CDU: Antworten auf die Fragen zur Zukunft der Informationsgesellschaft
- CDU: Antworten auf die Fragen zur Zukunft der Informationsgesellschaft
- Fragen an die Landespolitik - beantwortet von Julia Klöckner MdL, Vorsitzende der rheinland-pfälzischen CDU
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Michael Kretschmer MdB, Vorsitzender des Arbeitskreises Netzpolitik der CDU Deutschland, beantwortet die Fragen von Telepolis und Mehr Demokratie RLP
Die CDU antwortet auf die Fragen: Bedrohen die Datenpanscher die Demokratie?. Siehe auch: CDU verlangt nach Strukturänderungen bei der Datenschutzaufsicht
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum "Computergrundrecht" vom Februar 2008 der Onlinedurchsuchung und der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) enge Grenzen gesetzt. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Professor Dr. Hans-Jürgen Papier ist der Meinung, dass es derzeit keine Rechtsgrundlage für eine Quellen-TKÜ gebe. Die Innenminister Bayerns und Niedersachsens sowie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich lässt das unbeeindruckt.
Ist die Quellen-TKÜ und die Onlinedurchsuchung vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nach Meinung Ihrer Partei mit dem Grundgesetz vereinbar?
Michael Kretschmer: Bei der Quellen-TKÜ und der sogenannten Online-Durchsuchung handelt es sich ganz klar um sensible Themen, bei denen es um das Vertrauen des Bürgers in den Rechtsstaat und die Sicherheitsbehörden geht. Es steht außer Frage, dass sich Ermittlungsbehörden an die Gesetze halten müssen.
Sowohl für die Quellen-TKÜ als auch für die Online-Durchsuchung bedarf es in unserem Land einer verfassungsfesten rechtlichen Grundlage, die von den ausführenden Behörden strikt beachtet werden muss. Das Bundesverfassungsgericht hat beides unter sehr engen Voraussetzungen bei schwersten Straftaten für zulässig erklärt, dazu gehört auch ein richterlicher Beschluss. Hinsichtlich der Diskussionen um den Staatstrojaner ist deutlich geworden, dass die Regelungen nochmals überprüft werden müssen.
Hat der Staat ein Interesse an sicheren oder weniger sicheren Systemen auf den PC, Notebooks und Telefonen seiner Bürger?
Michael Kretschmer: Der Staat hat nicht nur ein Interesse an sicheren Systemen für die Endgeräte seiner Bürger. Alle IT-Systeme müssen auf höchstem Sicherheitsstandard betrieben werden, seien sie in Verwendung der Privatwirtschaft, des Staates oder der Privatperson. Es macht das Wesen des Internets aus, dass alles miteinander vernetzt ist. Wir können uns Sicherheitslücken nicht leisten. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bietet Bürgern, Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung eine hervorragende Information, die diesem Zweck dient.
Der Bürger ist verpflichtet, seine Daten zahlreichen Behörden anzuvertrauen. Immer wieder beweisen die Staatsdiener allerdings, daß sie nicht in der Lage sind, dieses Vertrauen zu rechtfertigen: Daten, USB-Sticks, Festplatten und sogar ganze Servermit den personenbezogenen Daten der Menschen kommen abhanden.
Wie kann sich der Bürger vor staatlicher Schlamperei schützen?
Michael Kretschmer: Wo gearbeitet wird, werden auch Fehler gemacht. Das ist menschlich. Ein systematisches Fehlverhalten kann ich nicht erkennen. Unser Recht bietet ausreichende Möglichkeiten Fehlverhalten zu sanktionieren.
Der Hessische Städte und Gemeindebund argumentiert, wenn seine Mitglieder die Empfehlungen des Bundesamts für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) berücksichtigen wollten, "würde das teuer. Dann müssten wir Kindergärten schließen."
Was halten Sie von diesem Argument?
Michael Kretschmer: Der Zielkonflikt zwischen Kosten und Sicherheit besteht auch in der Informationstechnik. Dennoch ist klar, dass sich gerade die öffentliche Verwaltung an die Richtlinien des BSI halten muss. Öffentliche Haushalte müssen mit den vorhandenen Mitteln sachgerecht und verantwortungsvoll umgehen.
In den nächsten Jahren sollen weite Teile der gesellschaftlichen Prozesse aus der realen Welt ins Virtuelle verlegt werden - Wie z.B. das elektronische Gesundheitswesen, die "intelligenten" Stromnetze, der elektronische Personalausweis, das elektronische Regieren und Verwalten u.v.m.
Welche Risiken entstehen dabei für die Prozesse selbst? Wie kann diesen Risiken begegnet werden?
Michael Kretschmer: Eine Unterscheidung von virtueller und realer Welt ist nicht mehr zeitgemäß. Die digitalen Veränderungen bringen weniger Risiken, sondern viel mehr Chancen für den Einzelnen, die Gesellschaft und die Wirtschaft unseres Landes. Unsere Demokratie profitiert von der direkten Einflussmöglichkeit der Bürger auf politische Entscheidungsprozesse.
Die Digitalisierung hat den unmittelbaren Kontakt zwischen Bürgern und der Politik intensiviert. Politische Teilhabe ist unkomplizierter geworden, das steigert die Chancen auf eine Stärkung der Demokratie. Risiken entstehen größtenteils durch Mangel an Allgemeinwissen über die technischen Grundlagen des Internets. Diese gilt es mittels Vermittlung von Medienkompetenz zu begegnen.
Europäische Innenminister haben sich 2007 auf Einladung des damaligen Innenministers Wolfgang Schäuble in der "Future Group" zusammengeschlossen. In einem "Konzeptpapier zur öffentlichen Sicherheit in einer vernetzten Welt" schreiben sie: "Die Bürger hinterlassen bereits viele digitale Spuren mit ihren Bewegungen. Eins jedoch ist klar: Die Anzahl dieser Spuren (und die detaillierten Informationen, die sie enthalten) wird sich höchstwahrscheinlich innerhalb der nächsten zehn Jahre um ein Zigfaches steigern. Von jedem Objekt, das eine Person benutzt, jede Transaktion, die sie unternimmt, und nahezu überall, wo sie hingeht, wird es digitale Aufzeichnungen geben. Das bedeutet für die Sicherheitsorgane reichlich Information und liefert riesige Möglichkeiten für effektive und produktive Sicherheitsanstrengungen." Teilen Sie die Einschätzung? Steigt die öffentliche Sicherheit umso mehr, je mehr personenbezogene Daten der Bürger verfügbar sind?
Michael Kretschmer: Es gibt keine unmittelbare Korrelation zwischen einer steigenden öffentlichen Sicherheit und der Zunahme von gespeicherten personenbezogenen Daten. Jede Datensammlung birgt ein hohes Risiko für Missbrauch. Daher gilt: Je weniger Daten gespeichert werden, desto besser für die Bürgerinnen und Bürger. Der Staat muss hier eine Vorbildfunktion einnehmen und Datenhortung, wo es geht vermeiden. Über die Rahmenbedingungen und Methoden der Datenspeicherung von international agierenden Unternehmen müssen wir ebenso nachdenken.
Die Autoren dieses Dokuments schreiben außerdem: "Weiterhin wird der Tsunami der Daten durch das Online-Verhalten beschleunigt. Soziale Netze wie MySpace, Facebook, Second Life - und tatsächlich alle anderen Online-Aktivitäten - verursachen riesige Mengen von Informationen, die den Sicherheitsbehörden dienlich sein können."
Ist daraus zu schließen, dass alle Bundesbürger kollektiv verdächtig sind und für sie deshalb ein "Terrorscore" berechnet werden muss?
Michael Kretschmer: Nein. Im Übrigen verweise ich auf meine bisherigen Antworten.
Die technischen Möglichkeiten sind aber noch nicht ausgereizt: So bejubelte vor Jahren ein kanadisches Unternehmen sein "fortgeschrittenes integriertes RFID Auto-Identifizierungs- und -Registrierungs-, Strecken- und Mautabrechnungsprogramm für ganz China". Das FBI will künftig Hirnströme messen.. Und Angela Merkel kündigte vor Jahren an: "Wir werden nicht zulassen, dass technisch Manches möglich ist, aber der Staat es nicht nutzt."
Teilen Sie die Ansicht der Kanzlerin?
Michael Kretschmer: Wir wollen Innovation fördern und die Chancen der Digitalisierung nutzen. Ein hohes Maß an verantwortungsbewusstem Umgang mit neuen technischen Möglichkeiten gilt es dabei stets zu wahren.
Nochmal zu Facebook: Bundesinnenminister Friedrich bevorzugt Selbstverpflichtungen und lehnt gesetzliche Regelungen ab.
Was glauben Sie, woher Friedrichs Sympathie für Selbstverpflichtungen kommt? Ist der Minister ein Kämpfer für den Bürokratieabbau? Oder fürchtet er, dass die Datenquelle Facebook auch für die Strafverfolger "tot" sein könnte, wenn der Konzern tatsächlich datenschutzkonformes Verhalten an den Tag legen würde?
Michael Kretschmer: Facebook unterliegt nicht deutschem Datenschutzrecht, weil das Unternehmen keinen Geschäftssitz in Deutschland hat. Die Selbstverpflichtung zum Datenschutz ist ein erster Schritt, der hoffentlich zu weiteren Datenschutzmaßnahmen durch Facebook führen wird. Das Unternehmen tut gut daran die deutschen Standards einzuhalten. Damit kann es Vertrauen gewinnen.
Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner ermahnt die Bürger stattdessen zur Datensparsamkeit.
Was raten Sie? Datentechnische Enthaltsamkeit oder das eigene Leben den Strafverfolgern komplett zur Verfügung stellen?
Michael Kretschmer: Datensparsamkeit ist ein zentraler Aspekt, zum Beispiel bei der Vermittlung von Medienkompetenz. Diese muss in den Schulen, aber auch in der Erwachsenenbildung intensiv gefördert werden. Gerade bei der Verwaltung der eigenen Daten, zum Beispiel in sozialen Netzwerken, ist der richtige Umgang mit der Preisgabe personenbezogener Daten eminent wichtig.
2007 wollte die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt eine Meldepflicht für "selbstverschuldete Krankheiten" einführen. Als Referenz wurden Tätowierte und Gepiercte genannt, die ihre Behandlungskosten selbst tragen sollten.
Halten Sie das für eine gute Idee?
Wenn ja: Sollten dann auch die Raucher, Alkoholiker, Dicke, Magersüchtige, Sportler und Nichtsportler selbst zahlen?
Sollten dann auch die EC-Karten Belege aus dem Supermarkt herangezogen werden, die Aufschluss über Fett und Alkoholgehalt des Einkaufs geben?
Michael Kretschmer: Nein.
Die Kinderreporter des ARD Morgenmagazins deckten bereits vor Jahren Wissenslücken bei Spitzenpolitikern auf: Für Außenminister Westerwelle ist ein Computer "so etwas wie ein Hammer oder ein Nagel". Die frühere Justizministerin Brigitte Zypries wusste nicht, was ein "Browser" ist.
Was bedeutet es, wenn Politiker nicht nur keine Ahnung von technischen Entwicklungen haben, die unser Leben entscheidende prägen werden, sondern damit auch noch kokettieren?
Wer entscheidet, wenn die Politiker nicht einmal begreifen, worum es geht? Die Ministerialbürokratie oder die vielen tausend Einflüsterer aus Großkonzernen und Lobbyverbänden?
Über welche Qualifikation muss ein Politiker im 21. Jahrhundert verfügen, bevor er über die Projekte der Informationsgesellschaft entscheiden kann/darf?
Michael Kretschmer: So selbstverständlich die Nutzung des Internets geworden ist, so wenig weiß das Gros der Bevölkerung über die technischen Zusammenhänge. Für uns Politiker gilt: Um netzpolitische Antworten zu finden, müssen wir uns mit den technischen Möglichkeiten vertraut machen, die unser Leben mehr und mehr beeinflussen. Es ist ganz selbstverständlich, dass es in vielen Bereichen der Netzpolitik noch Aufklärung in allen Fraktionen bedarf.
Die Stadt Köln beschäftigt 220 Politessen, um den "ruhenden Verkehr" zu beobachten. Die Datenschützer in Bund und Ländern beschäftigen Mitarbeiter in gleicher Größenordnung. Mit wenigen hundert Personen sollen Behörden, Krankenkassen, Großkonzerne, Mittelständler und Ärzte überwacht und Millionen Menschen datenschutzrechtlich beraten werden.
Halten Sie die Personalausstattung der Datenschützer für angemessen?
Michael Kretschmer: Mit der Stiftung Datenschutz wird eine Einrichtung geschaffen, die einen Beitrag zur Stärkung des Datenschutzes in Deutschland leisten wird. Wir sollten uns darüber Gedanken machen, wie sinnvoll es ist 16 unabhängige Datenschutzbeauftragte mit jeweils unterschiedlichen Standards zu fördern. Diese Struktur muss im Rahmen der europäischen Datenschutzdebatte überprüft werden, danach können wir über Personalausstattung diskutieren.