Bundesweite Polizeirazzien: Hamas ist der neue IS
Im Verdacht der Fahnder stehen Hilfsorganisationen mit altbekannten Verbindungen zu Salafisten
Der extremistisch-salafistischen Szene in Deutschland ist augenscheinlich nicht leicht beizukommen. Das zeigt sich an dem Polizeieinsatz, über den heute in mehreren Medien berichtet wird. Laut Tagesschau kam es zu Razzien in neun Bundesländern unter dem Verdacht der Terrorunterstützung.
Etwa 90 Objekte seien laut Bundesinnenministerium in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein durchsucht worden. Die Durchsuchungen sollen "Einrichtungen eines bundesweiten mutmaßlich islamistischen Netzwerks" gegolten haben.
Zwei Namen werden im Zusammenhang mit dem "mutmaßlich islamistischen Netzwerk" genannt: Die Vereine WWR Help und Ansaar International, die in NRW ansässig sind, sollen an der Spitze dieses Netzwerks stehen. Vom Innenministerium wird der Verdacht präzisiert, wonach die Terrorunterstützung mit der Hamas in Verbindung steht. Die Durchsuchung galt Unterstützern, die der palästinensischen Terror-Organisation "finanziell und propagandistisch" helfen.
Auch Innenminister Seehofer erwähnte die Hamas prominent.
Wer unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe die Hamas unterstützt, missachtet fundamentale Wertentscheidungen unserer Verfassung.
Innenminister Horst Seehofer
Wer ein bisschen zur Razzia-Meldung von heute herumstöbert, stößt bald auf eine ähnliche Großrazzia, die im November 2016 durchgeführt wurde. Damals war die Rede von einem Islamisten-Netzwerk - allerdings ohne das Beiwort "mutmaßlich" - in zehn Bundesländern. Ziel der Polizeieinsätze waren die gleichen Bundesländer wie heute, dazu Bremen.
Damals richtete sich das Vorgehen gegen "mutmaßliche Unterstützer der Terrormiliz 'Islamischer Staat' (IS)". Diesmal ist es die Unterstützung der Hamas. Ein neuer Akzent der Fahndung? Bemerkenswert ist, dass im November 2016 im Zusammenhang mit dem islamistischen-salafistischen Netzwerk zwei Namen fielen, die auch jetzt wieder auftauchen: "Die wahre Religion" und "Lies!".
Die Hilfsorganisationen
Es geht um deren Verbindungen zu den Vereinen WWR Help und Ansaar International. Beide Vereine bitten aktuell auf ihren Webseiten hier und hier um Hilfe für Ramadan-Pakete 2019 bitten und dazu mit Videos auf YouTube (hier und hier) an das Mitgefühl mit Kindern, bei WWR Help im Gazastreifen, appellieren, sind dem Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen schon länger aufgefallen.
Die Verfassungsschützer teilen die Arbeit des Vereins Ansaar International in vorder- und hintergründige Aktivitäten auf. "Vordergründig verfolgt Ansaar demnach den Zweck, humanitäre Hilfe für Muslime weltweit zu leisten - beispielsweise in Syrien, Somalia, Marokko und Myanmar", heißt es in einem Bericht der Westdeutschen Zeitung zur heutigen Razzia, der auch noch andere Einnahmequellen erwähnt: ein Ladenlokal mit dem Namen "Ummashop", mit Kleidung der neuen Marke "Ansaar clothing", ein Restaurant, ein Secondhandshop und ein weiteres Geschäft, das Ansaar zugerechnet wird.
Hintergründig geht es um Kontakte zur "mutmaßlichen Islamistenszene", die die Frage aufkommen lassen, was mit den Verkaufserlösen und den gesammelten Spendengeldern und Mitgliedsbeiträgen passiert.
Die erwähnten Angaben der Westdeutschen Zeitung finden sich im Lagebild Salafismus des NRW-Innenministerium. Dort heißt es, dass der Verein "Ansaar International e.V." im Jahr 2012 unter dem Namen "Ansaar Düsseldorf e.V." gegründet wurde und nach eigenen Angaben "in den letzten Jahren rund 12 Millionen Euro bewegt hat".
Laut Verfassungsschutz habe er alleine in Nordrhein-Westfalen rund 170 aktive Anhänger eingebunden. Über Subvereine, Ablager und Sammelstellen schätzt der Verfassungsschutz die Zahl der Aktivisten auf mehrere Hundert. "Ansaar International ist damit de facto die aktuell größte und aktivste sogenannte Hilfsorganisation in Nordrhein-Westfalen", heißt es im Lagebericht, der darauf aufmerksam macht, dass diese Erkenntnisse aus früheren Verfassungsschutzberichten laut NRW-Innenministerium auch 2018 gelten.
Das Netzwerk
Zu den Erkenntnissen gehört, dass der Hintergrund wenig gut ausgeleuchtet ist bei einer auffallend gleichen Grundkonstellation seit mehreren Jahren. Zumindest sieht es nach den Erkenntnisse so aus, die vom Verfassungsschutz nach außen gegeben werden.
Da werden gar keine Namen oder Anlaufstellen genannt, sondern es wird erstmal ex negativo argumentiert - "keine Distanzierung zu extremistischen Bestrebungen" - um dann auf eine bekannte Szene zurückzugreifen.
Auch wenn Ansaar öffentliche Kontakte zu extremistischen Hauptakteuren vermeidet, ist keine hinreichende Distanzierung des Vereins von extremistisch-salafistischen Bestrebungen zu erkennen, da intensive Kooperationen mit anderen Personen der extremistisch-salafistischen Szene nachzuweisen sind. Auffällig ist hierbei, dass es hinsichtlich des involvierten Personenkreises mittlerweile Überschneidungen zwischen diesem Verein und dem verbotenen Verein "Die Wahre Religion/Lies!" gibt.
Lagebericht Salafismus NRW
Der Verein "Die Wahre Religion (DWR) alias "Stiftung Lies!" wurde Ende Oktober 2016 wegen verfassungswidriger Bestrebungen verboten. Der Verein und dessen Schlüsselfigur Ibrahim Abou-Nagie standen zuvor schon lange im Visier des Verfassungsschutzes. Sie sind Teil eines größeren salafistischen Netzwerkes, das mit dem Dschihad in Syrien Verbindung hatte und offenbar auch IS-Kämpfer rekrutierte.
Nun stehen die Hamas und die Finanzierung offenbar deutlicher im Visier der Fahnder.