Bundeswehr bekommt Augen im All
Mit den Spionagesatelliten SAR-Lupe wird Deutschland nach den USA und Russland der dritte Staat mit Radarüberwachung aus dem Weltraum
Deutschland steigt in die Weltraumspionage ein. Die Bundeswehr bekommt ab 2005 insgesamt fünf Spionagesatelliten vom Typ SAR-Lupe. Für 300 Millionen Euro leistet sich die Bundeswehr damit einen nationalen Einstieg in die Überwachung aus dem Weltall. Über die bei dem System genutzte Radarüberwachung, mit der Bilder in einer Auflösung von einem Meter auch bei schlechtem Wetter oder bei Nacht möglich sind, verfügen bislang nur die USA und Russland.
Die Satelliten, die im Abstand von einem halben Jahr ins All geschossen werden und die Bundeswehr ungefähr zehn Jahre lang mit Bildern versorgen sollen, arbeiten nicht wie viele andere Spionagesatelliten im optischen Frequenzbereich, also mit normalen Fotomethoden. Sie nutzen stattdessen Radartechnologie, mit der sie auch durch Wolkendecken sehen und bei Dunkelheit Bilder machen können. Die etwa 700 Kilogramm schweren künstlichen Erdtrabanten arbeiten mit dem Synthetic Aperture Radar (SAR), das z.B. auch im amerikanischen Spionageflugzeug J-STARS eingesetzt wird. Die Bezeichnung "Lupe" stammt von einer neuen, in Deutschland speziell entwickelte Technik. Die Satelliten beobachten normalerweise ein großes Gebiet mit geringerer Auflösung, können aber mit der "Lupen"-Funktion bei Bedarf einzelne Ausschnitte vergrößern. Damit ist eine Auflösung von bis zu einem Meter möglich. Einzelne Fahrzeuge können damit unterschieden werden. Das System kann den gesamten Erdball überwachen.
"Zur Verbesserung unserer strategischen Aufklärungsfähigkeit beschaffen wir das allwetterfähige Radarsatellitensystem SAR-Lupe. Mit dem französischen optischen Satellitensystem HELIOS II wird es den Kern eines 'europäischen satellitengestützten Aufklärungsverbundes' bilden." - Rudolf Scharping am 8.4.2002
Die Ausschreibung für das Satellitensystem hatte ein Konsortium unter Führung des Bremer Raumfahrtunternehmens OHB System bereits im August letzten Jahres gewonnen. Im Dezember gab dann der Haushaltsausschuss des Bundestages die Finanzierung frei. OHB System hatte bereits seit 1998 an dem System SAR-Lupe gearbeitet. An dem Konsortium sind eine Reihe anderer Rüstungs- und Raumfahrtunternehmen aus dem In- und Ausland beteiligt, darunter Alcatel Space (Toulouse), TESAT (früher Bosch Satcom, Backnang), Carlo Gavazzi Space (Mailand), Saab Ericsson (Göteborg), RST (Salem), EADS Dornier (Friedrichshafen). Die Konkurrenz unter Führung von Astrium konnte sich nicht durchsetzen. Astrium wird allerdings durch den kürzlichen Beschluss der europäischen Verkehrsminister zur Beschaffung des Satellitennavigationssystems Galileo (Startschuss für Galileo) mehr als entschädigt. Das Unternehmen ist an Galileo Industries zu 50 Prozent beteiligt, und das Navigationssystem, das eine direkte Konkurrenz zum amerikanischen Global Positioning System (GPS) darstellt, kostet mit seinen 30 Satelliten zwölf mal soviel wie die fünf deutschen Radar-Spione.
Der Start des ersten Satelliten ist für Anfang 2005 mit einer russischen Rakete geplant. Auch hier demonstriert die Bundeswehr Unabhängigkeit von den USA, gegen deren zurückhaltende Informationspolitik sich das Projekt vor allem richtet. Die USA besitzen bereits seit Jahren hochauflösende Radaraufklärungssatelliten vom Typ Lacrosse. Diese sind allerdings deutlich größer als die SAR-Lupe - 15 Tonnen Gewicht und so groß wie ein Autobus. Ihre Auflösung beträgt wie bei dem deutschen Modell einen Meter. Die optischen Fotosatelliten der USA können in der modernen Version Improved Crystal Kennan KH-12 Keyhole sogar Objekte mit einer Größe von 5 bis 10 Zentimetern erkennen. Schon lange - ob im Sechs-Tage-Krieg, im Golfkrieg oder im Kosovokrieg - hatten sich deutsche Militärs und Sicherheitspolitiker darüber beklagt, dass sie von den USA nur unzureichend mit Spionagebildern versorgt wird.
Im Rahmen der Westeuropäischen Union (WEU), die inzwischen den militärischen Arm der EU bildet, hatten die europäischen Regierungen daher seit Jahren versucht, ihre Weltraumspionage zu bündeln. Das 1992 gegründete WEU-Satellitenzentrum im spanischen Torrejon erhielt aber nur schwach auflösende Bilder von kommerziellen Fotosatelliten wie dem französischen SPOT oder dem russischen KVR-1000, dazu vom 1995 gestarteten militärischen Fotosatelliten Helios-I der französischen Regierung, der ebenfalls keine sehr hohe Auflösung hat. Mitte der neunziger Jahre planten Helmut Kohl und François Mitterand daher das gemeinsame Nachfolgeprogramm Helios-II mit optischen und Radarsatelliten. Das Projekt platzte, ebenso wie eine noch im Sommer 2001 geplante Beteiligung Frankreichs an dem Projekt SAR-Lupe. Deutschland setzt mit dem neuen Radarsystem nun vor allem auf eine gute Verhandlungsposition im NATO-internen Informationspoker mit den europäischen Verbündeten und den USA. Denn darum geht es bei dem Projekt vor allem: nicht vorrangig um Bilder für deutsche Einsätze, sondern um Verhandlungsmasse, damit man im Austausch für die Spionageerkenntnisse der Verbündeten etwas anzubieten hat.
Heikler Nebenaspekt: Ein Großteil der Grundlagenforschung für SAR-Lupe ist an Instituten der offiziell rüstungsfreien Universität Bremen geleistet worden. Der Bereich "Bildverarbeitung" des Technologie-Zentrum Informatik Bremen (TZI) etwa erforschte unter anderem die Objekterkennung aus der Luft. Dabei wurden nach Informationen des Bremer AstA auch studentische Projekte genutzt, etwa das Projekt SImA (Satellite Imagine Analysis), dessen Schwerpunkt das "Analysieren von SAR-Bildern" und die Entwicklung von Auswertungssoftware war. Zwar war das Hauptuntersuchungsobjekt in diesem Projekt das Verfolgen von Eisschollen, aber die Erkenntnisse lassen sich auch für das Überwachen anderer bewegter Objekte, etwa Fahrzeugkonvois, nutzen
. Der Hersteller von SAR-Lupe, OHB System, ist im Technologiepark in direkter Nachbarschaft der Universität angesiedelt und war offizieller Partner des Projektes. Auch das universitäre Zentrum für Kognitionswissenschaften (ZKW) war an dem Projekt beteiligt. Am ZKW wird anhand der Hirnaktivitäten bestimmter Tiere erforscht, wie mit neuronalen Netzen eine schnelle Objekterkennung realisiert werden kann - ebenfalls eine interessante Frage für die Satellitenspionage. Offiziell entspricht dies nicht der Linie der traditionell linken Universität. Ein Beschluss des Akademischen Senates stellte noch 1992 fest: "Der Akademische Senat lehnt jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung ab und fordert die Mitglieder der Universität auf, Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen können."