Bunny über den Wolken

Weil der Absatz am Kiosk insgesamt rückläufig ist, werden immer mehr Zeitschriften in Flugzeugen, Hotels und auf Veranstaltungen kostenlos verteilt oder als „Lesezirkel“ billig verramscht

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Das war verlockend. Für 49,99 Euro konnte man Ende Juli in den Aldi-Süd-Filialen Coupons für Flüge mit dem Billig-Carrier „dba“ beispielsweise von Hamburg nach Ibiza, von Dresden nach Athen oder von München nach Stockholm ergattern, Steuern und Gebühren bereits inklusive. Wer schließlich eines der - nach Firmenangaben - insgesamt 565.000 Tickets abbekommen hat, darf sogar einen Anflug von Komfort an Bord der Maschinen des Nürnberger Textilkaufmanns Hans Rudolf Wöhrl erwarten. Zum Frühstück werden in der Regel Croissants und Kaffee - mittags und abends Chips und Softdrinks kostenlos serviert.

Wöhrl zeigt sich auch in Sachen Lesestoff durchaus spendabel. Während bei der Lufthansa nur Business-Klässler mit kostenlosen Magazinen versorgt werden, gibt’s bei „dba“ die „Bunte“, „In-Style“, „Focus Money“ und sogar den „Playboy“ auch für Billigflieger zum Nulltarif. Zur Vermeidung schamroter Köpfe bei Lesern und Sitznachbarn, wird das jeweils aktuelle Bunny-Magazin in einem neutralen Umschlag diskret verteilt. Eifrige Zeitschriftensammler kommen pro Flug leicht auf einen Gegenwert von über 10 Euro.

Auflagenkosmetik

Allerdings - so großzügig wie die Geste des Flugunternehmers Wöhrl zunächst erscheinen mag, ist sie in der Tat nicht. Vielmehr nutzen Zeitschriftenverlage immer häufiger die so genannten „Bordexemplare“ und andere Vertriebswege, um rückläufige Absätze im regulären Zeitschriftenhandel auszugleichen.

Nach Angaben der offiziellen Auflagenstatistik IVW wurden vom Burda-Magazin „Focus“ im zweiten Quartal dieses Jahres durchschnittlich knapp 152.000 Exemplare in Flugzeugen kostenlos ausgelegt. Nur wenig mehr, nämlich insgesamt 169.000 fanden an Kiosken, in Tabakläden, Supermärkten, Tankstellen und anderswo Käufer zum regulären Preis von 2,90 Euro. Selten gegen „Cash“ wird auch der Schwestertitel „Focus Money“ abgesetzt. Von dem wöchentlichen Wirtschaftsmagazin ließ Burda viermal so viel Hefte in Flugzeugen gratis verteilen, als im Zeitschriftenhandel verkauft werden konnten. Während die IVW-Statistik für den wöchentlich erscheinenden Wirtschaftstitel knapp 13.000 Einzelverkäufe ausweist, lag die Zahl der „Bordexemplare“ bei über 51.000.

Insgesamt werden rund 16% aller bei IVW als „verkauft“ gemeldeten Publikumszeitschriften nicht im Abonnement oder über den Handel vertrieben, sondern in Flugzeugen, Hotels und bei Veranstaltungen gratis ausgelegt oder in „Lesezirkeln“ billig verramscht. Bei Tageszeitungen machen die „sonstigen Verkäufe“ einschließlich „Bordexemplaren“ dagegen weniger als 4% des Gesamtverkaufs aus.

Vordergründig betrachtet, machen diese Vertriebswege für Zeitschriftenverlage kaum Sinn. Zwar sind sie gehalten, mindestens 10% des regulären Ladenpreises in Rechnung zu stellen, um in der IVW-Auflagenstatistik auch als „Verkäufe“ geführt zu werden. Im Gegenzug berechnen jedoch beispielsweise die Airlines ihren Aufwand für „Verteilung“ und „Entsorgung“ mit gleichen Beträgen. Bei weniger begehrten Zeitschriftentiteln müssen Verlage zumeist noch einige Cent pro Exemplar drauflegen, damit ihre Magazine überhaupt in die Maschinen gelangen.

Verlagsmanager wollen mit solchen Vertriebsmaßnahmen vor allem gegenüber Werbeentscheidern die Auflagenentwicklung ihrer Titel in besseres Licht rücken. Schließlich sind die in der IVW ausgewiesenen Verkäufe, bei denen unter anderem auch „Bord- und Lesezirkelexemplare“ mit eingerechnet werden, wichtige Argumente für die Buchung von Anzeigen. Auch die Höhe der Anzeigenpreise orientiert sich an der verkauften Auflage.

Kleine Verlage sind benachteiligt

Bei der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW), die die Auflagenangaben der Verlage kontrolliert und veröffentlicht, hat es wiederholt Vorstöße gegen die Praxis gegeben, dass Gratisverteilungen als „Verkäufe“ dargestellt werden. Vor allem kleinere Verlage und Herausgeber von Spezialtiteln fühlen sich gegenüber den Großen der Branche benachteiligt, weil sie wirtschaftlich gar nicht in der Lage sind, ihre Blätter beispielsweise in Flugzeugen auslegen zu lassen. Immerhin müssen die Verlage neben der Herstellung in den meisten Fällen auch noch die Anlieferung selbst übernehmen.

Bei den vier Großverlagen Bauer, Springer, Burda sowie Gruner+Jahr, die knapp die Hälfte aller in Deutschland verkauften Zeitschriften herausgeben, herrscht inzwischen offensichtlich Einigkeit darüber, an der Praxis der Auflagendarstellung nichts zu ändern. Dem „Stern“ gelingt es seit Jahren nur durch verstärkte Absätze über Lesezirkel und sonstige Heftverteilungsaktionen auf dem Niveau des „Spiegel“ bei etwa 1,1 Millionen offiziell ausgewiesener Verkäufe zu bleiben. In der harten Währung, bestehend aus Abonnements und Einzelverkauf, werden dagegen von dem Gruner+Jahr-Magazin bislang in diesem Jahr durchschnittlich 150.000 Hefte weniger abgesetzt als vom „Spiegel“.

Selbst der als „knauserig“ geltende Großverleger Heinz Bauer hat inzwischen Sonderverkäufe als probates Mittel für die Auflagenkosmetik entdeckt. Von den erstmals im 2. Quartal dieses Jahres bei IVW veröffentlichten Verkäufen des Männer-Lifestylemagazin „Matador“ wurden knapp 40% der insgesamt 209.000 Exemplare in Lesezirkeln, Flugzeugen und auf anderen Wegen, jedenfalls nicht im Abonnement oder am Kiosk, verkauft. Vorbild mag Konkurrent Burda gewesen sein, an den Bauer vor zweieinhalb Jahren die deutsche Playboy-Lizenz abgeben musste. Das Bunny-Magazin wird allein in Flugzeugen rund 30.000 Mal kostenlos verteilt.