Rückwärts immer: "Erneuerung" mit Friedrich Merz
Der angebliche Favorit für den CDU-Vorsitz hat für die große Mehrheit nichts Gutes zu bieten. Das allerdings gilt für alle Generationen. Und er verkauft es auch noch schlecht
Rund 400.000 CDU-Mitglieder sollen bei ab Anfang Dezember entscheiden, wer ihr neuer Vorsitzender wird. Die Nominierungsphase beginnt laut einem am Dienstag veröffentlichten "Fahrplan" am 6. November, die Vorstellungsphase in der zweiten Novemberhälfte und die zwölftägige Abstimmungsphase am 4. Dezember. Eine mögliche Stichwahl könnte ab Ende des Jahres bis Mitte Januar laufen.
Laut Umfragen hat die Basis auch schon einen klaren Favoriten, der zurzeit unter anderem Aufsichtsratschef des Klopapierherstellers Wepa und Vizepräsident des Lobbyverbands Wirtschaftsrat der CDU e. V. ist. Seine Position als Aufsichtsratschef des Investment-Giganten Blackrock hatte Friedrich Merz dagegen bereits aufgegeben, als er sich im vergangenen Jahr zuletzt um den CDU-Vorsitz bewarb, obwohl er Interessenkonflikte stets bestritten hatte.
Im Januar dieses Jahres konnte sich der Jurist und Lobbyist bei der Wahl des Parteichefs nicht gegen Armin Laschet durchsetzen. Doch seit Laschet als Kanzlerkandidat der Union bei der Bundestagswahl im September eine krachende Niederlage einstecken musste, wird in der CDU nach "Erneuerung" gerufen. Und nun sind laut ARD-Deutschlandtrend 36 Prozent der Unionsanhänger für Merz als Parteichef, 25 Prozent halten den ehemaligen Bundesumweltminister Norbert Röttgen für geeignet. Der scheidende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wäre mit 14 Prozent nur dritte Wahl.
Die Aktienrente, ein verstaubtes Merz-Projekt
Aber ein "Erneuerungsprozess" mit Friedrich Merz an der Spitze? Ernsthaft? Sollten sich die CDU-Mitglieder tatsächlich mehrheitlich dafür aussprechen, wäre wohl endgültig bewiesen, dass diese Partei nicht zukunftsfähig ist. Nicht, weil sich gewisse Ideen von Merz nicht durchsetzen könnten – die Aktienrente, für die sich SPD, Grüne und vor allem die FDP im gemeinsamen Sondierungspapier erwärmen konnten, ist ja quasi auf seinem Mist gewachsen. Aber die "Ampel"-Parteien können so etwas einfach viel besser verkaufen.
2018 hatte Merz dafür noch berechtigte Kritik von Seiten der SPD geerntet. Nicht zuletzt, weil das weltgrößte Investment-Unternehmen Blackrock, dessen Aufsichtsratschef Merz in den Jahren 2016 bis 2020 war, sich als Anbieter ebensolcher Altersvorsorge-Aktien verstand.
Keine Frage des Alters
Dass Merz fast 66 Jahre alt ist, spricht erst mal nicht automatisch gegen "Erneuerer"-Qualitäten, denn Altersdiskriminierung ist allgemein kritikwürdig und wäre dies erst recht in einer Partei, in der sich knapp 29-jährige vom Typ Philipp Amthor wohlfühlen. Merz dürfte allerdings mit 29 Jahren auch schon verknöchert gewesen sein.
Mit Anfang 40 gehörte er zu den 138 Abgeordneten, die 1997 im Bundestag gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe stimmten. Im Jahr 2000 wollte der damalige Unions-Fraktionschef Merz das reguläre Renteneintrittsalter auf 70 Jahre erhöhen, was selbst der bayerischen Schwesterpartei CSU zu heftig war. Die SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) sprach in diesem Zusammenhang sogar von einem "sozialpolitischen Amoklauf".
Ein Ruf, der an ihm haftet
Merz haderte zeitweise selbst mit dem Ruf des kalten, verbitterten Spießers, der möglichst vielen seiner Mitmenschen das Leben schwer machen will, weil er nicht erträgt, dass manche von ihnen offenbar mehr Spaß haben als er. Diesen Ruf vermochte er aber nie ganz abzuschütteln.
Mit Mitte 40 galt er als so spießig, dass er sich genötigt sah, sich selbst eine "wilde Jugend" anzudichten - oder was auch immer er dafür hielt. Damit kann es nach Recherchen der Wochenzeitung Die Zeit jedenfalls nicht weit her gewesen sein. "Schulterlange Haare? Merz? Nie im Leben", erklärte einer seiner früheren Mitschüler dem Blatt. "Dafür hätte der alte Merz schon gesorgt, dass die Haare nicht zu lang wurden!"
Die "Arbeitsmarkt- und Sozialreformen" der Agenda 2010 unter einer "rot-grünen" Bundesregierung, das Hartz-IV-Sanktionsregime für Erwerbslose und die dadurch erhöhte Erpressbarkeit von Beschäftigten gingen ihm noch nicht weit genug. 2004 machte sich Merz für die vollständige Abschaffung des Kündigungsschutzes für Beschäftigte ab 53 Jahren stark.
Aber auch mit der jüngeren Generation hat er es nicht. Jedenfalls nicht mit der Mehrheit der unter 25-Jährigen, die laut einer internationalen Studie Zukunftsängste wegen der Umwelt- und Klimakrise hat. Als die damals 16-jährige schwedische Aktivistin Greta Thunberg diese Sorgen 2019 vor den Vereinten Nationen zum Ausdruck brachte, sagte Merz der Augsburger Allgemeinen: "Also ganz ehrlich, meine Tochter hätte ich da nicht hingelassen" – und nannte Thunberg "krank".
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