CDU/CSU: Unmut über den Ausbau der Transferunion
Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages hält Verordnungsentwurf der Kommission für europarechtswidrig
Als die Maastrichter Verträge geschlossen und der Euro eingeführt wurde, da versprachen die etablierten deutschen Politiker ihren Wählern unisono und ganz fest, dass damit eine "Transferunion" ausgeschlossen sei und jeder Staat nur für seine eigenen Schulden haften würde. Als man dieses Versprechen in der Eurokrise brach, hieß es, das sei eine Ausnahme und werde sich nicht wiederholen. Mehrmals hintereinander.
Nun sieht die vorläufige Koalitionseinigung von CDU, CSU und SPD vor, dass der als Ausnahme eingeführte Transferunionsmechanismus ESM (in dem sich inzwischen eine Risikosumme in Höhe eines halben Bundeshaushalts angesammelt hat) in einen dauerhaften "Europäischen Währungsfonds" (EWF) überführt werden und die Einlagensicherung ohne vorherigen Abbau der Risiken in Italien und anderen Problemländern europäisiert werden soll.
Otmar Issing, der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB) stufte diese Vorhaben als "Abschied von der Vorstellung einer auf Stabilität gerichteten europäischen Gemeinschaft" ein, worauf hin sich der Wirtschaftsrat der CDU zu Wort meldete, und davor warnte, "einer SPD zu folgen, die unter 'proeuropäisch' nur mehr Umverteilung in die Krisenländer verstehe". Die CDU-Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker berichtete in diesem Zusammenhang auch von "Unruhe bei den Wählern und an der Basis".
Merkel "tut so, als würde sich gar nichts ändern"
Bundeskanzlerin Angela Merkel reagiert der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach auf diese Kritik, indem sie "so tut, als würde sich gar nichts ändern": "Doch", so die FAZ-Frage dazu, "wenn der Umbau zum Währungsfonds nichts ändern soll, warum baut man den Fonds dann um?" Außerdem verweist die CDU-Chefin auf die Europäische Zentralbank, die (ebenso wie man es für den EWF plant) im Unionsrecht verankert aber trotzdem "unabhängig" sei. Eine Ergänzung des Protokolls zur Eurogruppe könne es darüber hinaus möglich machen, dass man trotz der Überführung des EWF in Unionsrecht noch nationale Parlamente fragt.
Merkels Oberadlatus und geschäftsführender Finanzminister Peter Altmaier versucht Kritik bislang vor allem mit Verweisen darauf zu ersticken, dass ja noch niemand wisse, wie ein zum EWF umgebauter ESM aussehen wird und welche Aufgaben er konkret hat, weshalb man Fragen dazu erst dann beantworten könne, wenn das geklärt sei.
Die FDP, die sich nach Sondierungsgesprächen gegen eine Koalition mit Merkel und Altmaier entschied, forderte die Bundesregierung heute durch einen Antrag der Fraktion im Bundestag dazu auf, "keine Regelung zustande kommen zu lassen, durch welche der umfassende Parlamentsvorbehalt des Deutschen Bundestages in Bezug auf seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung geschwächt wird". Darüber hinaus warnten die Liberalen davor, dass ein EWF unter Unionsrecht die in der deutschen Verfassung geschützten Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit verletzen könne.
Zahl der Geldinstitute in Deutschland soll von 1.900 auf 150 zurückgehen
Der Fachbereich Europa des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags kam in einer 32 Seiten umfassenden Analyse des Verordnungsentwurfs der EU-Kommission, den der SPD-Vorsitzende Martin Schulz zur Sondierungsforderung erhob, außerdem zum Ergebnis, dass die darin verlangte Weiterentwicklung der Transferunion "die Grenzen des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung überschreitet und dementsprechend nicht auf Artikel 352 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gestützt werden kann". Seit Heiko Maas' Social-Media-Zensurgesetz NetzDG weiß man allerdings, dass eine von Fachleuten diagnostizierte Europarechts- und Verfassungswidrigkeit die Bundestagsabgeordneten von CDU, CSU und SPD nicht unbedingt davon abhalten muss, für ein Gesetz zu stimmen.
Die Anzahl der deutschen Geldinstitute, deren Einlagensicherung den Kommissions- und Koalitionsplänen nach europäisiert werden soll, wird dem neuen Bankenreport Deutschland 2030 nach mit oder ohne Zutun der EU in den nächsten zehn bis 15 Jahren von derzeit etwa 1.900 auf dann nur mehr 150 zurückgehen. Das schließen die Autoren von der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman unter anderem daraus, dass 2004 noch 2.400 Banken um Anteile an einem in den letzten Jahren gleich gebliebenen "Ertragspool" kämpften. Die Analysten von Morgan Stanley kommen in einer ähnlichen Studie zu einem ähnlichen Ergebnis und prognostizieren darüber hinaus, dass auch die Zahl der Filialen kräftig sinken wird.