CDU-Basis wählt den Anti-Merkel
Gut eine Woche nach dem Wechsel im Kanzleramt entscheidet sich die christdemokratische Basis für den deutlichsten Bruch mit der bisherigen Parteikultur – und wählt Friedrich Merz
Mit mehr als 62 Prozent der Stimmen hat der CDU-Politiker Friedrich Merz beim ersten entsprechenden Mitgliedsentscheid der Christdemokraten den Vorsitz seiner Partei gewonnen. Das Ergebnis gab CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak am heutigen Nachmittag in Berlin bekannt. Merz, der als konservativer Hardliner und finanzmarktnaher Politiker gilt, setzte sich damit gegen den Außenpolitiker Norbert Röttgen und Merkels Kanzleramtschef Helge Braun durch.
Die absolute Mehrheit für Merz – das bedeutet, dass er erheblich mehr Stimmen erhalten hat als die Mitbewerber zusammen auf sich vereinen konnten. Bei dem Ringen um die Nachfolge des noch amtierenden, aber machtlosen CDU-Vorsitzenden sowie Wahlverlierers Armin Laschet erhielt Außenpolitiker Röttgen 25,8 Prozent der abgegebenen Stimmen. Braun, der politisch am deutlichsten für die Fortführung der Merkel-Linie stand, wurde mit gerade einmal 12,1 Prozent richtiggehend abgestraft.
Wenn auch Merz‘ Wahl noch nicht rechtssicher ist, bleibt die politisch unbestritten: Beobachter gehen fest davon aus, dass er auf einem digitalen Parteitag am 22. Januar an die Spitze der Partei gewählt und danach per Briefwahl bestätigt werden wird.
Seine Position wird auch dadurch gestärkt, dass sich an der Abstimmung rund zwei Drittel der 400.000 Mitglieder beteiligt hatten – mehr als zeitweise erwartet. Etwa die Hälfte hatte online abgestimmt, der andere Hälfte per Briefwahl. Die Mitgliederbefragung im Vorfeld des Parteitags war die erste entsprechende Abstimmung in der CDU. Das erklärte Ziel bestand darin, einen Erneuerungsprozess nach der heftigsten Niederlage der Union bei einer Bundestagswahl zu ermöglichen.
Jünger und weiblicher?
Merz, dessen Team angekündigt hat, die Partei jünger und weiblicher zu machen, hat schon im Ringen um den Vorsitz die ersten (jüngeren und weiblichen) politischen Opfer gefordert. Etwa die 37-jährige brandenburgische Herausforderin Sabine Buder.
"Der proklamierte Neuanfang wird uns noch nicht so richtig abgenommen. Da wollte ich ein Zeichen setzen, dass die CDU sehr wohl bereit ist, diesmal Dinge anders zu machen und neu zu denken", hatte Buder, die erst seit drei Jahren Parteimitglied ist, in einem Interview mit dem Portal web.de zu ihrem gescheiterten Vorstoß gesagt: "Wer die Uninspiriertheit und Mutlosigkeit der Politik beklagt, darf selbst kein Angsthase sein. Hätte ja klappen können", schrieb sie auf Facebook.
Hat aber eben nicht geklappt. Und so wird jetzt der älteste und auf seine Art konservativste Kandidat aus der Dreierriege älterer Männer das Erbe von Angela Merkel übernehmen: der 66-jährigen Merz. Der 56-jährige Röttgen und der 49-jährige Braun haben das Nachsehen.
Im Grunde war Merz‘ Sieg absehbar: In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für den Spiegel hatte er schon vor Wochen 56 Prozent die höchsten Sympathiewerte bei der Zielgruppe der Unionsparteien erreicht, Röttgen kam auf 45 Prozent und Braun wurde von 31 Prozent positiv bewertet. Das Ergebnis der Mitgliederbefragung fiel nun noch deutlicher aus.
Anfang November hatte Telepolis-Redakteurin Claudia Wangerin darauf verwiesen, dass Merz zeitweise selbst mit dem Ruf des kalten, verbitterten Spießers haderte, "der möglichst vielen seiner Mitmenschen das Leben schwer machen will, weil er nicht erträgt, dass manche von ihnen offenbar mehr Spaß haben als er". Diesen Ruf habe er aber nie ganz abzuschütteln vermocht.
Mit Mitte 40 galt er als so spießig, dass er sich genötigt sah, sich selbst eine "wilde Jugend" anzudichten - oder was auch immer er dafür hielt. Damit kann es nach Recherchen der Wochenzeitung Die Zeit jedenfalls nicht weit her gewesen sein. "Schulterlange Haare? Merz? Nie im Leben", erklärte einer seiner früheren Mitschüler dem Blatt. "Dafür hätte der alte Merz schon gesorgt, dass die Haare nicht zu lang wurden!"
Claudia Wangerin in Telepolis
Die Klimabewegung jedenfalls hat mit Merz einen klaren Gegner. Als die damals 16-jährige schwedische Aktivistin Greta Thunberg die Sorgen eines zunehmenden Teils ihrer Generation 2019 vor den Vereinten Nationen zum Ausdruck gebracht hatte, sagte Merz der Augsburger Allgemeinen: "Also ganz ehrlich, meine Tochter hätte ich da nicht hingelassen" – und nannte Thunberg "krank".