Britische Muslime im schwierigen Spagat

Nach einer Umfrage befürworten 40% der britischen Muslime die Einführung der Scharia in überwiegend mulimischen Stadtvierteln, aber 80% sind auch für Anpassung an die westliche Gesellschaft

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Nach einer Umfrage unter muslimischen Bürgern Großbritanniens scheint der Abstand der Muslime zur westlichen Gesellschaft zu wachsen. Besonders deutlich ist die Kritik am Irak-Einsatz der britischen Truppen – und beunruhigend ist, dass viele angeblich wünschen, dass in überwiegend von Muslimen bewohnten Vierteln die Scharia eingeführt werden soll.

Die Umfrage wurde im Auftrag der konservativen Zeitung Telegraph von ICM ausgeführt. Befragt wurden 500 Muslime. Ob die Umfrage repräsentativ ist, lässt sich nicht beurteilen. Von ICM wird die Auswahl, die schon öfter befragt worden seien, als eher gemäßigt bezeichnet. „Alarmierend“ nennt der Labour-Abgeordnete Sadiq Khan die Ergebnisse, die zeigen würden, dass sich ein großer Teil der Muslime von der britischen Gesellschaft entfremdet habe.

Der Telegraph titelt: „Muslime wollen Scharia einführen“ und dramatisiert die Ergebnisse. Man will ganz offensichtlich im Kampf der Kulturen einen anfeuernden Beitrag liefern. Das wird auch deutlich, wenn ein Foto von der Demonstration gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen mit den zur Gewalt aufrufenden Plakaten („Behead Those Who Isult Islam“) in die Mitte der Auswertungen der Umfrage gestellt wird. Scheinheilig distanziert heißt es im Artikel, dass die Ergebnisse „einen wachsenden Radikalismus in den muslimischen Gemeinschaften zeigen und gute Munition nicht nur für islamische Führer, sondern auch für führende Politiker zur Verfügung stellen“.

Wie man im Telegraph die Assoziationen knüpfen möchte

Alarmierend ist wohl wirklich, dass 40 Prozent der Befragten es befürworten würden, dass in überwiegend muslimischen Wohngebieten die Scharia eingeführt wird. 19 Prozent haben keine Meinung dazu, 41 Prozent sind dagegen. Und 32 Prozent sagen, dass Frauen und Mädchen in der Öffentlichkeit öfter als vor zwei Jahren ihre Gesichter verhüllen. Tatsächlich scheinen viele Muslime aber zerrissen zu sein und sich in einer prekären Situation zu finden, in der womöglich bald Entscheidungen anstehen, ob man sich weiter abnabelt oder stärker integriert. Der Krieg im Irak, die Anschläge in London, der Karikaturenstreit haben die Spannungen gefördert. 60 Prozent sagten, die Muslims – also nicht unbedingt sie selbst – hätten sich in der letzten Zeit von der westlichen und britischen Gesellschaft „mehr oder weniger stark entfremdet“. Fast die Hälfte meint auch, dass die Muslime in Großbritannien seit einem Jahr radikaler geworden seien.

Sieht man sich jedoch alle Ergebnisse an, so ist das Bild weitaus weniger einheitlich. So findet über die Hälfte, dass der radikale Geistliche Abu Hamsa, der wegen Aufrufs zur Gewalt zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt wurde, einen gerechten Prozess erhalten hat. Nur 26 Prozent sind nicht dieser Meinung. 80 Prozent sagen, dass auch dann, wenn die westliche Gesellschaft nicht perfekt sei, Muslime sich mit ihr arrangieren sollten. Ebenso viele lehnen es ab, dass Gewalt gegenüber denen ausgeübt wird, denen von muslimischen Geistlichen vorgeworfen wird, sie hätten den Islam diffamiert. 86 Prozent finden es nicht legitim, dass al-Qaida oder andere Terroristen westliche Ziele angreifen (4 Prozent finden es richtig). Und 96 Prozent lehnen die Bombenanschläge vom 7.7. ab (1 Prozent findet es richtig). 75 Prozent behaupten auch, dass sie auch für die Motive und Gefühle der Attentäter keine Sympathie empfinden würden. Das aber tun immerhin doch 20 Prozent.

Der Telegraph zitiert den Sprecher des Innenministeriums, der sagte, man müsse sich angesichts der Umfrageergebnisse verstärkt um die Integration der Muslime bemühen, setzt dem aber ausführlich die Warnung von Patrick Sookhdeo entgegen, der prophezeit, dass „in 10 Jahren in einigen englischen Stadtteilen, die von muslimischen Geistlichen und ihren Anhängern kontrolliert werden, nicht mehr das Gesetz gilt, sondern Teile der Scharia“. Das würde schon beginnen und wenn die Regierung nicht schärfer gegen die muslimischen Geistlichen vorgehe, sei dies unabwendbar. Sookhdeo, Direktor des Institute for the Study of Islam and Christianity, ist als Muslim aufgewachsen und als junger Mann, nachdem er mit seinen Eltern nach Großbritannien gekommen ist, zum Christentum übergetreten. Für Sookhdeo haben die muslimischen Geistlichen im Karikaturenstreit in Großbritannien gewonnen. Hier seien die Karikaturen nicht veröffentlicht worden und die britische Regierung habe andere Länder kritisiert, in denen sie publiziert wurden.