislang vor allem die GIMPs und die SNP. Die Labour Party schließt diese Option nach der Verschlechterung der Umfragewerte zwar nicht mehr aus (vgl. Brexit: Austrittsterminverschiebung und/oder zweites Referendum?), wollte gestern aber auch nicht für den von der GIMP-Abgeordneten Sarah Wollaston eingebrachten Parlamentsantrag H stimmen, in dem so ein Referendum gefordert wurde. Von den 85 Stimmen dafür kamen nur 25 von Unterhausabgeordneten der Corbyn-Partei.
Corbyn selbst hatte auf Antrag E gesetzt, der forderte, dass nach einem "anderen Ansatz" gesucht wird. Dafür stimmten 302 Abgeordnete, dagegen 318. Antrag I, der vorsah, dass das Parlament der Regierung diese Suche abnimmt, wurde mit noch knapperer Mehrheit von 314 zu 312 Stimmen abgelehnt. Für ihn votierten auch 16 Tories.
Vorgezogene Neuwahlen?
Ein "Überdenken" könnte aber auch in Form vorgezogener Neuwahlen stattfinden. Manche Medien halten solche Neuwahlen unter anderem deshalb für wahrscheinlich, weil Theresa May am Mittwoch nicht einmal mehr die eigenen Minister gehorchten. Nachdem ein Änderungsantrag, einen No-Deal-Brexit nicht nur wenn möglich, sondern unter allen Umständen zu vermeiden, mit 312 zu 308 Stimmen überraschend eine knappe Mehrheit fand, hatte May nämlich verlangt, gegen den in der ursprünglichen Fassung von der Regierung eingebrachten Antrag zu stimmen. Dieses Verlangen war auch deshalb nicht von Erfolg gekrönt, weil sich Arbeits- und Rentenministerin Amber Rudd, Wirtschaftsminister Greg Clark, Justizminister David Gauke und Schottlandminister David Mundell stattdessen der Stimme enthielten. Staatssekretärin Sarah Newton stimmte sogar explizit dafür und trat unmittelbar darauf zurück.
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