Bundeswehr bald auf der Jagd auf deutsche Staatsbürger in Syrien?
- Bundeswehr bald auf der Jagd auf deutsche Staatsbürger in Syrien?
- Deutsche Dschihadisten in Syrien
- Mandat des Bundestages?
- Auf einer Seite lesen
Mit einer steigenden Zahl von "Märtyrern" steigt die Gefahr, dass die in der BRD lebenden Syrien-Rückkehrer Blutrache nehmen
Nach den Terroranschlägen in Paris droht eine Ausweitung des Krieges gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien. Im Rahmen des internationalen Luftkriegs gegen den IS will die Bundesregierung mehrere Aufklärungsflugzeuge vom Typ Tornado nach Syrien entsenden, um die Zielaufklärung zu verbessern. Mehrere hundert Dschihadisten aus der Bundesrepublik halten sich z. Zt. in Syrien auf und werden damit zu Zielpersonen des Bundeswehreinsatzes. Damit drohen extra-legale Tötungen im Staatsauftrag. Gleichzeitig erhöht sich die Gefahr von Vergeltungsschlägen gegen das Bundesgebiet.
Der geplante Bundeswehreinsatz gegen den IS
Im März 2011 begann der Bürgerkrieg Syrien, als Baschar al-Assad Proteste der Bevölkerung in Damaskus blutig niederschlagen ließ. Seit 2013 hat der Islamische Staat sein Operationsgebiet von Irak auch auf Syrien ausgeweitet und agiert dort als Kriegspartei gegen das Assad-Regime.
Am 8. August 2014 begann eine internationale Militäroperation unter Führung der USA (Operation INHERENT RESOLVE), die z. Zt. von US-Generalleutnant Charles Q. Brown geführt wird. Diese richtet sich nicht gegen das Assad-Regime, das von der NATO - nach wie vor - wie ein sowjetisch-russisches Sanktuarium behandelt wird, sondern dient ausschließlich der Bekämpfung des Islamischen Staates.
Seit August 2014 beteiligt sich das Bundesheer in geringem Umfang an der internationalen Militäroperation. Allerdings sind die Aktionen territorial auf den Irak begrenzt und beschränken sich auf die militärische Ausbildung und Ausrüstung kurdischer Peschmerga-Einheiten, die im Kampf gegen den IS nur eine marginale Rolle spielen. Dazu betreibt die Bundeswehr - zusammen mit dem Vereinigten Königreich, Niederlande, Norwegen und Italien - das Kurdistan Training Coordination Center (KTCC) in Erbil (Irak) (Syrien: Terrorismusbekämpfung zwischen Kuhhandel und Blockkonfrontation).
Nach der Anschlagsserie des Islamischen Staates in Paris am 13. November 2015 erklärte der französische Staatspräsident François Hollande den EU-Bündnisfall und verkündete den "totalen Krieg". In der Folge sicherte Angela Merkel bei ihrem Besuch am 25. November 2015 in Paris ihrem französischen Kompagnon uneingeschränkte Solidarität zu. Dazu soll nicht nur die bereits laufende Trainingsmission ausgeweitet werden.
Nach den derzeitigen Planungen des Bundesverteidigungsministeriums will man insgesamt 1.200 Soldaten in den Nahen Osten verlegen. Der Einsatz soll nach den Weihnachtsfeiertagen beginnen und bis zum 31. Dezember 2016 dauern. In einer vertraulichen Kabinettsvorlage wird das Einsatzgebiet sehr weit gefasst, was Raum für spätere Ausdehnungen lässt: Östliches Mittelmeer, Persischer Golf, Rotes Meer und "angrenzende Seegebiete". Die Kosten werden auf 134 Millionen Euro taxiert.
Wichtiges Waffensystem sind vier bis sechs Aufklärungsflugzeuge plus Reservemaschinen vom Typ Panavia Tornado Recce, die zwecks "Imagery Intelligence" im extremen Tiefflug (ca. 60 m Flughöhe) über das Gefechtsfeld rasen, um Fotoaufnahmen zu machen. Dazu sind die Maschinen seit 2009 mit einem Aufklärungspod "RecceLite" in einer Unterrumpfstation ausgestattet. Dieser Pod enthält mehrere hochauflösende elektro-optische und FLIR-Kameras (ein Zeiss KS153A Trilens, ein Zeiss KS153A Tri- oder Pentalens und ein IR-Line Scanner) für Einzel- und Serienaufnahmen. Die IMINT-Bilddaten werden in Echtzeit an die Bodenstation (Recce-Ground-Station) und von dort an die alliierten Nachrichtendienste bzw. Jagdbomberverbände weitergeleitet, um die Zielplanung für die Jagdbomberverbände zu "bereichern". Zum Selbstschutz sind die Tornados mit einer Bordkanone Mauser BK-27 mm und Jagdraketen der Typen AIM-9L Sidewinder und IRIS-T bewaffnet.
Angesichts seiner zweifelsohne vorhandenen technischen Parameter mag der Tornado Recce in einem konventionellen Krieg gegen feindliche Panzerverbände, Artilleriestellungen oder Brückenköpfe ein erfolgreiches Aufklärungssystem sein, aber dies gilt nicht für einen Guerillakrieg, in dem der Gegner kaum sichtbar und von der Zivilbevölkerung kaum unterscheidbar ist. So brachte bereits der Tornado Reconnaissance-Einsatz in Afghanistan von April 2007 bis 2010 keine nennenswerten Ergebnisse.
Die Tornados gehören zur 1. Aufklärungsstaffel des Taktischen Luftwaffengeschwader 51 "Immelmann" (TaktLwG 51 "I") und sind auf dem Fliegerhorst Schleswig-Jagel stationiert. Sie sollen auf dem türkischen Fliegerhorst Incirlik oder dem jordanischen Militärflughafen Amman stationiert werden. Dazu wird zusätzlich eine Kompanie Sicherungskräfte verlegt.
Ein Tankflugzeug der Flugbereitschaft der Bundesluftwaffe vom Typ Airbus A310 MRTT soll die französischen Jagdbomber Mirage 2000, Rafale und Super Etendard in der Luft auftanken, um deren Einsatzzeiten über dem Kriegsgebiet zu erhöhen. Dazu kann das Tankflugzeug über sein "Hose-and-Drogue"-Schlauchsystem bis zu 45 Tonnen Flugbenzin abgeben.
Die Bundesmarine stellt eine Fregatte mit rund 240 Matrosen, die zum Geleitschutz des französischen Flugzeugträgers "Charles de Gaulle" im östlichen Mittelmeer zur Luftraumverteidigung eingesetzt werden soll. Da es keine Bedrohung des Träger durch IS-Kräfte gibt, dient die Beteiligung der Bundesmarine an diesem Bundeswehreinsatz wohl nur der Befriedigung der Eitelkeit der deutschen Admiralität.
Ergänzend zu den Tornadodaten will man auch Daten des Satellitensystems SAR Lupe an die französischen Nachrichtendienste weiterleiten.
Mit 1.200 Soldaten und der Beteiligung aller drei Teilstreitkräfte wäre dies der größte laufende Auslandseinsatz der Bundeswehr. Aber Syrien ist ein zweifelhaftes Kriegstheater, wo derzeit ein Proxy-war "jeder gegen jeden" stattfindet. Insgesamt gibt es in Syrien z. Zt. bis zu 300 Gruppierungen und Splittergruppen. Ein Überblick ist kaum zu erstellen, zumal manche Gruppierungen vorübergehend unter irgendwelchen Phantasienamen operieren, zerrieben werden oder in anderen Gruppierungen aufgehen. Was die Bundeswehr hier erwartet, ist praktizierte Militärstrategie im Kompetenzbereich forensischer Psychiatrie.
Dschihadisten aus Deutschland in Syrien
Im März 2011 begann in Syrien ein Aufstand gegen das autoritäre Regime des Bashar al-Assad, der sich zu einem Bürgerkrieg ausweitete. Während sich im Jahr 2011 nur circa zehn Personen aus der Bundesrepublik nach Syrien aufmachten, um sich am Dschihad zu beteiligen, waren es im folgenden Jahr rund fünfzig weitere Personen.
Im Jahr 2013 sollen sich rund 180 Dschihadisten aus der Bundesrepublik auf den Weg nach Syrien gemacht haben. Anfang 2015 wurde die Gesamtzahl auf 550 Personen geschätzt; im September 2015 waren es nach den Verfassungsschutz bereits rund 750 Personen.
Allerdings können die deutschen Sicherheitsbehörden nicht wirklich einschätzen, wie viele Kriegsfreiwillige tatsächlich in Syrien angekommen sind, was sie dort machen, in welchem Umfang sie an Kampfhandlungen und Kriegsverbrechen beteiligt sind und ob sie bereits die Heimreise angetreten haben oder nicht. So bekannte Hans-Georg Maaßen schon im Oktober 2013: "Das Dunkelfeld kennen wir nicht.".
Experten schätzen, dass die tatsächliche Zahl der Syrienkämpfer zwei- bis dreimal so groß ist wie die von den deutschen Sicherheitsbehörden erfassten Fälle. Früher hatte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz auf die ergänzende Aufklärung durch ausländische Partnerdienste verlassen, aber auch dies funktioniert nun nicht mehr. Den angehenden Dschihadisten kommt entgegen, dass die Anreise nach Syrien relativ einfach und billig ist.
Mehr als die Hälfte der Rekruten aus der BRD besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, der Rest sind die Kinder von Arbeitsimmigranten. Rund zwanzig Prozent der Syrienreisenden sind Frauen. Der jüngste "Gotteskrieger" ist ein dreizehnjähriger Schüler aus München. Der Junge reiste am 20. Juli 2015 in Begleitung einer Verwandten los. Am 24. Juli wurde er am Busbahnhof in der türkischen Stadt Gaziantep von der türkischen Polizei aufgegriffen und nach Deutschland zurückgeschickt. Neben sozial deklassierten Jugendlichen ohne Berufsausbildung reisten auch mindestens 25 Ex-Soldaten der Bundeswehr nach Syrien/Irak, die sich mit ihrer Kampfausbildung am Dschihad beteiligen wollten.
Bis Mitte 2015 waren 225 Dschihadisten wieder zurück in Deutschland. Einige wollen hier ihre Kriegsverletzungen auskurieren, andere organisieren den logistischen Nachschub für ihre Kampforganisation. Die Behörden ermitteln gegen diese Rückkehrer wegen des Verdachts, im Ausland terroristische Straftaten begangen zu haben, allerdings ist die Beweisführung schwierig. Mindestens 70 verfügen über Kampferfahrungen. Gegen die Rückkehrer sind Ermittlungsverfahren anhängig.
Dennoch behauptete die Bundesregierung noch im August 2015 in einer amtlichen Lageeinschätzung zu dem Ergebnis, dass der IS derzeit keine Gefahr für die Sicherheit der BRD darstellt: "Die Bundessicherheitsbehörden gehen davon aus, dass der IS im Bundesgebiet derzeit über keine operativ handlungsfähigen, hierarchisch organisierten Strukturen verfügt." Derweil stieg die Zahl der Todesopfer unter den Dschihadisten in Syrien/Irak bis Mitte September 2015 auf 120 Personen und hatte sich damit gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.
Rechnet man von den insgesamt 750 der bekannten Syrienreisenden die 255 Rückkehrer und 120 Toten (hier mit einem "+" gekennzeichnet) ab, dann befinden sich in z. Zt. noch 375 Dschihadisten in Syrien/Irak.