Bush amtiert noch 77 Tage
Und in dieser Zeit kann er noch einige politische Weichenstellungen vornehmen, die dem neuen Präsidenten das Leben schwer machen könnten
Die letzten Wochen und Monate haben die politischen Orientierungen der US-Bürger unerwartet verschoben – und wahrscheinlich sehr zu Ungunsten von McCain. Nach einer Umfrage von CNN unter Bürgern, die bereits gewählt haben, sagten 62 Prozent, dass für die die Wirtschaft das wichtigste Thema sei. Irak steht nur noch für 10 Prozent an der Spitze, Terrorismus für 9 Prozent. Damit sind McCain und den Republikanern gerade die Themen ihrer Law-and-Order-Politik weggerutscht, die bislang Bush und McCain getragen haben. Die Angst vor dem virtuellen Terror in den USA ist der Angst vor der wirtschaftlichen Krise gewichen, die viel näher ist. Mit der Angst vor Osama, Taliban und Iran ist die Wahl nicht zu gewinnen, und damit auch nicht mit weiterer Überwachung und mehr Polizeistaat in den USA.
Wenn der neue Präsident der Vereinigten Staaten gewählt sein wird, ist er noch lange nicht an der Macht. Die USA haben nicht nur seltsame Registrierungsverfahren für Wahlberechtigte und marode alte und neue Wahlsysteme, die gerne einmal Probleme machen und denen nicht ganz zu trauen ist. Es gibt auch ein veraltetes Wahlsystem noch aus vormodernen Zeiten des Wilden Westens. Das ist auch der Grund, warum es noch 77 Tage dauern wird, bis nach der Wahl der neue Präsident ins Amt kommt. Das aber heißt auch, dass der alte Präsident, George W. Bush, noch 77 Tage Zeit hat, seinem Nachfolger das Leben schwer zu machen oder schnell noch manche Interessengruppen zu bedienen.
Am Dienstag wird bekanntlich gewählt, weil die frühen Christen den Sonntag mit solch profanen Dingen wie der Präsidentenwahl nicht entweihen wollten (Warum die Amerikaner sich bei den Wahlen verzählen). Im November, weil dann die Landwirtschaft zu ruhen beginnt und die Farmer Zeit haben. Und am Dienstag, weil die Farmer möglicherweise einen Tag zur Anreise zum Wahllokal benötigen. Dann werden die Stimmen ausgezählt. Dann werden die Wahlmänner eines jeden Bundesstaats bestimmt, die in Washington am 6. Januar zusammen kommen und dort endgültig den Präsidenten zu wählen. Der Amtsantritt findet dann erst am 20. Januar statt.
Die langen Zeiten und die Wahlmänner als treue Boten waren vermutlich in dem großen Land sinnvoll, als man noch die weiten Wege mit dem Pferdewagen zurücklegen musste, sind aber schon lange anachronistisch. Aber sie verhelfen nun Bush dazu, je nach gewähltem Kandidaten, einige politische Weichenstellungen durchführen zu können. Auf Renomee kann es Bush nicht mehr ankommen, er gilt auch in den USA als bislang unpopulärster Präsident.
Aber in der Übergangszeit findet nicht nur der Gipfel zur Neuordnung der Finanzindustrie statt, auch die Kriege in Afghanistan und im Irak gehen weiter, die Wirtschaft geht in eine Rezession über und der Staat steckt in tiefen Schulden. Viel Spielraum zum Handeln und Versprechungen des Wahlkampfs einzulösen, hat der nächste Präsident sowieso nicht. Eine der interessantesten Nominierungen wird der Finanzminister sein, viel wird auch davon abhängen, wer Verteidigungs-, Justiz- und Heimatschutzminister werden wird.
Die New York Times hat bereits in einem Editorial gewarnt, dass die 77 Tage bis zum Amtsantritt noch viel Neues, nicht unbedingt Erfreuliches mit sich bringen könnten. Erwartbar sei, dass weniger im Bereich der Außenpolitik, wohl aber in der Innenpolitik noch rechtskonservative politische Festlegungen erfolgen. Erwartet werden Einschränkungen der Bürgerrechte, des Umweltschutzes und der Abtreibungsgesetzgebung.
Erst letzten Monat seien die Kompetenzen des FBI, US-Bürger zu überwachen, wieder erweitert worden, während dem Heimatschutzministerium und dem Weißen Haus das Recht eingeräumt worden sei, in den Bericht des Datenschutzbeauftragten einzugreifen und diesen zu verändern. Bislang habe die Bush-Regierung den Umweltschutz nicht so weit aushebenn können, wie dies versucht wurde. Man erwartet aber, dass das Umweltministerium den Schutz der Umwelt (Luft, Wasser) und der bedrohten Tiere aufweichen werde, um beispielsweise Filteranlagen zu verhindern oder Müllverbringungen oder Gas- oder Ölbohrungen zu erleichtern. Nicht zuletzt wird erwartet, dass das Gesundheitsministerium die Abtreibungsregeln verschärfen und den Zugang zu Verhütungsmitteln erschweren wird.
Eigentlich habe Bush selbst auch erwogen, Guantanamo zu schließen. Da sei ihm aber Cheney in die Quere gekommen. Auch diese Hinterlassenschaft wird der nächste Präsident regeln müssen. Bush hat allerdings nur bis zum 20. Dezember Zeit, wichtige Veränderungen einzuführen, die der Nachfolger nicht ohne weiteres wieder rückgängig machen kann. Ob Bush außenpolitisch als oberster Kriegsherr noch Weichenstellungen vornimmt, ist ungewiss. Die vermehrten Angriffe des US-Militärs auf Ziele in Pakistan und vor kurzem auch in Syrien sind nicht gerade beruhigend.