Sanktionen, Erdöl und das große EU-Dilemma: Wie Russland die Oberhand behält!
Die EU setzt auf Sanktionen, aber Russlands Einnahmen aus dem Geschäft mit Erdöl florieren weiter. Wie gelingt Moskau dieser Coup, während Europa im Dilemma steckt?
Für die Wirtschaftskrieger unserer Tage dürfte es eine herbe Niederlage sein: Russlands Einnahmen aus dem Export von Rohöl werden in diesem Jahr voraussichtlich deutlich höher ausfallen als in den vergangenen Jahren. Laut einem Bericht der Financial Times schätzt die Kyiv School of Economics (KSE), dass die Öleinnahmen Russlands um mindestens 15 Milliarden US-Dollar höher ausfallen werden als sonst.
Was hat man sich nicht alles einfallen lassen, um die Kriegskasse des Kremls zu schmälern! Bevor der Kreml seine Truppen in die Ukraine einmarschieren ließ, stammte mehr als ein Drittel der deutschen Ölimporte aus Russland. Alle EU-Staaten zusammen bezogen 2019 rund ein Drittel ihrer Ölimporte von dort.
Im vergangenen Jahr hatten die EU-Staaten ein Embargo für russisches Rohöl auf dem Seeweg beschlossen. Es folgte der freiwillige Verzicht Polens und Deutschlands auf Öl, das über die Druschba-Pipeline geliefert wird. Bis heute wird weitgehend auf das schwarze Gold aus Russland verzichtet.
Eine Ausnahme bei den Pipelinelieferungen bilden Ungarn und Tschechien. Die Regierung in Budapest war von Anfang an nicht bereit, auf russische Energieträger zu verzichten. Auch Tschechien bezieht weiterhin Öl aus Russland und hat dessen Anteil an den Gesamtimporten in diesem Jahr sogar noch erhöht.
Das einzige Land, das noch auf dem Seeweg mit Rohöl aus Russland versorgt wird, ist Bulgarien. Knapp 146.000 Barrel pro Tag sind es noch, schreibt der Finanzdienst Bloomberg in einer aktuellen Analyse. Weiter heißt es dort:
Ein Markt, der täglich etwa 1,5 Millionen Barrel Rohöl auf dem Kurzstreckenseeverkehr von den Exportterminals in der Ostsee, dem Schwarzen Meer und der Arktis abnahm, ist fast vollständig verloren gegangen und wurde durch Langstreckendestinationen in Asien ersetzt, deren Bedienung wesentlich kostspieliger und zeitaufwendiger ist.
Russland hat mit dem Embargo seinen Premiummarkt in Europa verloren, aber das war nicht in jeder Hinsicht ein Nachteil. Vor dem Embargo war Moskau in hohem Maße von Europa abhängig, jetzt wird das Land als Verkäufer unabhängiger, so die Financial Times.
Statt Europa werden nun vorrangig andere Regionen der Welt beliefert. Die G7-Staaten haben zwar versucht, auch für diesen Handel die Bedingungen zu diktieren, sind damit aber weitgehend gescheitert.
Die G7-Staaten wollten ausnutzen, dass westliche Unternehmen den Versicherungs-, Dienstleistungs- und Frachtmarkt für Öltransporte dominieren. Die Unternehmen wurden verpflichtet, russisches Öl nur dann zu transportieren oder zu versichern, wenn es unterhalb einer festgelegten Preisobergrenze verkauft wird.
Mit dieser Politik untergruben die G7-Staaten ihren eigenen Einfluss. Im August wurden fast drei Viertel aller russischen Öltransporte auf dem Seeweg ohne westliche Versicherung abgewickelt. Und der Durchschnittspreis, den Russland erzielt, liegt über der Preisobergrenze von 60 US-Dollar pro Barrel. Das berichteten die Financial Times und Bloomberg übereinstimmend.
Als die Preisobergrenze im vergangenen Jahr eingeführt wurde, sanken die Preise für die russische Ölsorte Ural. Im Vergleich zur Sorte Brent musste ein Abschlag von rund 40 US-Dollar je Barrel erlassen werden. Das gehört inzwischen auch der Geschichte an. Die russische Regierung kalkuliert inzwischen wieder mit einem Abschlag von 20 US-Dollar je Barrel.
Bei raffinierten Ölprodukten nahm die Entwicklung eine ähnliche Richtung. Vor dem Krieg importierte Deutschland etwa 4,8 Millionen Tonnen Diesel aus Russland. Das war rund ein Drittel aller Importe. Die gesamte Europäische Union bezog etwa die Hälfte ihres Bedarfs aus russischen Quellen.
Auf diese Importe verzichteten die EU-Staaten ebenfalls – scheinbar. Denn der Handel wurde nicht mehr direkt mit Russland abgewickelt, sondern über Drittstaaten. Saudi-Arabien vervielfachte etwa seine Importe aus Russland und exportierte entsprechend mehr nach Europa. Ähnlich agierten zahlreiche afrikanischen Länder.
Für die EU-Staaten hat sich dadurch nicht viel verändert: Das Angebot an Diesel konnte weitgehend aufrechterhalten werden. Dafür wurde allerdings ein Aufschlag fällig, der bereits in den vergangenen Monaten an den Tankstellen zu spüren war.
Nun hat sich die Situation für Europa ein weiteres Mal verändert. Die Preise sind gestiegen – und die EU-Staaten sind weiterhin nicht in der Lage, Diesel aus Russland zu ersetzen. Es gibt nicht genügend Raffineriekapazitäten dafür.
Nachdem der Kreml vergangene Woche Dieselexporte für eine unbestimmte Zeit verboten hat, dürfte sich dies in absehbarer Zeit an den Tankstellen bemerkbar machen. Und vielleicht erwächst daraus die Erkenntnis, dass Sanktionen nicht dazu taugen, Frieden zu schaffen.
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