Brutalisierung der Demokratie

Seite 2: Rechte Pöbeleien: Nach dem Vorbild "National befreiten Zone" erfolgen Nadelstiche, direkte Angriffe und Drohungen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Gegenüber solchen Protesten aus dem linken Lager wirkt das, was "Pegida" am 3. Oktober in Dresden auf die Beine stellte, quantitativ lächerlich. Störungen einer Rede von Justizminister Heiko Maas am 1. Mai 2016 in Zwickau durch Rechtsextremisten, Buh-Rufe und Pfiffe gegen Gauck in Sebnitz im Juni 2016 oder übelste rechte Pöbeleien in Heidenau beim Besuch von Merkel sind zwar unappetitlich, aber quantitativ nicht so stark, wie es Rechtsradikale und Antidemokraten propagandistisch verbreiten.

Diese Kreise agieren anders. Nach dem Vorbild der "National befreiten Zone" erfolgen Nadelstiche, direkte Angriffe und direkte Drohungen per Brief oder Mail, die auch das freundschaftliche und familiäre Umfeld der Betroffenen einbeziehen. 2015 erstattete ein Unbekannter, der sich als Anwalt Heinrich Schmitz aus Euskirchen ausgab, quasi Selbstanzeige bei der Polizei wegen Mordes, in wenigen Minuten wurde daraus ein Psychoterror für die Familie (Angriff des Flüchtlingsfeindes aufs Private). Hinzu kommt das Unmittelbare via Internet, die virtuell erkämpfte "National befreite Zonen". Die Hetze, die zum Beispiel die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt im Herbst 2015 der Öffentlichkeit vorlas, und vage oder konkrete Drohungen in Blogs, Kommentarspalten der Onlineportale und in den sozialen Medien ertragen zu müssen, kann unvorbereitete Menschen psychisch sehr stark belasten. Dieser virtuelle und in Einzelfällen schon sehr reale Terror gegen Menschen, die sich für die Demokratie im kleinen und ehrenamtlich engagieren, richtet gesamtgesellschaftlich Schaden an.

Die Autoren der Studie "Die enthemmte Mitte - Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland" schreiben zwar, entgegen früherer "Mitte-Studien" würden die "demokratischen Milieus […] stärker und größer". Gleichwohl stellen sie fest, dass der Hass auf Muslime und Asylbewerber in Deutschland wachse und Menschen am rechten Rand nun radikaler auftreten würden. Die AfD bilde dazu eine Art Resonanzboden. Das alles stärkt die antidemokratische, politikerfeindliche und zur Militanz neigende Radikalität und die Verrohung derjenigen, die gegen die aktuelle Form von Demokratie und Einwanderungsgesellschaft zu Felde ziehen.

Schlagzeilen machte schon 2015 der Rücktritt des Tröglitzer Bürgermeisters Markus Nierth (parteilos) nach Morddrohungen infolge von Anti-Asyl-Protesten. In Oersdorf schlug unlängst ein Unbekannter Bürgermeister Joachim Kebschull (parteilos) ohnmächtig und krankenhausreif, als Auslöser wird vermutet, dass es einen Zusammenhang geben könnte mit Debatten über die Unterbringung von Flüchtlingen. Zuvor schon hatte es anonyme Bombendrohungen gegen das Gemeindehaus gegeben, Sitzungen und Entscheidungen mussten deshalb verschoben werden. Nach der Tat erhielt die Gemeinde unter anderem eine anonyme Mail aus mutmaßlich rechtsextremen Kreisen, in der die Attacke als eine Art von Bewährungsstrafe eines längst gefällten Urteils gegen Kebschull dargestellt wurde. Sollte der Bürgermeister dies nicht verstanden habe, erfolge der nächste Angriff nicht mit einem Knüppel, sondern einer Axt. Todesstrafe also.

In Bocholt führten Drohungen gegen Lokalpolitiker und SPD-Chef Thomas Purwin unlängst zur Absage eines SPD-Parteitages, unter anderem, weil Purwins Familie dem Druck nicht mehr gewachsen war. In Hassmails an ihn und andere Bocholter Lokalpolitiker war ihnen die Vergasung angedroht worden, in einem Schreiben an Purwin stand, man werde ihm seinen "verfickten Judenschädel" einschlagen. Justizminister Heiko Maas (SPD) fand in seinem Privatbriefkasten eine Neun-Millimeter-Patrone, nachdem er "Pegida" als eine Schande für Deutschland bezeichnet hatte.

Schon fast in Vergessenheit geraten ist, dass in Dresden auf einer "Pegida"-Demonstration 2015 Galgen-Attrappen für Merkel und Gabriel gezeigt wurden. Die Neonazi-Partei "Die Rechte" publizierte vor wenigen Tagen eine Bericht über die neue Verurteilung der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck vor dem Amtsgericht im ostwestfälischen Bad Oeynhausen. Das Urteil kommentierte die Partei mittels faschistischer Drohkulisse: "Schauen wir mal, wie das Strafmaß für die Richterin ausfallen wird, wenn sie sich eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages wegen ihrer Tätigkeiten für das Merkel-Regime selbst auf der Anklagebank wiederfinden wird. Dann wird es mit 'nur' elf Monaten Haft wahrscheinlich nicht getan sein."