Bürgerversicherung statt Bedingungsloses Grundeinkommen

Der bayerische Piraten-Landesvorsitzende Stefan Körner über einen umstrittenen Beschluss seiner Partei

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Die Piratenpartei beschloss auf ihrem Anfang Dezember abgehaltenen Bundesparteitag in Offenbach, ein Modell für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) ausarbeiten zu lassen und anschließend eine Volksabstimmung darüber anzustreben. Allerdings wurde die für diesen Beschluss notwendige Zweidrittelmehrheit nur um wenige Stimmen überschritten und das Thema wird bei den Piraten weiterhin heftig diskutiert. Als Gesicht der BGE-Gegner gilt seit seiner Rede auf dem Parteitag der 43-jährige Stefan Körner - Softwareentwickler und bayerischer Landesvorsitzender der Piraten.

Herr Körner - wenn wir in Telepolis einen Artikel zum Bedingungslosen Grundeinkommen bringen, dann können wir uns darauf verlassen, dass im Forum die Fetzen fliegen. Das scheint in ihrer Partei ähnlich. Immerhin posteten Sie "Wenn wir eine Steuer auf Flamewars einführen, ist das BGE so gut wie finanziert!"

Stefan Körner: Ja, davon sollten Sie ausgehen. BGE ist ein sehr emotionales Thema.

Sie planen derzeit ein Basisbefragung der bayerischen Piraten. Geht es da um das BGE?

Stefan Körner: Ja, wir wollen unserem Anspruch gerecht werden und die Meinung der gesamten Basis zu diesem Thema einholen. Dazu werden wir in den nächsten Tagen eine Umfrage starten. Wahrscheinlich gibt es in deren Rahmen auch noch die Frage nach der Haltung zu den Beschlüssen zur Drogenpolitik.

Stefan Körner. Foto: Tobias M. Eckrich. Lizenz: CC BY 3.0.

Haben Sie eine Vorstellung oder eine Erwartung, was bei der Umfrage herauskommt?

Stefan Körner: Nein, nicht wirklich. Darum ist uns die Umfrage eben auch besonders wichtig.

Wird darin allgemein nach der Position zum BGE gefragt - oder konkret nach dem Bundesparteibeschluss, der die Ausarbeitung eines Modells und eine Volksabstimmung darüber vorsieht?

Stefan Körner: Das kann ich nicht sagen, da ich die Umfrage noch nicht gesehen habe. Ich wollte nicht, dass der Vorwurf kommt, wir hätten die Fragen so gestellt, dass das Ergebnis unseren Vorlieben entsprechend ausfallen muss und deswegen einen Befürworter und einen Gegner gebeten, die Umfrage zu erstellen.

Ein BGE kann je nach Ausgestaltung für manche Menschen auch nachteiliger sein als Hartz IV. Der Begriff ist deshalb für Projektionen von vielen Seiten offen. Was meinen Sie - war bei dem Bundesbeschluss zum BGE auch ein bisschen Wahltaktik dabei?

Stefan Körner: Nein, ich würde meinen Parteifreunden keine Wahltaktik unterstellen. Ich denke, dass man einfach das Thema voranbringen wollte, weil man eben die Hoffnung in ein wie auch immer geartetes BGE setzt, dass es viel besser als Hartz4 wäre.

Wie schätzen Sie würde eine bundesweite Volksabstimmung über ein BGE derzeit ausgehen?

Stefan Körner: Ich denke nicht, dass es beim derzeitigen Diskussionsstand um dieses Thema eine Mehrheit in der Bevölkerung für ein BGE geben würde. Dazu muss zunächst ein Konzept ausgearbeitet und vorgelegt werden, das die drei Buchstaben überhaupt erst einmal mit mehr als einer Vision füllt und anschließend muss eine umfangreiche Aufklärungskampagne folgen, um das Konzept der Öffentlichkeit vorzustellen. Erst dann besteht - bei entsprechend tragfähigen Eckpunkten des Konzepts - die Option auf eine Mehrheit in der Bevölkerung für ein völlig neu gestaltetes Sozialsystem.

Da ich bislang aber nur grobe Entwürfe für die tatsächliche Umsetzung eines BGEs gesehen habe, kann ich nicht einschätzen, ob es ein solches mehrheitsfähiges Konzept geben wird. An dieser Stelle ist meine Glaskugel etwas beschlagen.

Sie gelten seit dem Parteitag innerhalb der Piratenpartei als führender Gegner eines BGE. Können Sie Ihre Argumente dagegen für die Telepolis-Leser noch einmal kurz zusammenfassen?

Stefan Körner: Wir hatten in Deutschland einmal eines der weltweit besten Sozialsysteme. Es bot weitestgehend Sicherheit für jeden, der aus eigener Kraft nicht in der Lage war, ein Einkommen zu erzielen, das zum Leben reichte.

Dann kam Rot-Grün an die Macht und hat mit Hartz IV ein System geschaffen, das nicht mehr die sozial Schwachen schützt, sondern ausgrenzt und drangsaliert. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als nachvollziehbar, dass viele Menschen ein anderes System zur sozialen Absicherung der Existenz suchen. Das erklärt in meinen Augen den Zuspruch zum Thema BGE.

Allerdings bin ich noch immer nicht davon überzeugt, dass es gelingt, ein tragfähiges Konzept dazu auf den Tisch zu legen. Alle bislang vorgelegten Konzepte gehen davon aus, dass die Rahmenbedingungen weitgehend unverändert bleiben. Das halte ich für - sagen wir es vorsichtig - extrem optimistisch.

Meine Kritik am Beschluss des BPT betrifft aber mehr die Art und den Inhalt als das Thema an sich. Wir hatten eine Gruppe von Mitgliedern - die Sozialpiraten - die sich mehrfach getroffen haben, um das Thema auszuarbeiten. Beim letzten Treffen im September in Nürnberg war man sich einig, dass man beim nächsten BPT keinen Antrag einreichen wollte. Dann haben zwei aus der Gruppe einen eigenen Antrag gestellt, haben darin noch das Thema Mindestlohn als kleines Zuckerl verpackt und sich mit zwei lautstarken Redebeiträgen eine hauchdünne Mehrheit geholt. Ich denke, dass wir Piraten genau diese Form der politischen Arbeit nicht wollten.

Was genau meinen Sie mit den Rahmenbedingungen?

Stefan Körner: Ich meine damit Arbeitsleistung, die Lohnstrukturen, das Preisniveau - alles Eckpunkte, die in den meisten Berechnungen unverändert aus der derzeitigen Realität übernommen werden. Ich gehe aber nicht davon aus, dass dies auch nur im Ansatz realistisch ist, wenn man im Hintergrund das gesamte Sozialsystem auswechselt.

Ist ein BGE als Komplettlösung für Armuts- und Gängelungsprobleme zu traditionell gedacht? Gerade in Bayern verhindern beispielsweise bizarr detaillierte ästhetische Vorgaben den Bau von Wohnungen. Mit Änderungen hier könnte man Wohnungsnot und Obdachlosigkeit lindern, ohne dass es den Steuerzahler einen Cent kosten würde. Und bei einer Volksabstimmung dürfte eine Entbürokratisierung des Baurechts wohl eher eine Mehrheit finden als ein Bedingungsloses Grundeinkommen.

Stefan Körner: Ich denke, dass man in der Tat sehr viel tun könnte, um wirklich gute Politik zu machen, ohne ein bislang nur ein theoretisch bis hypothetisch denkbares neues Sozialsystem zu bewerben.

Genau das ist auch meine Forderung an unsere Partei. Hartz4 muss weg. Die Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitsvermittlung war der übelste Fehler der Sozialpolitik in den letzten 60 Jahren. Wir müssen Politik machen, die den Menschen jetzt und wirklich hilft, statt über Konzepte zu philosophieren, die vielleicht und unter Umständen funktionieren.

Was halten Sie vom Vorschlag Richard Buckminster Fullers, massenhaft Stipendien statt Sozialhilfe zu vergeben, weil einer unter Hunderttausend dann etwas erfindet, das die anderen finanziert?

Stefan Körner: Das klingt schon fast wie "wir lassen Alle einfach Lotto spielen - wenn einer gewinnt, dann kann er die anderen mitfinanzieren". Ich kann der Idee nichts abgewinnen. Meiner Meinung nach funktioniert ein Sozialsystem nur dann, wenn die Leistungsstarken dazu angehalten sind, etwas von ihren Einkünften abzugeben, um den Schwächeren ein Auskommen zu sichern.

Und meiner Meinung nach müsste man vor allem auch dafür sorgen, dass alle Einkunftsarten herangezogen werden und statt sich nur auf das Ergebnis der Arbeitsleistung zu stützen. Damit würde das System deutlich gerechter.

Also das System einer Bürgerversicherung, wie es auch SPD und Grüne propagieren?

Stefan Körner: Zumindest geht es in die Richtung, ja.

Einige Piraten äußern Bedenken, dass durch den BGE-Beschluss Mitglieder angezogen werden, die sich nicht mehr sehr für die ursprünglichen Piratenthemen interessieren und sie bei Koalitionsverhandlungen zugunsten sozialpolitischer Zugeständnisse opfern könnten.

Stefan Körner: Eine Befürchtung, die meines Erachtens nicht von der Hand zu weisen ist. Trotzdem werden wir dafür kämpfen, dass die ursprünglichen Kernthemen eben nicht irgendwann geopfert werden.

In Bayern liegen die Piraten einer aktuellen Umfrage nach bei 6 Prozent, FDP und Linke bleiben deutlich unter der 5-Prozent-Hürde. Sie haben bereits zu erkennen gegeben, dass Sie eine Koalition der Piraten mit SPD, Freien Wählern und Grünen für realistischer halten als eine mit der CSU, aber sie wollen auch eine Liste mit unverhandelbaren Forderungen aufstellen. Präsentieren Sie die dem Wähler noch vor der Landtagswahl? Und was könnte sie enthalten?

Stefan Körner: Ja, ich denke, dass es wichtig ist, dem Wähler zu sagen, worauf er sich verlassen kann. Wir werden bei den nächsten beiden Landesparteitagen unsere Inhalte für den Wahlkampf 2013 festlegen. Dann werden wir sehen, worauf es den Piraten in Bayern ankommt.

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