Bündnis Sahra Wagenknecht: Auf dem Weg zur neuen politischen Mitte
Seite 2: Von Sozialismus und Klassenkampf ist keine Rede
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Denn natürlich wurde in diesen Kreisen registriert, dass die bisherigen Erklärungen des Bündnisses Wagenknecht wesentlich staats- und kapitalfreundlicher ausgefallen sind als fast alle Texte der Linkspartei. Wenn jetzt von Wagenknecht und ihren Freunden immer beklagt wurde, die Linkspartei habe sich von den "normalen Menschen" entfernt, wird jetzt klar, dass damit keineswegs für ihre Rechte streikende Lohnabhängige gemeint sind, sondern der deutsche Mittelstand, der das Wort Klassenkampf gar nicht kennt.
Das taucht dann auch nicht in den Papieren der neuen Formation auf. Es geht keineswegs darum, numerisch aufzuzählen, wie häufig dieses oder jenes Wort in den Papieren vorkommt. Aber der ganze Duktus der bisherigen Texte ist von einer Mittelstandsideologie geprägt.
Das hat der ehemalige wirtschaftspolitische Sprecher der Linken und enge Wagenknecht-Vertraute Christian Leye in einem Interview mit der Wochenzeitung Freitag deutlich gemacht. Dort drückt er seine Verteidigung der deutschen Mittelstandsideologie so aus:
Wir haben in Deutschland viele mittelständische Unternehmen, im Unterschied zu anderen Industrieländern, in denen es eine viel stärkere Konzentration von Kapital gibt. Darum ist es ernst, wenn der Mittelstand jetzt Hilferufe sendet. Gleichzeitig haben wir uns an eine Krisenpolitik gewöhnt, die sich an den Interessen des Großkapitals orientiert. Wer die Interessen der arbeitenden Menschen vertreten will, muss auch darauf achten, dass der Mittelstand nicht unter die Räder kommt.
Christian Leye in der Wochenzeitung Freitag
Auf die Frage des Freitag-Redakteurs Sebastian Puschner, ob denn nicht auch viele mittelständische Betriebe gegen höhere Löhne und höhere Steuern sind, entgegnet Leye:
Arbeitsschutzvorschriften gelten auch in mittelständischen Unternehmen, aber zwischen diesen und den Beschäftigten gibt es darüber hinaus gerade jetzt gemeinsame Interessen an einer vernünftigen Politik. Wir sind das einzige Industrieland, das derzeit schrumpft. Das hat mit massiv gestiegenen Energiepreisen zu tun und der Inflation, die dann wiederum vor allem Konzerne genutzt haben, um sich zu bereichern, was alles dem Mittelstand massiv zu schaffen macht. Es ist eine historische Situation, in der es erkennbar große Überschneidungen zwischen den Interessen der arbeitenden Menschen und des Mittelstands gibt, die ein Bündnis brauchen gegen die Selbstbedienungsmentalität des großen Geldes und der Kurzsichtigkeit der politischen Klasse.
Christian Leye in der Wochenzeitung Freitag
Dass er mit einem Satz zugesteht, dass Tarifrechte auch für den Mittelstand gelten sollen und dann gleich wieder für eine konzertierte Aktion zwischen Mittelstand und Beschäftigten eintritt, zeigt, dass in dieser Formation kritische Gewerkschaftler und selbstbewusste Lohnabhängige, die sich nicht den Kopf über die Interessen der Kapitalseite zerbrechen, keine politische Heimat haben.
Dabei werden diese noch wagenknechttreuen Linken langsam unruhig. Sie hatten gehofft, schnell in die neue Partei eintreten und dort das Programm noch mitbestimmen zu können. Doch nun schwant ihnen, dass sie es sind, die zunächst ferngehalten werden.
Die Unruhe dieser Linken wurde am letzten Wochenende in Frankfurt/Main auf einem Treffen des linken Netzwerkes "Was tun?" deutlich. Dort drängten viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf eine stärkere Einbindung der Basis.
Viele hatten auf einen schnellen Eintritt gehofft. Dass sie vielleicht einen linken Flügel einer Partei der wirtschaftlichen Vernunft bilden werden, darin müssen sie sich erst gewöhnen.
Es gibt auch schon Stimmen, die vor einem zu schnellen Austritt aus der Linkspartei warnen, bevor die ideologischen Grundlagen der neuen Formation überhaupt klar sind. Auf der Tagung waren auch Stimmen zu hören, die darauf drängten, in der Linken zu bleiben.
Denn es könnte sich ja zeigen, dass sie dort mehr zu sagen haben als in der neuen Formation. Die Wagenknecht-Dämmerung hat zumindest bei deren linken Anhängern schon eingesetzt.
In einigen Wochen dürfte sich zeigen, wie viele der einst sich links gerierenden Abgeordneten nun eine rechte Version der Sozialdemokratie vertreten werden.
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