Bürgerrat zur Ernährung: Wie viel Fleisch darf noch gegessen werden?
160 ausgeloste Personen sollen ab sofort Vorschläge zur Politik rund um Lebensmittel erarbeiten. Was wird davon berücksichtigt – und wie viele Ratsmitglieder sind vegan?
Essen ist nicht unpolitisch: Vor allem das Thema Fleischkonsum sorgt angesichts verstörender Bilder aus der Massentierhaltung und der Debatte um Klimaschutz für Kontroversen. Die Unterscheidung zwischen Empfehlungen, Angeboten und Vorschriften wird bei entsprechenden Schlagzeilen im ersten Moment oft kaum wahrgenommen.
Wenn die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, nur noch rund 300 Gramm Fleisch oder Wurst im Monat zu essen, und wenn in Schulen und Kitas nur noch vegetarisches Essen angeboten wird – vielleicht auch, weil bei Fleischgerichten keine gute Qualität geliefert werden könnte, ohne dass die Kosten steigen – sehen manche überzeugten Fleischesser darin schon einen Vorgeschmack auf Verbote. Im Social-Media-Bereich arten Diskussionen dann sehr schnell aus.
Im "Bürgerrat Ernährung im Wandel" könnten Veganerinnen und Vegetarier auf ähnliche Abwehrreaktionen stoßen – das Gremium soll ab sofort Vorschläge an die Politik rund um Lebensmittel erarbeiten und besteht aus 160 repräsentativ ausgelosten Personen. Soweit es überhaupt repräsentativ sein kann, wenn nur Menschen teilnehmen, die Zeit und Motivation haben, sich dort einzubringen.
Begrüßt werden die Ausgewählten zur feierlichen Eröffnung an diesem Nachmittag von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in Berlin. Umgesetzt wird damit ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag der "rot-grün-gelben" Bundesregierung:
Wir wollen die Entscheidungsfindung verbessern, indem wir neue Formen des Bürgerdialogs wie etwa Bürgerräte nutzen, ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben.
Aus: Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit / Koalitionsvertrag 2021 – 2025, S. 8
Was auf den ersten Blick gut klingt, könnte aber auf den zweiten Blick zur ernüchternden "Mitmachfalle" werden – denn genau genommen bleibt völlig unklar, inwieweit die Vorschläge solcher Gremien überhaupt berücksichtigt werden. Ein Anspruch darauf, dass wenigstens Teile davon umgesetzt werden, besteht nicht.
Und das ist nicht der einzige Kritikpunkt derjenigen, die seit Jahren repräsentativ ausgeloste "Bürger:innenräte" oder einen "Gesellschaftsrat" fordern – das tun vor allem Netzwerke der Klimabewegung, wie Extinction Rebellion und die "Letzte Generation", die dabei erstaunlich viel Hoffnung in eine Bevölkerung setzen, die ihre Protestmethoden zu großen Teilen ablehnt.
Ihnen missfällt auch die thematische Verengung auf den Lebensmittelbereich, denn ihnen geht es um ein Gesamtkonzept für sozialen Klimaschutz, das neben der Landwirtschaft auch die gesamte Energieversorgung und den Verkehrsbereich umfassen müsste.
"Wir sind dabei, gefährliche Klima-Kipppunkte zu überschreiten, und jetzt soll erst mal nur das Thema Ernährung angegangen werden? Was wir brauchen, ist ein schnellstmöglicher Ausstieg aus den Fossilen, eine umfassende Wende", erklärte an diesem Freitag Marion Fabian von der "Letzten Generation". Die Regierung sei hier "planlos".
Allerdings gehört ein "Essen-retten-Gesetz" immer noch zu den einfachen Sofortmaßnahmen, die von der Gruppe neben einem Tempolimit und deutlichen günstigeren Ticketpreisen für ÖPNV und Regionalverkehr gefordert werden. Ein solches Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung wäre nicht systemsprengend – in Frankreich existiert es schon und droht Supermärkten hohe Geldstrafen an, wenn sie noch genießbare Lebensmittel wegwerfen, statt sie zu spenden.
Weitere Maßnahmen soll laut der Klima-Initiative ein "Gesellschaftsrat" erarbeiten – und die Beteiligten sollen sich darauf verlassen können, dass sie ihre Zeit nicht umsonst dafür opfern. Das wissen die 160 Beteiligten des Bürgerrats "Ernährung im Wandel" nicht so genau – auch das wird kritisiert:
Wie kann es sein, dass nicht geklärt ist, ob die zufällig ausgelosten Bürger:innen erfahren, was mit ihren über Monate erarbeiteten Empfehlungen passiert? Ist uns der Bundestag nicht mal eine Stellungnahme schuldig?
Simon Lachner, "Letzte Generation"
Laut Einsetzungsbeschluss gehören dem Rat 160 Personen an, die per Zufallsprinzip aus der gesamten Bevölkerung ab 16 Jahren mit Erstwohnsitz in Deutschland ausgewählt wurden. Nach Kriterien wie Alter, Geschlecht, regionaler Herkunft, Ortsgröße und Bildungshintergrund sollte eine ausgewogene Mischung erreicht werden.
Anfangs waren zu viele Akademiker interessiert
Zunächst waren 20.000 ausgeloste Personen zur Teilnahme am weiteren Los-Auswahlverfahren eingeladen worden – daraufhin hatten 2.200 Interesse bekundet, darunter überproportional akademisch gebildete Menschen. Zunächst sollen mehr als 70 Prozent mit Hochschulabschluss unter den Interessierten gewesen sein – im Rat sind dies aber nur rund 26 Prozent.
Nach Angaben der Organisatoren ernähren sich zehn Prozent des Gremiums vegetarisch und 2,5 Prozent vegan. Auch hier wurde auf Repräsentativität geachtet.
Für eine deutliche Mehrheit in Deutschland stehen Fleisch- und Wurstwaren immer noch regelmäßig auf dem Speiseplan – aber der durchschnittliche Fleischkonsum sinkt seit Jahren, wenn auch von einem sehr hohem Niveau.
Der geschätzte Pro-Kopf-Verzehr lag im Jahr 2022 immer noch bei 52 Kilogramm – im Vorjahr waren es 55 Kilogramm. Die Minderheit der Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, wächst: Aktuell sind es rund zwölf Prozent. Weitere 41 Prozent bezeichnen sich laut einer aktuellen Umfrage als Flexitarier, essen also nur ab und zu Fleisch. Somit sind auch diejenigen in der Minderheit, für die Fleisch selbstverständlich zu einer vollwertigen Mahlzeit gehört. Der Wandel jedenfalls ist schon da.
Aber vegane Ernährung ist nicht automatisch klimafreundlich, wenn zum Beispiel Mandeln aus Kalifornien und Avocados aus Südamerika eine große Rolle spielen – sowie alle Lebensmittel mit langen Transportwegen. Nur sind regional angebaute Bio-Lebensmittel trotz hoher Spritpreise oft teurer als solche, die in fernen Billiglohn-Ländern geerntet wurden.
Mit welchen Steuerungsinstrumenten die gesündeste und klimafreundlichste Ernährung auch die kostengünstigste werden könnte – und ob das überhaupt mehrheitlich gewünscht ist –, wäre dann Stoff für Diskussionen im Bürgerrats.