Bundesweite "Notbremse" für Privates und Branchen mit Freizeitbezug
Landkreise, Richter, Aktivisten: Die Pläne der Bundesregierung werden von mehreren Seiten kritisiert. Befürchtet wird ein "Dauer-Lockdown"
Eine "Notbremse" zur Eindämmung der Corona-Pandemie stellen sich Regierungsparteien und Aktivisten unterschiedlich vor. Kurz, aber konsequent inklusive bezahlter dreiwöchiger Arbeitspause wäre ein Lockdown aus Sicht der Initiative "Zero Covid" sinnvoll. Von einseitigen Einschränkungen des Privat- und Freizeitlebens haben auch diejenigen genug, die am Samstag in mehreren Städten für einen "solidarischen Shutdown" auf die Straße gingen.
Davon kann allerdings bei der tatsächlich geplanten "Notbremse" keine Rede sein. Arbeit soll nur nach Möglichkeit im Homeoffice stattfinden, solange der kritische Wert von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen nicht unterschritten wird. Arbeitspausen - allerdings ohne vollständigen Lohnersatz - werden weiterhin für diejenigen verordnet, die im Normalfall dort arbeiten, wo andere gern ihre Freizeit verbringen.
Denn Cafés, Bars, Restaurants und Clubs, Sport-, Kultur- und Freizeitstätten müssen ebenso schließen wie Einzelhandelsgeschäfte, die keine Lebensmittel, Drogerieartikel oder Medikamente verkaufen. In einer Petition der Gewerkschaft ver.di wird für die Betroffenen ein Mindest-Kurzarbeitergeld in Höhe von 1.200 Euro gefordert.
Nicht geplant ist bisher ein Herunterfahren der Produktion nicht lebensnotwendiger Waren - in Werkshallen und Verteilzentren von Paketdiensten können weiterhin viele Menschen zusammenkommen. Private Treffen sollen aber ab dem genannten Schwellenwert auf Angehörige eines Haushalts und eine weitere Person beschränkt werden. Zudem sollen nächtliche Ausgangssperren ab 21 Uhr gelten.
Was bisher über die Pläne zur Nachschärfung des Infektionsschutzgesetzes und zur bundesweiten Vereinheitlichung der Maßnahmen bekannt wurde, ruft von mehreren Seiten Kritik hervor. Die genannten Eckpunkte stehen laut Medienberichten in einem Entwurf, der offenbar am Freitagnachmittag in die Ressortabstimmung zwischen den Bundesministerien gegangen ist und wenig später unter anderem dem Tagesspiegel vorlag. Das Kabinett soll den Entwurf am Dienstag beschließen.
Damit soll festgeschrieben werden, was bundeseinheitlich gilt, wenn in einem Land- oder Stadtkreis die Sieben-Tages-Inzidenz über den Wert von 100 steigt. Im Durchschnitt liegt er aktuell nach Angaben des Robert-Koch-Instituts und der Bundesregierung bei 129,2. Schulen und Kitas dürfen nach den aktuellen Plänen bei einer Inzidenz von bis zu 200 offen bleiben - allerdings sollen nur zweimal wöchentlich negativ auf das Virus getestete Kinder und Jugendliche am Präsenzunterricht teilnehmen dürfen.
"Misstrauensvotum gegenüber Ländern und Kommen"
Der Präsident des deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, hält von der bundesweiten Vereinheitlichung der Maßnahmen wenig: "Der vorliegende Entwurf ist ein in Gesetz gegossenes Misstrauensvotum gegenüber Ländern und Kommunen", er am Wochenende den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Damit verlässt der Bund den Modus gemeinsamer Krisenbekämpfung und will direkt vor Ort wirkende Maßnahmen anordnen."
Der frühere Vorsitzende des Deutschen Richterbunds, Jens Gnisa, bezeichnet die geplanten Ausgangssperren zwischen 21 Uhr und fünf Uhr morgens als "Nichtachtung der Justiz", da Gerichte die Wirksamkeit solcher Maßnahmen angezweifelt hätten. Auch die strengen Kontaktbeschränkungen seien aus seiner Sicht rechtlich zweifelhaft. "Eltern ab einer Inzidenz von 100 zu verbieten, ihre Kinder zu treffen, entspricht für mich auch nicht dem Bild des Grundgesetzes", schrieb Gnisa am Samstag auf seiner Facebook-Seite. Es gehe bei den aktuellen Vorschlägen nicht mehr um einen "Brücken-Lockdown" von zwei oder drei Wochen, sondern um einen "nicht mehr einzufangenden Dauer-Lockdown".