CO2-Speicherkapazität von Wäldern nicht ausgeschöpft

Wälder könnten mehr Kohlendioxid speichern als bisher, so eine Studie. Kritiker bemängeln, dass die Folgen des Klimawandels nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Durch die Wiederherstellung natürlicher Wälder könnten diese 226 Gigatonnen Kohlenstoff zusätzlich binden, stellten Forschende unter der Leitung der ETH Zürich in einer Studie fest, die nun im Fachjournal Nature veröffentlicht wurde.

Das wäre eine großartige Nachricht, denn umgerechnet in Kohlendioxid wären dies rund 830 Gigatonnen – etwa 22-mal der Kohlendioxidausstoß der Menschheit auf dem Niveau von 2022. Einen Freibrief zu einem unbeschwerten Weiter so wollen die Autoren mit ihrer Erhebung aber keinesfalls erteilen.

Meine größte Befürchtung ist, dass Unternehmen die Erkenntnisse unserer Studie missbrauchen, um ihre Treibhausgasemissionen nicht senken zu müssen. Aber je mehr Treibhausgase wir ausstoßen, desto größer ist die Gefahr für Mensch und Natur. Wir können allerdings nicht wählen, ob wir Emissionen senken oder die Natur schützen wollen – beides ist dringend nötig. Wir brauchen die Natur für das Klima und wir brauchen Klimaschutz für die Natur

Thomas Crowther, leitender Autor der Studie und Professor an der ETH Zürich

Dass die Klimaerwärmung eine Bedrohung für die Wälder ist, lässt sich deutlich an immer größeren Waldbränden erkennen, wie denen dieses Jahr in Kanada, die schätzungsweise eine Gigatonne CO₂ freisetzten. Und auch die anhaltende extreme Dürre im Amazonasgebiet macht die Fragilität des größten Regenwaldgebietes der Erde deutlich.

Doch zurück zur Studie: Hier geht es keinesfalls um das Potenzial von neuen Baumpflanzungen, schon gar nicht in Ökosystemen wie Tundren oder Grasländern, die zuvor waldfrei waren, sondern um die Wiederherstellung natürlicher und vielfältiger Wälder.

Etwa 61 Prozent des errechneten Speicherpotenzials "können erreicht werden, indem bestehende Wälder geschützt werden und sich bis zur natürlichen Reife erholen können. Die restlichen 39 Prozent können durch die Wiedervernetzung fragmentierter Waldlandschaften, durch nachhaltiges Management und Wiederherstellung von Ökosystemen erreicht werden", schreibt die ETH Zürich.

Weiterhin zeigten die Daten, dass ungefähr die Hälfte des globalen Speicherpotenzials der Wälder von der Biodiversität abhänge. Die Wiederherstellung von Biodiversität müsse daher im Zentrum der Bemühungen stehen.

Kohlenstoff wird in natürlichen Wäldern nur zu gut der Hälfte im Holz und Laub der Bäume gespeichert, große Teile des Kohlenstoffs befinden sich ebenso in Totholz und abgestorbenen Pflanzenteilen, im Wurzelwerk und im Boden.

Diese Aufteilung macht noch einmal deutlich, warum forstwirtschaftliche Baumplantagen nicht annähernd so viel Kohlenstoff speichern können. Um die Verteilung von Biomasse und Speicherpotenzial zu ermitteln, wurde in der Studie am Boden Biomasse gemessen und dies mit Satellitendaten verknüpft.

Obwohl die Studie nach Einschätzung nicht daran beteiligter Expert:innen methodisch solide ist und auch in früheren Studien schon Potenziale von Wäldern in ähnlicher Größenordnung genannt wurden, gibt es auch einige grundlegende Kritikpunkte. Einer ist, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wälder nicht genügend einbezogen wurde.

Die bisherigen Expertenmeinungen gingen mehrheitlich davon aus, dass Wälder langfristig eines der am einfachsten zu bewahrenden Kohlenstoffsenken-Potenziale darstellen.

Die vergangenen Dürrejahre in Deutschland und anderen Weltregionen haben aber gezeigt, dass die immer stärker hervortretenden Unsicherheiten des Klimawandels – wie lange Dürreperioden oder erratische Regenfallereignisse, die oftmals durch Starkregen und Überflutungen gekennzeichnet sind – den Wäldern und deren Kohlenstoffsenken-Potenzialen global zusetzen können.

Melvin Lippe, Johann Heinrich von Thünen-Institut

Es sei davon auszugehen, dass sich das Potenzial der Wälder als Kohlenstoffsenken langfristig reduziere. Der emeritierte Botaniker Christian Körner von der Universität Basel findet in der Studie den Aspekt unbeachtet, "dass Wälder dynamische Systeme sind, die sich auch in unberührter Natur in ständigem Wechsel zwischen langsamem – Jahrhunderte andauerndem – Aufbau und plötzlichem Zusammenbruch – innerhalb von Stunden bis Wochen – durch Feuer, Windbruch oder Insekten befinden".

Dadurch geht also immer wieder ein Teil des gespeicherten Kohlenstoffs verloren, ohne dass die Flächen komplett aus dem System Wald ausgeschieden sind. Bis das maximale Speicherpotenzial einer Waldfläche ausgeschöpft sei, würde es zudem 100 bis 200 Jahre dauern, meint Körner.

Auch wenn die Zahl zunächst enorm klingt, lässt sich auf diese Weise also weder der Atmosphäre schlagartig Kohlendioxid entziehen, noch können damit Emissionen in der jetzigen Größenordnung kompensiert werden.

Für eine Wiederherstellung natürlicher Wälder und gegen eine weitere Abholzung und Schädigung bestehender spricht dennoch alles. Denn hohe Biodiversität und möglichst zusammenhängende Waldflächen stärken die Resilienz des Waldökosystems und so kann vermieden werden, dass Wälder von einer Kohlenstoffsenke zu einer Kohlenstoffquelle werden.

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