Bürgerwehren auf Lesbos, NGOs gelten als Sündenböcke
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Die griechische Regierung setzt auf Abschreckung von Flüchtlingen, Konflikte auf den griechischen Grenzinseln
Auf der Insel Lesbos wurden in der Nacht von Donnerstag auf Freitag Mitglieder einer selbst ernannten Bürgerwehr verhaftet. Den Jugendlichen und Männern im Alter von 17 bis 24 Jahren wird vom Staatsanwalt die Bildung einer kriminellen Gruppe vorgeworfen. Sie wurden mit Schlaggerät bewaffnet, Gesichtsmasken und Helmen am Ortseingang des Dorfes Moria festgenommen.
Auch andere Gruppen wie diese kontrollieren auf der Insel Lesbos Passanten, Wohnungen und Geschäfte. Sie sind auf der Suche nach Flüchtlingen, Migranten und Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen (NGO).
Flüchtlingshelfer im Visier von Staat und Medien
Letztere gelten für zahlreiche griechische Medien, aber auch gemäß dem Narrativ der griechischen Regierung als Schleuser und Aufwiegler. Ein frisch erlassenes Gesetz der vergangenen Woche verschärft die Pflicht der Mitarbeiter von NGOs sich in einem staatlichen Register einzutragen. Regierungspolitiker jubeln, dass damit niemand der Flüchtlingshelfer mehr anonym bleiben würde. Wer nicht registriert ist und bei der Flüchtlingshilfe erwischt wird, kann, so wird angedeutet, künftig als Schleuser strafrechtlich verfolgt werden.
In Medien war von einem "Big Brother" für die NGOs die Rede, wobei dies ausdrücklich begrüßt wurde. Zuschauer abendlicher Hauptnachrichtensendungen erfuhren, dass für die NGOs auf der Insel Menschen tätig sind, die "noch nicht einmal über eine griechische Steuernummer" verfügen.
Dass zum Beispiel deutsche und niederländische Mitarbeiter einer NGO als EU-Bürger durchaus ins Land reisen, und dort für ihre Arbeitgeber tätig werden können, wird verschwiegen. Dies ist auch insofern interessant, als dass die neoliberale Politik der regierenden Nea Dimokratia freiwillige Helfer und vom Staat unabhängige Organisationen als förderlich für die Wirtschaft preist. Das Narrativ von der "Gesellschaft der Bürger" und dem "schlanken Staat" gilt offenbar nicht in der Flüchtlingshilfe. Dies, obwohl der griechische Staat, auch unter den vorherigen Regierungen, die Unfähigkeit, die Menschen zu erfassen und zu versorgen, mehrfach unter Beweis stellte.
Die NGOs werden direkt von Brüssel aus finanziell unterstützt. Sie agieren somit ohne direkte Kontrolle durch den griechischen Staat. Tatsächlich verdienen die Mitarbeiter mehr als die überwiegende Mehrzahl der Einwohner der Insel. Angaben über ihre Gehälter werden im griechischen Fernsehen kolportiert, was auch darauf abzielt, die Bevölkerung weiter aufzuwiegeln.
TV-Stationen, wie der Sender STAR TV, sind sich nicht zu schade, Mitgliedern der Goldenen Morgenröte, die in Nachrichtensendungen als "besorgte Bürger" präsentiert werden, ein Podium zu bieten.
Schließlich verkündete der frisch ernannte Minister für Migration, Notis Mitarakis, dass Mitarbeiter von NGOs hinter den jüngsten Demonstrationen der Flüchtlinge und Migranten im Lager Moria stecken würden. Weder der Minister noch die Medien können, in den meisten Fällen, konkrete Namen von für die von ihnen angeprangerten Missstände nennen. Damit werden die NGOs pauschal als Sündenbock für das Chaos der griechischen und europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik gebrandmarkt. Den NGO-Mitarbeitern wird unter anderem vorgeworfen, dass sie an Stränden der griechischen Ägäis-Inseln patrouillieren und damit den aus der Türkei übersetzenden Flüchtlingen und Migranten ein Gefühl der Sicherheit geben.
Gemäß der Argumentationskette der Regierung sind sämtliche Maßnahmen, die Bootsflüchtlinge retten oder deren Leben in den Lagern verbessern können, Anreize für immer wieder neue Flüchtlinge und Migranten, die aus der Türkei über das Meer anreisen. Demnach lautet die Parole nun: "maximale Abschreckung".
Tatsächlich ist die Situation auf den Inseln auch ohne Übertreibung der griechischen Medien schlimm genug. Rund um das Lager Moria auf Lesbos hat sich ein wildes Lager, Dschungel genannt, gebildet. Die dort untergebrachten Menschen erhalten keinen Zugang zu ausreichender Nahrung, Toiletten, elektrischem Strom oder Heizung. Sie suchen sich in den umliegenden Feldern Heizmaterial und Nahrung. Dabei werden auch Olivenhaine durch Holzschlag faktisch zerstört.
Den geschädigten Einwohnern verspricht die Regierung, ebenso wie die Vorgänger, Entschädigungen, die aber nie gezahlt werden. Dies heizt das angespannte Klima zwischen den Einheimischen und den Flüchtlingen und Migranten noch mehr an. Einladend ist das für niemanden, weder für die Flüchtlinge noch für die vom Staat ebenfalls im Stich gelassenen Einwohner.
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