Brüchige Waffenruhe im Südwesten Syriens
Unklare Grenzen zu al-Qaida erschweren Aussagen
Am Freitag teilte US-Außenminister Tillerson der Öffentlichkeit mit, dass sich der amerikanische Präsident Donald Trump und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin auf eine ab Sonntag gültige neue Waffenruhe für die im Südwesten Syriens gelegenen Provinzen Quneitra, Dara'a, und as-Suwaida einigten, als sie dort die Klimasitzung "schwänzten", wie der Spiegel es ausdrückte (vgl. Trump, Putin und die Politpyromanen). Diese Waffenruhe soll vom Königreich Jordanien unterstützt werden, das an Dara'a und as-Suwaida angrenzt. Für Dara'a und Quneitra waren bereits im Februar 2016 und im Mai 2017 Waffenruhen vereinbart worden, die jedoch weitgehend folgenlos blieben.
Der Südwesten Syriens wird in Teilen von der syrischen Regierung und mit ihr verbündeten Milizen und in anderen Teilen von der IS-Filiale Dschaisch Khalid ibn al-Walid und von sunnitischen "Rebellen" beherrscht, unter denen die al-Qaida-Filiale Fatah asch-Scham die klare Führungsrolle spielt. Relative Unklarheit darüber, welche Gruppe zu ihr gehört und welche nicht, erschwert Aussagen dazu, ob eine Waffenruhe eingehalten wird oder nicht, weil die Vereinbarungen keine Einsätze gegen den IS und al-Qaida verbieten.
Fars meldet Einnahme zweier Areale in der Nähe der Ortschaft al-Samdaniyeh
In Quneitra - der Provinz, die dem israelischen Golan gegenüberliegt - gab es am Sonntag eine Offensive der syrischen Armee und der "Nationalen Verteidigungseinheiten", die der iranischen Nachrichtenagentur Fars nach in der Einnahme zweier Areale in der Nähe der Ortschaft al-Samdaniyeh mündete. Fars zufolge richtete sich die Offensive gegen die al-Qaida-Filiale (die die Nachrichtenagentur noch bei ihrem alten Namen "al-Nusra-Front nennt). Trifft das zu, wäre sie kein Verstoß gegen die Waffenruhe. In Dara'a kam es dem den "Rebellen" nahe stehenden "Verletzungs-Dokumentations-Büro in Südwestsyrien" gestern zwischen 23 Uhr 01 und 23 Uhr 20 zu Artilleriebeschuss, aber nicht zu Luftangriffen, wie sie in den vergangenen Wochen geflogen wurden. Aus as-Suwaida meldete das Büro einen Raketenangriff in der Ortschaft Saida. In beiden Fällen ist weitgehend unklar, wie sich die Milizen zusammensetzen, gegen die sich die Angriffe richteten.
Relativ ruhige Drusenprovinz
As-Suwaida war unter den drei Provinzen, für die die Waffenruhe gilt, bislang die ruhigste. Hier gehören etwa 500.000 der insgesamt 770.000 Einwohner der ethnoreligiöse Gemeinschaft der Drusen an, die sich seit fast tausend Jahren getrennt vom schiitischen Islam entwickelt (mit dem sie mehr gemein hat als mit dem sunnitischen). Drusen glauben nicht an eine Endgültigkeit der Regeln im Koran, aber dafür an Seelenwanderung und Wiedergeburt. Die Religion missioniert auch seit vielen Jahrhunderten nicht mehr: Ein Druse kann man nicht werden, man muss als solcher geboren sein.
Die Unterschiede zum Islam sind so groß, dass die Drusen von manchen Religionswissenschaftlern nicht mehr als Teil davon, sondern als eigenständige Religion gewertet werden. In Israel dienen sie deshalb in der Armee - und Frankreich erschuf dem Volk aus der nach dem Ersten Weltkrieg vom Osmanischen Reich übernommenen Konkursmasse einen eigenen Drusenstaat. Der jedoch wurde damals von Sultan Basha al-Atrash und anderen Führern der Volksgruppe abgelehnt, weshalb man ihn 1936 in das Mandatsgebiet Syrien integrierte.
Einrichtung eines "humanitären Korridors"?
Außer in der in as-Suwaida gelegenen Bergregion Dschebel al-Duruz leben die syrischen Drusen vor allem im Hermon-Gebirge an der Grenze zum Libanon. Diese beiden Siedlungsgebiete sind durch die sunnitisch dominierte Provinz Dar'a getrennt. Darüber hinaus siedelte eine kleine drusische Minderheit in Dörfern in der Provinz Idlib und konnte dort bislang nur überleben, weil sie sich formell den Islamvorstellungen der al-Qaida-Dschihadisten unterwarf, die dort herrschen. Am 10. Juni 2015 kam es trotzdem zu einem Massaker im Dorf Qalb Loza (vgl. Syrien: Bedrohte Drusen).
Ob angesichts der eher brüchigen Waffenruhe tatsächlich eine "humanitärer Korridor" zur Versorgung und zum Bevölkerungsaustausch eingerichtet wird, wie ihn die Vereinbarung zwischen Russland, den USA und Jordanien vorsieht, ist bislang offen. Aber selbst dann, wenn eine Waffenruhe im Südwesten Syriens halbwegs halten sollte, eignet sie sich wahrscheinlich nicht als Modell für andere Kampfgebiete, obwohl Tillerson in Hamburg diese Hoffnung äußerte. In wichtigen Gebieten, die dafür in Fragen kommen würden, ist nämlich die kurdisch dominierte und amerikanisch unterstützte SDF aktiv, die weder dem IS noch al-Qaida nahe steht und dem Willen des US-Außenministers nach die von ihr eroberten Gebiete behalten soll (vgl. Tillerson macht Moskau Angebot, in Syrien zu kooperieren).