CSU-Wahlkampf endet bei der "vorletzten Stimme"
Sie würden "bis zur letzten Minute um jede Stimme kämpfen", hatten Spitzenpolitiker aller Parteien im kurzen und heftigen Bundestagswahlkampf versichert. Ausgerechnet die CSU, die ihr schlechtestes Ergebnis seit Jahren erzielte, fiel beim "ultimativen Wahlkampftest" ebenfalls gnadenlos durch
Wahlsonntag, Punkt 18.00 Uhr. Die Wahllokale schließen. Auf den Fernsehschirmen werden die Ergebnisse der Prognosen eingeblendet: Das Projekt "Schwarz-Gelb" ist gescheitert. Vermutlich wird eine große Koalition künftig das Land regieren. In den nächsten Minuten kommt heraus, dass die CSU in Bayern erheblich zum unerwartet schlechten Ergebnis der Unionsparteien beigetragen hat. Angela Merkel bedankt sich artig bei Ihren Anhängern für den "engagierten Wahlkampf". Es darf wohl bezweifelt werden, dass sie in diesen Dank auch die bayerische Schwesterpartei mit einbezogen hat.
Während die Spitzenkandidaten noch am Samstag Wahlkampfauftritte absolvierten und wackere Helfer bis in die Nacht vor der Wahl in Kneipen, Diskotheken und vor Kinos Handzettel, Prospekte, Kugelschreiber und Luftballons verteilten, war die "Wahlkampfzentrale" der CSU in München zwei Tage lang nicht in der Lage, die einfache Email-Anfrage einer vermeintlichen Erstwählerin zu beantworten. Nur Zufall?
Wahlkampf verlängert
Rückblick - Freitagmorgen, noch zwei Tage bis zur Wahl. "Die Welt" titelt "Wahlkampf verlängert bis Sonntag 17.59 Uhr". Ähnliche Meldungen sind Aufmacher in vielen Hörfunk- und Fernsehnachrichten. Was ist das - Aktionismus in letzter Minute? Oder werben die Parteien tatsächlich auch inhaltlich um die "letzte Stimme?" Inge Seibel, Journalistin und Medientrainerin, will's wissen und startet ihren "ultimativen Wahlkampftest" mit einer gleichlautend einfachen Emailanfrage an die fünf größten Parteien:
"Sehr geehrte Damen und Herren, ich werde am Sonntag zum ersten Mal wählen und bitte Sie um Nachricht, wie Ihre Partei zur Einführung von allgemeinen Studiengebühren steht. Da ich in der übernächsten Woche mein Studium (Betriebswirtschaftslehre) aufnehme, ist diese Frage für meine Wahlentscheidung schon sehr wichtig. Könnten Sie mir bitte vor Sonntag noch eine Antwort zukommen lassen. Falls Sie sehr überlastet sind, würde es mir auch reichen, wenn Sie mir mitteilen könnten, wo ich Aussagen Ihrer Partei zu Studiengebühren auf Ihrer Website finde. Vielen Dank für Ihre Mühe im Voraus. Inge Seibel, Stephanskirchen, Bayern.
Die erste Hürde tut sich bei dem Versuch auf, die Email-Adressen für die geplante Anfrage über die "Wahlkampfplattformen" im Internet zu finden. Nicht alle Websites sind unter Verwendung der offiziellen Parteibezeichnung zu erreichen. Bei CDU, CSU, SPD und FDP gibt's keine Probleme. Gut versteckt im "Netz" haben sich dagegen Lafontaine und Gysi mit ihren Genossen. Bis man mit "Google"-Suchhilfe schließlich feststellt, dass "Die Linke.PDS" über die Domain "Sozialisten.de" zu finden ist, bedarf es schon einiger Mühe. Auch "Bündnis 90 die Grünen" werden erst nach mehreren Anläufen unter der Adresse "Gruene.de" gefunden.
Kontaktfreudige "Grüne"
Dafür zeigt sich Joschka Fischers Wahlkampftruppe besonders kontaktfreudig. Über einen gut sichtbaren Link auf der Homepage erreicht man sofort ein übersichtliches Kontaktformular. Ergänzend werden auch Email, Telefonnummer und Adresse der Berliner Wahlkampfzentrale nebst Wegbeschreibung aufgeführt. Auch bei den "Linken" hat man das Kontaktformular schnell gefunden.
Schwieriger wird's bei allen anderen Parteien, die Anfrageformulare oder Emailadressen eher unscheinbar hinter dem Wort "Kontakt" entweder in der Kopf- oder Fußzeile ihrer Homepages regelrecht verstecken. Die CDU verlangt das Ausfüllen von fünf "Pflichtfeldern" bevor man eine Anfrage ins Kontaktformular eintippen darf, bei der SPD sind sogar sechs Angaben einschließlich der kompletten Anschrift erforderlich. CSU und FDP verzichten auf derlei Aufwand und begnügen sich mit einfachen Email-Links.
Bis 10.00 Uhr werden am Freitag schließlich die Anfragen per Email abgeschickt. Der Test auf diesem Weg macht deshalb Sinn, weil niemals zuvor bei einer Wahl in Deutschland das Internet eine dermaßen große Rolle spielte. Alle publizistischen Onlineangebote warteten mit ausführlicher Wahlberichterstattung auf, ergänzt von zahlreichen Spezialseiten, unzähligen Blogs und Diskussionsforen. Der "Wahl-o-Mat" der Bundeszentrale für politische Bildung verzeichnete über 4,6 Millionen Zugriffe.
Die schnellste Antwort kommt von den "Grünen" schon nach wenigen Minuten: "Das Erststudium bis zum Diplom, Magister, Master oder einem vergleichbaren Grad soll gebührenfrei bleiben." Kurz und knapp, aber völlig zutreffend, zumindest im Hinblick auf das Wahlprogramm der Partei. Mit ausführlicheren Antworten nebst Begleitmaterial wie Wahlprogramm und spezieller Broschüre zum Thema melden sich in den folgenden Stunden "Die Linke.PDS" und die Sozialdemokraten. Die Ansprache ist jeweils persönlich. In beiden Antworten werden unverkennbar jedoch auch vorgefertigte so genannte Textbausteine verwendet. Beide Parteien sind gegen Studiengebühren.
FDP antwortet nach der Wahl
Auch die CDU drückt sich nicht vor einer Antwort. Am späten Nachmittag erklärt ein wackerer Wahlkämpfer etwas umständlich, dass die Einführung von Studiengebühren mehr "Chancengleichheit bei der Bildung" mit sich brächte. Nur - die Union wird in Bayern, wo die vermeintliche Erstwählerin lebt, von der "Schwester" CSU vertreten und die hat sich bis dato noch nicht gemeldet.
Eine Nachricht von der FDP kommt schließlich am Samstagnachmittag - nur keine Antwort auf die konkrete Frage. Weil offensichtlich zu viele Wähler nachfragen, was die Partei eigentlich vorhat, soll's eine konkrete Auskunft "schnellstmöglich", also erst nach der Wahl geben. Die Taktik - möglichst wenig Inhalte vor dem Urnengang preiszugeben, scheint erfolgreich zu sein, wie das unerwartet hohe Wahlergebnis für die Liberalen zeigt. Nebenbei - die FDP ist für Studiengebühren.
Keine Nachricht aus München
Und die CSU? Keine Antwort bis zum Wahlsonntag, 17.59 Uhr. Bei der Partei, die mit dem Slogan "näher am Menschen" wirbt, ist es offensichtlich nicht üblich, einzeln Auskunft zu erteilen, nicht einmal vor einer so "wegweisenden Wahl". Warum auch? Bei den vorausgegangenen Bundes- und Landtagswahlen erzielten die Christlich-Sozialen im Freistaat Ergebnisse bis über 60% (Landtagswahl 2003).
Da schien es für Generalsekretär Markus Söder ausreichend zu sein, 250.000 Haushalte in den Tagen vor dem Urnengang mit "Spam-Mails" beliefern - und ahnungslose Handy-Besitzer von der aufgezeichneten Stimme Edmund Stoibers nerven zu lassen. Das ist schiefgegangen. Die CSU fuhr mit rund 50% in Bayern das schlechteste Ergebnis seit vielen Jahren ein. Vielleicht hätte man doch besser "bis zur letzten Minute um jede Stimme kämpfen" sollen.
Der "ultimative Wahlkampftest im Überblick"
Prof. Horst Müller MBA ist Inhaber des Lehrstuhls für Redaktionspraxis an der Hochschule Mittweida (FH), Fachbereich Medien