Bulgariens Gas-Deal: TurkStream als Instrument russischer Kontrolle

Pipeline Bulgarien-Russland

Enthüllungen über Bulgarien-Russland-Energiedeal: Regierung Borissov als Werkzeug des Kremls? Im Zentrum des Skandals: eine Pipeline.

Politische Ränkespiele um die eigentlich vereinbarte Rotation an der Regierungsführung drohen das bulgarische Regierungsbündnis dieser Tage in seine Bestandteile zerfallen zu lassen.

Erdöl als politisches Druckmittel

Trotz erbitterter politischer Gegnerschaft hatten sich die rechtsgerichtete Partei "Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens" (Gerb) und das konservativ-liberale Parteienbündnis aus "Wir setzen den Wandel fort" (PP) und "Demokratisches Bulgarien" (DB) im Juni 2023 zu ihm zusammengefunden.

Es galt, sechste Parlamentswahlen in gut zwei Jahren zu vermeiden. Ein expliziter "Euro-Atlantismus" war ihre einzige politische Gemeinsamkeit, er manifestierte sich in der erklärten Bereitschaft zu militärischer Unterstützung der Ukraine und dem Streben nach energiewirtschaftlicher Unabhängigkeit von Russland.

Noch vor wenigen Jahren deckte Russland dem Balkanland so gut wie seinen gesamten Bedarf an fossilen Brennstoffen und verfolgte großmaßstäbliche Energieprojekte wie den Bau eines Atomkraftwerks bei Belene an der Donau, die submarine Gaspipeline South Stream sowie die Öl-Leitung Burgas-Alexandroupolis.

Letztlich aber wurde auch aufgrund entgegenstehender EU-Direktiven nichts aus dem vom damaligen Staatspräsidenten Georgi Parvanov beschworenen "Grand Slam der Energiewirtschaft". Und im April 2022 gehörte Bulgarien zusammen mit Polen sogar zu den ersten EU-Ländern, denen Russland den Gashahn abdrehte, weil sie seine Gasimporte nicht mit Rubel begleichen wollten.

Die Ausnahmegenehmigung der EU

Im Rahmen ihres Embargos über die Einfuhr russischen Öls gewährte die EU-Kommission Bulgarien indes eine bis zum Jahresende 2024 befristete Ausnahmegenehmigung. Ausschlaggebend dafür waren soziale Erwägungen; allzu stark steigende Treibstoffpreise sollten im sprichwörtlich ärmsten Land der EU vermieden werden.

Als die Tageszeitung Politico aber im November 2023 darüber berichtete, dass die in Besitz der russischen Lukoil befindliche Neftochim-Raffinerie bei Burgas am Schwarzen Meer jährliche Gewinne in Höhe von einer Milliarde Euro nach Russland abführte, beschloss die euroatlantische Parlamentsmehrheit der Bulgarischen Volksversammlung das vorzeitige stufenweise Auslaufen russischer Öl-Importe, um dem Kreml Einnahmen zur Finanzierung seines Kriegs gegen die Ukraine zu entziehen.

Neftochim und die russischen Gewinne

Seit Anfang März 2024 gilt nun ein vollständiges Einfuhrverbot für russische Öl. Neftochim stellt seine Öl-Produkte inzwischen aus eingeführtem Erdöl aus Kasachstan, Irak und Tunesien her. Und Lukoil hat erklärt, sein petrochemisches Werk bei Burgas verkaufen zu wollen.

Haben Bulgariens Euro-Atlantiker ihr Land nun auch unabhängig von russischem Erdöl gemacht, so gewähren sie Gazprom aber weiterhin den Transit seines Gases durch Balkan Stream, das bulgarische Teilstück der TurkStream-Pipeline von der türkisch Grenze nach Serbien und weiter nach Ungarn.

Kontroverse um den Gaspipeline-Transit

Der damalige Regierungschef Boiko Borissov (Gerb) trieb dieses Projekt in den Jahren 2017 bis 2021 voran, ungeachtet heftiger Kritik seitens russlandkritischer Kreise, denen auch seine jetzigen Regierungspartner PP und DB entstammen. Der jetzige Euro-Atlantiker Borissov demonstrierte damals noch gute Beziehungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin.

Bulgariens einstiger Botschafter in Moskau Ilian Wassilew exponierte sich frühzeitig als scharfer Kritiker der bulgarischen TurkStream.

Er bestritt den energiewirtschaftlichen Nutzen der reinen Transitleitung für die bulgarische Gasversorgung und verwies auf ihren geopolitischen Nutzen für Russlands Isolierung der Ukraine.

Über die Jahre hinweg forderten Wassilew und Gleichgesinnte vom Kabinett Borissov die Veröffentlichung des sogenannten "Fahrplans zur Entwicklung der Gasinfrastruktur auf bulgarischem Territorium unter Berücksichtigung der EU-Regeln".

Die Roadmap hatten Bulgariens Energieministerin Temenuschka Petkova und Gazprom-Chef Alexei Miller am 3. Juni 2017 in St. Petersburg unterzeichnet, sie gilt als Grundlage des Vertrags zur Errichtung der Pipeline.

Geheimhaltung und mysteriöse Roadmap

Ministerin Petkova sträubte sich hartnäckig gegen die Offenlegung der Roadmap, behauptete schließlich, sie sei nicht mehr auffindbar. Dies stelle indes kein Problem dar, da es sich bei ihr ohnehin lediglich um ein "Arbeitsdokument" handle.

Dies musste den Argwohn aller kremlkritischen Energieexperten wecken. Nach dem Ende der Amtszeit von Borissovs Regierung im Jahr 2021 suchten auch der Petkova im Amt nachfolgende Energieminister der Übergangsregierung und der Geheimdienst des Landes "Staatliche Agentur für Nationale Sicherheit" (DANS) vergebens nach dem russischen Fahrplan zur Entwicklung der bulgarischen Gasinfrastruktur. Ihre Unauffindbarkeit verlieh der Roadmap einen fast mystischen Nimbus ähnlich dem des verschollenen Bernsteinzimmers.

Seit Anfang dieses Monats aber ist die Roadmap nun für alle Interessierte einsehbar. Hacker der ukrainischen Cyber Resistance Group spürten das auf den 29. Mai 2017 datierte Dokument im persönlichen E-Mail-Account von Jewgeni Zobnin auf.

Als Assistent des stellvertretenden Vorsitzenden der russischen Duma Alexander Babakow erleichterte Zobnin den ukrainischen Hackern ihre konspirative Spürtätigkeit offenbar dadurch, dass er Dokumente und E-Mails unverschlüsselt zwischen Telefon und Computer hin- und hersandte.

So konnte die ukrainische Enthüllungsplattform Infonapalm im Februar 2024 der bulgarischen Online-Gemeinschaft BG Elves (Bulgarische Elfen) ein Datenkonvolut aus zwanzigtausend Dokumenten und fünfundzwanzigtausend E-Mails übergeben. Die BG-Elfen haben der Roadmap nun die eigene Website "TurkStream exposed" eingerichtet.

Nach ihrer Durchsicht kommt das bulgarische Wirtschaftsmagazin Kapital zu dem Schluss, Russland habe den bulgarischen Energiesektor in den Jahren 2018 bis 2020 direkt gesteuert.

Unter Moskaus Druck und bei Verstößen gegen die bulgarische Gesetzgebung und der Missachtung nationaler und europäischer Interessen wurden die Wünsche des russischen Präsidenten Wladimir Putin nach einer Umgehungsgasroute für die Ukraine zugelassen. Es geht um die Fortsetzung von TurkStream, für die Bulgarien drei Milliarden BGN (ca. 1,5 Mrd Euro) bezahlt hat.

Es wurden verschiedene Optionen entwickelt, durch die Gazprom Export die Kontrolle über das Projekt übernehmen und Gazprombank es finanzieren konnte. Der offizielle Gewinner der Ausschreibung, das saudische Konsortium Arkad blieb außen vor.

Kapital

Aus den E-Mails geht zudem hervor, dass der Kreml extra eine Nicht-Regierungsorganisation zur medialen Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Bulgarien, Serbien und Ungarn gründete und mit einem Budget von 498.000 Euro ausstattete. Sie sollte die Ukraine als unzuverlässiges Transitland für Gaslieferungen darstellen und Bulgarien als künftigen Gas-Hub für Südosteuropa.

Borissovs einstige Kritiker sehen sich nun in ihrem Verdacht bestätigt, dass das Projekt Balkan Stream ausschließlich Russlands Interessen diente und möglicherweise ein wesentliches Element seiner Vorbereitungen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine war.

Sie werfen dem früheren Regierungschef vor, die bulgarische Souveränität nicht bewahrt, sondern die nationale Energiewirtschaft russischer Kontrolle unterworfen zu haben. Sie fordern nun die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität, damit er wegen Landesverrats strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann.

Auf Fragen von Journalisten nach der Authentizität der geleakten Roadmap und seinem Beitrag zu den Verhandlungen mit Gazprom antwortete Boyko Borissov im Parlament:

Ich bin stolz darauf, dass es mir gelungen ist, Bulgarien auf der Gaslandkarte zu halten. Ich bin stolz darauf, dass Balkan Stream das einzige rentable Projekt in Bulgarien ist. Das einzige, das es uns geostrategisch ermöglicht, auf dem Balkan eine Rolle zu spielen.

Der seinerzeitige US-Präsident Donald Trump, so behauptet Borissov nun, habe ihm "im Weißen Haus wörtlich gesagt, 'ich ermutige Sie, Balkan Stream zu machen'". Es sei allein den von seiner Regierung erbauten Pipelines und Konnektoren zu verdanken, "dass von Bulgarien aus inzwischen Gas nach Griechenland fließt, in die Türkei und Serbien und später auch in die Ukraine sowie nach Ungarn, Österreich und Nordmazedonien".

Nach Einschätzung von Nikolaj Stajkov vom bulgarischen Antikorruptionsfonds (AKF) geht aus den gehackten E-Mails von Zobnin tatsächlich eine strafrechtliche Verantwortung von Borissovs Regierung hervor.

Sie habe direkten Einfluss auf das offizielle Ausschreibungsverfahren genommen und Gazprom geholfen, das aus diesem als Sieger hervorgegangene saudi-arabische Unternehmen Arkad zu übernehmen und zu seinem Subunternehmer zu machen.

Die neuen geleakten Dokumente zeigen uns, dass es ganz andere Vereinbarungen gibt, die für die bulgarische Öffentlichkeit unsichtbar geblieben sind. TurkStream wurde nach einem völlig anderen Plan gebaut und das offizielle bulgarische Ausschreibungsverfahren war nur ein formaler Teil des Geldflusses.

Nikolaj Stajkov

Im März 2022 hat das Innenministerium der kurzlebigen Regierung von PP/DB Boiko Borissov noch wegen Korruptionsverdachts für vierundzwanzig Stunden in Arrest genommen. Heute aber spielen die TurkStream-Enthüllungen für die Euro-Atlantiker von PP/DB im aktuellen Vaudeville um das politische Überleben der Regierung keine Rolle mehr.

"Wir haben die Roadmap in den aktuellen Verhandlungen nicht erörtert", gab der frühere PP-Ministerpräsident Kiril Petkov gegenüber bTV zu Protokoll und plädierte, "lasst uns jetzt nicht Richter, Staatsanwalt und Antikorruptionkommission spielen".


Redaktionelle Anmerkung: In der Überschrift war zunächst von einem "Erdöl-Deal" die Rede. Richtig ist, dass es um eine Gas-Pipeline geht.