Bürgerrechte für die Informationsgesellschaft

Für einen Kurswechsel in der Datenschutzpolitik

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Landesdatenschützer fordern in einem 10-Punkte-Papier von der rot-grünen Koalition einen Kurswechsel in der Datenschutzpolitik. Die Forderungen sind brisant: Datenschutz als Grundrecht, Abbau von Abhörbefugnissen, Krypto für jedermann und eine transparente Verwaltung. Damit klagen sie die Bürgerrechte in der Informationsgesellschaft ein.

In 10 Thesen fordern die Datenschutzbeauftragten der Länder Berlin, Bremen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein nach 14 Jahren der Stagnation „einen Politikwechsel zum wirksameren Schutz der Privatsphäre“. Die im Koalitionsvertrag angekündigten Veränderungen seien „verbesserungswürdig“ und „ausbaufähig“ erklärte der schleswig-holsteinische Datenschützer Helmut Bäumler im Namen seiner Kollegen. Eine neue Datenschutzpolitik sei notwendig, da eine Informationsgesellschaft ohne wirksamen Datenschutz „unvorstellbar“ sei und von den Bürgerinnen und Bürgern „nicht akzeptiert“ werden würde.

  1. 1) In das Grundgesetz ist ein Grundrecht auf Datenschutz aufzunehmen.
  2. 2) Sicherheit und Ordnungsmässigkeit der Datenverarbeitung müssen eine höhere Priorität erhalten.
  3. 3) Wirksame Verschlüsselungsverfahren müssen gefördert werden. Überlegungen, das Recht auf Kryptografie zu beschränken, müssen eingestellt werden.
  4. 4) Die Datenschutzgesetze müssen gründlich modernisiert und effektiviert werden.
  5. 5) Die bereichsspezifische Datenschutzgesetzgebung muß substanzielle Rechtsgarantien gewährleisten.
  6. 6) Die besonders sensiblen Eingriffsbefugnisse im Sicherheitsbereich müssen systematisch auf ihre Effektivität und ihre Grundrechtsverträglichkeit untersucht werden. Sonderbefugnisse aus der Terrorismusfahndung müssen zurückgenommen werden.
  7. 7) Datenschutz darf nicht einer rigorosen Verwaltungsmodernisierung zum Opfer fallen.
  8. 8) Es ist ein allgemeines Informationszugangsrecht einzuführen
  9. 9) Das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf unüberwachte telekommunikative Selbstbestimmung muß ein zentrales Anliegen der Politik werden.
  10. 10) Der Datenschutz im privaten Bereich muß rechtlich und organisatorisch ausgebaut werden.

Datenschutz als Grundrecht

Im Grundgesetz soll nach Willen der Datenschützer das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als ausdrückliches Grundrecht verankert werden. Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht 1984 mit der Verkündigung des Volkzählungsurteils das Recht auf Datenschutz mit Verfassungsrang ausgestattet, doch angesichts des vor kurzem verfassungsrechtlich zugelassenen Großen Lauschangriffs, der seither die Privatsphäre empfindlich einschränkt, halten die Datenschützer ein „ausdrückliches Bekenntnis“ zur Privatsphäre für notwendig.

Nachholbedarf besteht ihrer Ansicht zudem im Informationszugangsrecht (Interview mit Bettina Sokol, Landesbeauftragte für Datenschutz in Nordrhein-Westfalen), das Bürgerinnen und Bürgern das Recht auf Zugang zu Informationen bei öffentlichen Stellen gewährleistet. In anderen europäischen Ländern, aber auch in den USA und Kanada, sorgt ein Informationsfreiheitsgesetz schon lange für mehr Transparenz in der Verwaltung. Mit dem Vertrag von Amsterdam hat auch die Europäische Union ein prinzipielles Zugangsrecht gewährt.

Kritisch aus Sicht der Datenschützer ist das durch die Privatisierung von Staatsbetrieben abgesenkte Datenschutzniveau. Eine “rigorose Verwaltungsmodernisierung“ dürfe nicht die Rechtsposition von Bürgerinnen und Bürgern verschlechtern.

Keine Kryptoregulierung

Von der staatlichen Politik fordern die Datenschützer, wirksame Verschlüsselungsverfahren zu fördern und dafür zu sorgen, daß jeder einzelne Bürger über starke Kryptiermethoden verfügen kann. Überlegungen, das Recht auf Kryptografie zu beschränken, sollen eingestellt werden. Desweiteren sollen Sicherheit und Ordnungsmässigkeit der Datenverarbeitung eine höhere Priorität erhalten. Nicht zuletzt angesichts des Jahr-2000-Problems gäbe es „Nachholbedarf“. Generell müssten jedoch die Datenschutzgesetze „gründlich modernisiert“ und effektiviert werden Neue technische Gegebenheiten seien von der auf Großrechnertechnologie basierenden Gesetzgebung nicht mehr berücksichtigt.

Behörden sollten künftig nicht mehr, wie beim Ausländerzentralregister oder den Sozialdateien inzwischen üblich, automatisch Daten an andere Behörden weitergeben dürfen. So wurde beispielsweise der Abgleich von Sozialhilfedaten mit den Daten der Einwohnermeldebehörde dazu genutzt, Sozialhilfemißbrauch aufzudecken. Die Wirksamkeit von Datenschutzgesetzen, die für einzelne Bereiche erlassen wurden, dürfen durch solche Methoden nicht ausgehebelt werden.

Abhörbefugnisse einschränken

Eine Absage erteilten die Datenschützer auch an die in den letzten Jahren koninuierlich erweiterten Abhörbefugnisse von Sicherheitsbehörden Seit 1995 wurde das Telekommunikationsrecht immer wieder an neue Technologien und die Liberalisierung des Marktes angepaßt - die Bedeutung des Fernmeldegeheimnisses wurde dabei nach Art einer Salamitaktik nach und nach beschnitten

So schrieb die im Mai 1995 erlassene Fernmeldeverkehrs-Überwachungsverordnung (FÜV) erstmals die technischen Details der TK-Überwachung vor. Abgehörter TK-Verkehr sollte demnach unverschlüsselt an die "Bedarfsträger" - Polizei, Geheimdienste und Zollkriminalamt - geliefert werden. Mit der Übermittlung der Funkzelle beim Anruf eines Handys ermöglichte die FÜV erstmals im Ansatz Bewegungsbilder in Funknetzen - ein Anrufversuch der Überwacher genügt, um die Übermittlung der Funkzelle zu erzwingen. Mit sogenannten IMSI-Catchern, die Handys eine Basisstation vorgaukeln, wollten die Bundesländer sogar auch die richterliche Kontrolle der Telefonüberwachung aushebeln. Die konservative Bundesregierung wollte sie dagegen nur zur Ermittlung der Handy-Kennung, der IMSI, nutzen. Nach wie vor steht die uneingeschränkte Nutzung des IMSI-Catchers auf der Wunschliste der Strafverfolgungsbehörden.

Abgelöst wurde die FÜV durch das im August 96 in Kraft getretene Telekommunikationsgesetz (TKG). Es bündelt sowohl den Schutz des Fernmeldegeheimnisses als auch seinen Bruch durch Überwachungsmaßnahmen. Das TKG macht den Betrieb von TK-Anlagen und-Netzen von Einrichtungen zur Überwachung auf Kosten der Anbieter abhängig und verlangt mit dem Abruf von Kundendaten nach Paragraph 90 TKG den Direktzugriff der Sicherheitsbehörden auf Kundendaten. Diesen Behörden sind weitergehende Angaben auf Anfrage zu geben, der BND erhält überdies das Recht auf Information über Netzstrukturen.

Die auf dem TKG fußende Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV) wurde im Sommer nach massiven Protesten aus der Wirtschaft und von Bürgerrechtsgruppen auf Eis gelgt - vorerst. Solange der Gesetzesauftrag besteht, das heißt, so lange es den Paragraphen gibt, werden die Beamten jedoch an einer TKÜV stricken. Wird die Gesetzeslage nicht vom Bundestag geändert, so bleibt auch die Ausgestaltung der Ausnahmeregelungen eine heikle Geschichte. Denn Verordnungen lassen sich bekanntermassen müheloser ändern als Gesetze.

Das Anfang 1998 wirksam gewordene Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz (TKBeglG) verschärfte die Lage noch: Geheimdienste haben seit der Änderung am Paragraph 41 AWG Zugriff auf Daten, die aus besonderen Gründen präventiv durch eine Telefonüberwachung gesammelt werden. Die Einführung einer Überwachung von "Telekommunikationskennungen" im TKBeglG - Telefon- und Faxnummern, E-Mailnummern, IP-Nummern, sowie Internet-Namen - erweitert die zu überwachenden TK-Einrichtungen erheblich. Zudem wird die Überwachung auf alle, die "geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste" anbieten, ausgedehnt. Das betrifft vor allem interne Firmennetze. Zwar sind Daten darüber, wer wann mit wem telefoniert oder dies zumindest versucht hat, seither gesetzlich geschützt, im Gegensatz zum Bruch des Briefgeheimnisses wird jedoch weiterhin der Bruch des Fernmeldegeheimnisses durch Personen, die nicht zu einem Telekommunikationsanbieter gehören, nicht unter Strafe gestellt. Damit machen sich auch ausländische Dienste nicht strafbar, die deutsche Telekommunikation überwachen. Die Regelung ist damit alles andere als ein wirksamer Schutz.

All diese Abhörlizenzen sollen nun nach Willen der Datenschützer systematisch auf ihre Effektivität und ihre Grundrechtsverträglichkeit untersucht werden. Brisant in diesem Zusammenhang ist die Forderung der Datenschützer, Sonderbefugnisse aus der Terrorismusfahndung zurückzunehmen. Erst im Sommer hatte das Bundesinnenministerium unter der Ägide des ehemaligen Innenministers Kanther eine gleichlautende Forderung entschieden zurückgewiesen.

Datenschutz auch in der privaten Wirtschaft

Angesichts zahlreicher Datenauswertungsmöglichkeiten in den Neuen Medien sowie den jüngsten Auseinandersetzungen um die Telekommunikationsüberwachungsverordnung fordern die Datenschützer ein Recht auf unüberwachte telekommunikative Selbstbestimmung. Dieses müsse zum zentralen Anliegen der Politik werden.

Neben der Angst vor der Überwachung durch „Big Brother“ Staat gäbe es inzwischen auch „aus guten Gründen“ die Furcht vor dessen „Geschwistern“ aus der Wirtschaft. Informations-, Finanz- und andere Dienstleistungsunternehmen sowie große Versandhändler sammeln inzwischen systematisch Daten über Konumgewohnheiten oder Bonität der Kunden. Die Datenschützer fordern daher, den Datenschutz auch im privaten Bereich rechtlich und organisatorisch auszubauen. Damit verleihen sie der überfälligen Umsetzung der EU-Datenschutzrichtlinie noch einmal Nachdruck. Diese bezieht sich nämlich unterschiedslos sowohl auf den öffentlichen als auch den privaten Bereich.

Mehr Service durch ein LSI?

Da die EU-Datenschutzrichtlinie auch eine „völlige Unabhängigkeit“ der Datenschutzbeauftragten fordert, brechen für den Bundes- sowie die Landesdatenschutzbeauftragten bald neue Zeiten an. Sind die meisten noch den Innenministerien zugeordnet, könnten sie künftig nurmehr ähnlich der Ausländerbeauftragten dem Parlament Rechenschaft pflichtig sein. Die neue Selbständigkeit wollen Datenschützer wie Helmut Bäumler nutzen, um Bürgern bessere Serviceleistungen anbieten zu können „Das reicht von Rechtsauskünften, Merkblättern, Datenschutzscheckheften bis hin zu technischer Beratung und Begutachtung“. Bürger sollen mit „Hard- oder Software unter dem Arm" unbürokratische und kompetente Hilfe erfahren können.

Ziel könnte eine Art „Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI) sein, das anders als das „Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auch den Bürgerinnen und Bürgern Dienstleistungen erbringt. Bis es soweit ist, muß jedoch durch die Politik ein Ruck gehen, Etats müßten aufgestockt werden. Bis jetzt nämlich ist die personelle und technische Aussstattung der Datenschützer, so Bäumler1, „weitgehend mangelhaft“.