Bulgaren und Mazedonier - Freunde und gute Nachbarn per Vertrag
Seite 2: Mazedonien: ein politisches Konstrukt der Kommunistischen Internationale?
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Bereits am 22. Februar 1999 haben die damaligen Ministerpräsidenten, Bulgariens Regierungschef Ivan Kostov und sein mazedonischer Amtskollege Ljubtscho Georgievski, eine Deklaration zur guten Nachbarschaft unterzeichnet. Sie initiierten damit den Prozess zur Verbesserung des seit Jahrzehnten konfliktbehafteten Verhältnisses beider Länder, der nun nach achtzehn Jahren seine Kodifizierung erhalten hat. Zwar hatte Bulgarien im Januar 1992 als erster Staat überhaupt Mazedoniens Unabhängigkeit anerkannt und dies unter dessen verfassungsmäßigen Namen "Republik Mazedonien" und nicht als "Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" (EJRM). Das änderte aber nichts daran, dass viele, vor allem nationalistisch gesinnte Bulgaren die Mazedonier trotz ihres eigenen Staats recht eigentlich für Ihresgleichen erachten und die mazedonische Sprache für einen südwest-bulgarischen Dialekt. Sie verweisen darauf, dass Mazedoniens heutiges Staatsterritorium im Mittelalter Teil des bulgarischen Zarenreichs war.
Bei der mazedonischen Nation handelt es sich nach Überzeugung vieler Bulgaren um ein politisches Konstrukt Moskaus und der Kommunistischen Internationale (Komintern). Diese hatte 1934 in ihrer "Resolution zur Mazedonischen Frage" das mazedonische Volk zu einem vom bulgarischen verschiedenes erklärt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stimmten die kommunistischen Regierungen Bulgariens und Jugoslawiens ihre Politik in der "Mazedonien-Frage" entsprechend der Komintern-Resolution ab. Dies führte u. a. dazu, dass die bulgarische Staats- und Parteiführung die Existenz einer mazedonischen Minderheit in der bulgarischen Region Pirin-Makedonien anerkannte.
Im Jahr 2012 forderte die von Boiko Borissovs rechtsgerichteter Partei "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB) geführte Regierung von der mazedonischen Regierung den Abschluss eines Nachbarschaftsabkommens zur Regelung strittiger historischer Fragen als Voraussetzung für Bulgariens Unterstützung der Beitrittsbemühungen Mazedoniens zu NATO und Europäischer Union (EU). Doch obwohl die Partei des damaligen Ministerpräsidenten Nikola Gruevski "Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation - Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit" (VMRO-DPMNE), wie GERB der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört, kam es nicht zur Unterzeichnung eines solchen Dokuments. Die VMRO-DPMNE versteht sich als Nachfolgerin der 1919 aus dem BMARK hervorgegangenen historischen VMRO.
Anstatt der Forderung seines EVP-Freundes Borissov nach Regelung strittiger Fragen zu entsprechen, gestaltete der seit 2006 regierende Nikola Gruevski die mazedonische Hauptstadt im Rahmen des Projekts Skopje 2014 zu einem Kuriosum des mazedonischen Nationalismus um. Hunderte Denkmäler historischer Persönlichkeiten sollten die ureigene Genese des mazedonischen Volks erweisen.
Griechenland, wegen seiner gleichnamigen nordostgriechischen Region mit seinem westlichen Nachbarn ohnehin im Streit um den Namen Mazedonien, empörte sich vor allem über die Behauptung einer direkten Nachkommenschaft der heutigen Mazedonier vom antiken Makedonien Alexander des Großen. Bulgarien protestierte gegen Mazedoniens Vereinnahmung historischer Persönlichkeiten, die sie als Figuren der eigenen Nationalgeschichte erachtet. Vor allem die Denkmäler des mittelalterlichen Zars Samuil und der als Wegbereiter des kyrillischen Alphabets geltenden Slawenapostel Kyrill und Method im Zentrum Skopjes erregten den Zorn bulgarischer Nationalisten. https://www.youtube.com/watch?v=c6Xdo01IHo0
Der nun unterzeichnete Freundschafts-, Nachbarschafts- und Zusammenarbeitsvertrag soll mit den gegenseitigen Animositäten zwischen den beiden Balkanländern Schluss machen und eine Ära gegenseitiger Kooperation eröffnen. Parallel zu ihm unterzeichnete Memoranden sehen deshalb eine Verbesserung der Kommunikationsverbindungen vor, u. a. durch die Verknüpfung der nationalen Gasnetze und den Bau einer Eisenbahnstrecke zwischen den Hauptstädten Skopje und Sofia. Eine gemischt besetzte Kommission wird die Umsetzung der Festlegungen des Vertrags zu überwachen haben und eine mazedonisch-bulgarische Historikerkommission soll geschichtliche Streitfälle einer neuen, "objektiven" Betrachtung unterziehen,
Künftig wollen beide Länder gemeinsame historische Feierlichkeiten wie Ilinden zusammen begehen. Bulgarien und Mazedonien erklären, keine gegenseitigen territorialen Ansprüche zu hegen und effektive Maßnahmen gegen böswillige Propaganda zu ergreifen. Bulgarien verspricht Mazedonien Unterstützung seiner Beitrittsbemühungen zu NATO und EU und beide Länder wollen dazu beitragen, die Zusammenarbeit der Länder in Südosteuropa zu stärken. Diese Absichten entsprechen der erklärten Zielsetzung Bulgariens für seine zum Januar 2018 beginnende EU-Ratspräsidentschaft, die Fortschritte bei der euroatlantischen Integration der Westbalkanländer erreichen soll und unter dem Motto steht: "Einigkeit macht stark".
Widerstand von Nationalisten Mazedoniens
Nach der Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrag durch die beiden Regierungschefs müssen ihn nun die nationalen Parlamente ratifizieren. Kann die Ratifizierung Bulgariens als gesichert gelten, hat doch die bulgarische Nationalversammlung dem Dokument bereits Ende Juli 2017 ihre einhellige Zustimmung erteilt, so bestehen bezüglich der Ratifizierung durch die Mazedonische Versammlung gewisse Unwägbarkeiten. Die vom Sozialdemokraten Zoran Zaev angeführte Koalition mit zwei Albanerparteien hat in ihr nur eine dünne Mehrheit, die größte Parlamentsfraktion stellt die oppositionelle VMRO-DPMNE.
"Es gibt noch eine positive Seite des heutigen Treffens und der Unterzeichnung des Vertrags", kommentierte Boiko Borissov die Tatsache dass er als EVP-Mitglied und Sozialdemokrat Zaev als Mitglied der "Partei Europäischer Sozialisten" (PES) unterschiedlichen europäischen politischen Familien angehören und sich dennoch auf die Vertragsunterzeichnung verständigen konnten. "Ihre Opposition in Person von Nikola Gruevski ist in meiner europäischen Partei. Zusammen mit ihm haben wir viel für die Unterzeichnung des Vertrags gearbeitet", zollte Borissov seinem EVP-Parteifreund Gruevski Tribut. Doch der gab ihm bei einer Unterredung kurz nach den Feierlichkeiten zu Illinden zu verstehen, seine Partei VMRO-DPMNE werde dem von Zaev unterzeichneten Vertrag ihre Zustimmung versagen. Bereits zuvor hatte der VMRO-DPMNE-Abgeordnete Dimitar Stevanandschija per Facebook kundgetan, komme seine Partei wieder an die Macht, werde sie das Abkommen für null und nichtig erklären.
Der Vertrag entspreche nur den bulgarischen nationalen Interessen, da er die beiden Nationen nicht benenne, sondern nur von den Bürgern beider Staaten spreche, kritisiert der frühere VMRO-DPMNE-Außenminister Nikola Poposki, "und das, wo die bulgarische Ansicht weitverbreitet ist, dass Mazedonier tatsächlich ethnische Bulgaren wären". Zudem ginge aus dem Vertrag keine eindeutige Anerkennung der mazedonischen Sprache hervor.
Über solche Kritteleien geht die Kritik radikaler mazedonischer Nationalisten weit hinaus. Sie sehen den Vertrag als eine Kapitulationserklärung des Kabinetts Zaev vor ungerechtfertigten Ansprüchen nicht nur Bulgariens, sondern auch der EU und der USA. Zaev tausche die mazedonische Identität, Sprache, Geschichte und Minderheit in Bulgarien ein gegen zweifelhafte bulgarische Zusagen zur Unterstützung Mazedoniens im euroatlantischen Beitrittsprozess, behaupten sie. Mazedonien sei ein von den "Deep State"-Strukturen der USA "gekaperter Staat" und gegängelt von den "kolonialen barbarischen Veranlagungen der EU", schreibt Gorazd Velkovski in dem ultra-nationalistischen Onlinemedium Minareport.
"Sämtliche staatliche Institutionen kapitulieren vor einer albanischen, griechischen und bulgarischen Plattform, koordiniert von einem faschistischen Amerika-EU-Laboratorium", schreibt Velkovski. Das "bulgarische Ultimatum" werde Mazedonien "die Tore zur Hölle öffnen", die Beitritte in "das NATO-EU-Konzentrationslager". "In solchen Kämpfen wird es Blut und Tod und Gefängnisse und schlimme Wunden aller Art geben", entwirft Velkovski ganz im Gegensatz zu den offiziösen Stellungnahmen ein apokalyptisches Szenario zu den Folgen des mazedonisch-bulgarischen "Vertrags zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit".