Brexit nach dem Modell Norwegen?

Seite 2: Zwischenfazit: Ungedeckte Schecks

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Doch unklar ist, ob die EU da überhaupt mitspielt. Wie lange die Übergangsphase dauern soll, darüber hat die britische Regierung nichts verlauten lassen. Beide Konzeptpapiere sind bei näherer Betrachtung so weitschweifig wie vage. Um es direkt zu sagen: Hier saßen Leute am Werk, deren Job es ist, viele Worte zu machen, ohne etwas Konkretes zu sagen.

Es hat was von einem ungedeckten Scheck, der seinerseits durch einen ungedeckten Scheck ersetzt wird: Wie soll zollfreier Handel auch ohne Zollunion gehen? Na, mit neuer Partnerschaft und noch weniger Regeln... Klar, hätte man auch gleich drauf kommen können. Und wie soll die EU-Außengrenze zu Nordirland aussehen? Na, wie bisher, nur schöner... Und mit zollfreiem Handel und ganz viel Digitaltechnik, siehe oben. Ausgerechnet Brexit-Anhänger wollen der EU eine Grenze ohne Kontrollen schmackhaft machen, das ist schon bemerkenswert.

Reaktionen der EU

Doch die neuen Konzeptpapiere aus London sind ohnehin nur dazu gedacht, die eigene Regierung zu einen und die heimische Wirtschaft zu beruhigen, die sich Sorgen macht, wie der "Tag danach" aussieht. Ob es Übergangsphasen geben wird, das muss mit der EU verhandelt werden. Die neuen Konzeptpapiere aus London sind für Brüssel nur insofern interessant, als dass die britische Verhandlungsposition jetzt besser bekannt ist.

Dementsprechend fielen die Reaktionen in Brüssel auch verhalten aus. Zwar hat die EU-Wirtschaft auch ein Interesse an zollfreiem Warenverkehr von und nach Großbritannien. Doch Austrittsverhandlungen haben gerade erst begonnen. Ein Sprecher der EU-Kommission bekräftigte, erst müssten die Scheidungsmodalitäten geklärt sein, bevor das künftige Verhältnis verhandelt werden kann. EU-Chefunterhändler Michael Barnier twitterte: "The quicker #UK & EU27 agree on citizens, settling accounts and #Ireland, the quicker we can discuss customs & future relationship."

Auch das Nordirland-Papier wurde in Brüssel zurückhaltend aufgenommen: Es müsse "erst einmal eine politische Diskussion" geben, "bevor wir uns mögliche technische Lösungen anschauen", sagte eine Sprecherin. Und Guy Verhofstadt, Chefunterhändler des EU-Parlaments für den Brexit, kritisierte: "To be in & out of the Customs Union & 'invisible borders' is a fantasy. First need to secure citizens rights & a financial settlement".

Reaktionen in Großbritannien

In Großbritannien kritisierten die Liberaldemokraten, die gegen den Brexit sind, Minister Hammond sei damit zurück in die Kabinettsdisziplin gezwungen worden. Auch sie bemängelten, dass die Vorschläge wenig konkret seien.

Der Labour-Abgeordnete Ben Bradshaw sagte, es sei ein "schrecklicher Fehler für die Zukunft unserer Wirtschaft, für Arbeitsplätze und Wohlstand in Großbritannien, den gemeinsamen Markt und die Zollunion zu verlassen". Andere Stimmen in London werteten die Papiere dagegen als Sieg von Hammond, der sich mit der Übergangsfrist durchgesetzt habe.

Der frühere Außenminister David Miliband (Labour) forderte unterdessen eine erneute Abstimmung über den EU-Austritt. Egal ob in einem Referendum oder im Parlament, über die fertigen Austrittsbedingungen müsse noch mal abgestimmt werden, argumentierte er im Observer . Der Brexit sei "ein Fall von ökonomischer Selbstverstümmelung ohne Beispiel":

"Es heißt, wir müssten das Referendum respektieren. Das sollten wir. Aber die Demokratie hat am 23. Juni 2016 nicht geendet. Das Referendum wird keine Entschuldigung sein, wenn das Land über die Klippe geht."