Bündnis fordert Grundsicherung gegen Kinderarmut
Die neue Bundesregierung soll den Schwerpunkt ihrer Arbeit darauf legen, Kindern gleiche Zukunftschancen zu gewähren. Weil Sozialleistungen oft nicht bei Bedürftigen ankommen, soll das gesamte System verändert werden.
Kinderarmut ist in Deutschland ein gravierendes Problem: 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche sind aktuell auf staatliche Leistungen angewiesen, um überhaupt das Nötigste zur Verfügung zu haben - obwohl die Mehrzahl der Eltern erwerbstätig ist.
Ein breites Bündnis aus Sozialverbänden, Gewerkschaften und weiteren Organisationen fordert nun, dass der Kampf gegen Kinderarmut die Politik der nächsten Bundesregierung maßgeblich bestimmen soll.
In einer gemeinsamen Erklärung fordern die 22 Organisationen, dass die nächste Bundesregierung eine Kindergrundsicherung einführt. "Die Kindergrundsicherung gehört in den nächsten Koalitionsvertrag und muss als prioritäres Vorhaben in der kommenden Legislaturperiode umgesetzt werden", heißt es in der am Montag veröffentlichten Erklärung.
"Für uns ist es ein entscheidendes Wesensmerkmal der Kindergrundsicherung, dass die Kinder von Besserverdienenden nicht länger bevorzugt werden", erklärte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Es sei zutiefst ungerecht, dass Spitzenverdiener über den Kinderfreibetrag im Steuerrecht stärker profitierten als Arbeiter, die das Kindergeld erhielten.
Britta Altenkamp, Vorsitzende des Zukunftsforums Familie, pflichtete dem bei und erklärte: Die Kindergrundsicherung "beendet endlich die Ungerechtigkeiten in unseren Systemen, die aktuell armen Kindern im Sozialrecht nur einen Bruchteil der Unterstützung zukommen lassen, die reiche Kinder im Steuerrecht über ihre Eltern erhalten".
Existenzminimum wird kleingerechnet
Kritik an den bestehenden Sozialleistungen für Familien wird seit Jahren geübt. Ein wesentlicher Punkt dabei ist das Existenzminimum, das man Kindern zuspricht. Es ist die Grundlage für Sozialleistungen, für Unterhaltszahlungen und auch für das Steuerrecht.
In der Erklärung heißt es nun, es werde regelmäßig kleingerechnet. Deshalb reichten auch die Leistungen nicht, um den Bedarf der Kinder zu decken. Deshalb fordern die Verbände, das Existenzminimum müsse "für alle Kinder neu und realistisch berechnet werden".
Ein anderer Punkt ist der Kinderfreibetrag im Steuerrecht. Von ihm profitieren Familien mit hohen Einkommen deutlich stärker als Familien, die nur das Kindergeld erhalten. Bis zum 18. Geburtstag eines Kindes könne sich der Vorteil auf bis zu 20.000 Euro summieren, heißt es in der Erklärung weiter.
Für viele Leistungen gebe es zudem hohe bürokratische Hürden; sie seien nicht einfach zugänglich und vielfach seien sie nicht ausreichend aufeinander abgestimmt. Viele Kinder und Familien würden deshalb nicht erreicht.
Als Beispiel führt das Bündnis den Kinderzuschlag an, der von vielen nicht in Anspruch genommen wird. Bei Leistungen von sogenannten Aufstockern "spricht die Bundesregierung selbst von einer Dunkelziffer von bis zu 50 Prozent", heißt es in der Erklärung weiter.
Nach Vorstellung der Organisationen soll die Kindergrundsicherung eine eigenständige Leistung für jedes Kind sein. Einzelmaßnahmen wie das Kindergeld und der steuerliche Kinderfreibetrag, der Kinderzuschlag, Hartz-IV-Leistungen für Kinder und die Leistungen aus dem "Bildungs- und Teilhabepakets" sollen gebündelt und ersetzt werden.
Vereinfachte Kindergrundsicherung gefordert
Die Kindergrundsicherung müsse "einfach, unbürokratisch und möglichst automatisch ausgezahlt werden", heißt es in der Erklärung weiter. Sie müsse sozial gerecht ausgestaltet sein und Kinder in allen Familienformen gleichermaßen erreichen. "Die am stärksten von Armut betroffenen Familien müssen deutlich bessergestellt werden, mit steigendem Einkommen sinkt die Leistung langsam ab."
Das Bündnis sieht sich durch die Ergebnisse einer aktuellen und repräsentativen FORSA-Umfrage bestätigt. Demnach halten es 94 Prozent der Befragten für wichtig, Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen. 76 Prozent sprachen sich demnach dafür aus, eine Kindergrundsicherung einzuführen. Selbst unter den Anhängern der Christdemokraten und der Liberalen, spreche sich eine deutliche Mehrheit dafür aus.
Die breite Unterstützung mache deutlich, dass die Kindergrundsicherung in den kommenden Koalitionsvertrag gehöre, erklärte Jens Michael Schubert, Vorsitzender des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt (AWO).
Damit Kinder in Deutschland verlässlich gegen Armut abgesichert seien, reiche es nicht mehr aus, politisch an kleinen Stellschrauben zu drehen. "Das bestehende Leistungssystem ist unzureichend, unübersichtlich und ungerecht."
In der Vergangenheit hat vor allem die Partei Die Linke das Konzept einer Kindergrundsicherung vertreten. In ihren Wahlprogrammen sprachen sich daneben auch SPD und die Grünen dafür aus. Die FDP propagiert mit dem "Kinderchancengeld" ein abweichendes Modell.
Bislang fehlte es in der Politik nicht an Stimmen, die sich für eine offensive Armutspolitik einsetzten, erklärte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. "Das Problem in der Vergangenheit war jedoch stets, dass in den Koalitionsverhandlungen letztlich andere politische Prioritäten gesetzt wurden."
Jede künftige Regierung werde daran gemessen, was sie wirklich gegen Kinderarmut in Deutschland tue - unabhängig davon, aus welchen Parteien sie sich zusammensetzen werde.
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