Calais: Mauerbau und Abriss des Migrantencamps
Frankreich: Wegen der geplanten Umverteilung der Camp-Bewohner ab dem 17. Oktober häufen sich Kampagnen und rassistische Proteste gegen Migranten
Kommt sie, kommt sie nicht, die Mauer? Auch in Frankreich - wo man noch im vergangenen Jahr die stacheldrahtbewehrte Grenzsicherung im Ungarn Viktor Orbans scharf kritisierte - ist das Mauerbauen in Mode gekommen, wenn es um die Abwehr von Migranten geht. Allerdings handelt es sich im vorliegenden Falle nicht darum, Migranten an der Einreise zu hindern, sondern an der Ausreise nach Großbritannien.
Infolge der französisch-britischen Vereinbarung von Le Touquet (2003) wurden die Grenzkontrolle des Vereinigten Königreichs auf das Südufer des Ärmelkanals vorverlagert. Dort "stauen" sich nun auf französischer Seite Migrantinnen und Migranten, deren Traum darin besteht, auf die britischen Inseln überzusetzen.
Neben den bereits bestehenden Sperranlagen und Zäunen rund um das Hafengebiet von Calais soll nunmehr bis zum Jahreswechsel 2016/17 zusätzlich eine vier Meter hohe und einen Kilometer lange Mauer errichtet werden, die mit Überwachungskameras und Scheinwerfern ausgestattet sein wird. Sie soll das Betreten der Zufahrtsstraße zum Hafengelände verhindern, weil die Migranten sich ebendort an Bord von LKWs oder Fähren zu schmuggeln versuchen. Die Kosten dafür in Höhe von 2,7 Millionen Euro werden von der britischen Regierung übernommen.
Streit über die "Schandmauer"
Die konservative Bürgermeisterin von Calais, Natacha Bouchart, bezeichnet das mit britischen Geldern finanzierte Vorhaben als "Schandmauer". Ihr wäre es mutmaßlich lieber, überhaupt keine Migranten oder jedenfalls keinen "Schandfleck" in Gestalt des "Jungle" mehr in ihrer Stadt sehen zu müssen. Mit "Jungle" wird das Camp bezeichnet, in dem die Migranten in Calais unter schwierigen Lebensbedingungen ausharren (vgl. "Hast Du Dich gesehen, Du Affe?" - Rumble in the Jungle in Calais).
Diesbezüglich machte die Bürgermeisterin in jüngerer Vergangenheit bereits rabiate Vorschläge, die etwa den Einsatz der Armee zum Gegenstand hatten. Nun hat die Rathauschefin kürzlich den Weiterbau der Mauer erst einmal per kommunalem Erlass verboten. Die französische Zentralregierung machte jedoch kurz darauf deutlich, dass sie sich keineswegs an diese Verbotsverfügung seitens der Kommune zu halten gedenkt. Sie hat den Weiterbau angeordnet.
"Wir müssen dieses Camp abreißen, vollständig, definitiv"
Unterdessen schickt sich die französische Staatsmacht an, das Camp mit insgesamt rund 10.000 Insassinnen und Insassen zerstören zu wollen. "Wir müssen dieses Camp abreißen, vollständig, definitiv", kündigte Frankreichs Staatspräsident François Hollande Ende September bei einem Ortsbesuch in Calais an. Angekündigt ist seine "Evakuierung" und sein vollständiger Abbau "vor Jahresende 2016".
Gemeint ist mit dem Abbau der informelle, selbstorganisierte, nicht staatlich durchgeplante Teil des "Jungle". Hingegen wird das vom Staat errichtete Containerlager, mit geplanten 1.500 Insassen, voraussichtlich bestehen bleiben. Zusätzlich sollen laut den Plänen der Regierung weitere 500 Personen in eigenen Camps für Frauen und Jugendlichen verbleiben.
Asylantrag oder freiwillige Ausreise
Die Evakuierung und der Abriss sollten am kommenden Montag, den 17. Oktober, beginnen. Geplant ist, die Bewohnerinnen und Bewohner des abzutragenden Teils über das gesamte französische Staatsgebiet zu verteilen - auf 161 so genannte "Empfangs- und Orientierungszentren" (CAO), die auch als centres de répit bezeichnet werden, wobei répit sowohl "Aufschub" und "Atempause" als auch "Entspannung" bedeutet.
Diese Zentren sollen eine Aufnahme für einen Zeitraum zwischen einem und drei Monaten bieten, um den Geflüchteten zu erlauben, sich - so jedenfalls die offizielle Sichtweise - von den Lebensbedingungen im überfüllten Camp in Calais zu erholen; vor allem aber soll dieser Zeitraum dafür da sein, dass die Betreffenden sich das Vorhaben einer Überfahrt auf die britischen Inseln definitiv aus dem Kopf schlagen. Stattdessen sollen sie sich zwischen dem Stellen eines Asylantrags auf französischem Boden (dem die Überstellung in eine offizielle Asylbewerberunterkunft folgen kann, zumindest theoretisch, weil in Flüchtlingsheimen in Frankreich notorischer Platzmangel herrscht) und einer "freiwilligen Ausreise" entscheiden.
Feindselige Haltung
Ein Hindernis könnte dabei allerdings die feindselige Haltung zumindest mancher Regionen bilden, deren politische Vertreter nicht wünschen, dass ihnen Migrantinnen aus Calais "aufgezwungen" werden. Das stärkste Kontingent von rund 1.700 Geflüchteten aus Calais soll die Region Rhône Alpes-Auvergne aufnehmen. Deren Regionalpräsident, der konservative Hardliner und Scharfmacher Laurent Wauqiez, startete jedoch landesweite Kampagne mittels einer Petition gegen die Aufnahme von Migranten aus Calais.
In Reaktion auf Vorwürfe von seiner Seite sicherte Innenminister Bernard Cazeneuve zu, es werde (entgegen Wauquiez’ Behauptung) eine "Abstimmung" mit örtlichen Politikern stattfinden; man ziehe "freiwillige" Kommunen für die vorübergehende Ansiedlung von Migranten vor.
Erst recht mobil macht zu diesem Thema "natürlich" der rechtsextreme Front National (FN). Einer seiner Bürgermeister - die Partei kontrolliert insgesamt zwölf Rathäuser -, Steeve Briois im nordostfranzösischen Hénin-Beaumont, lancierte eine "Charta" unter dem Titel "Meine Kommune ohne Migranten", der Städte oder Gemeinden beitreten sollen.
Die neofaschistische Partei mobilisiert an vielen Orten in Frankreich, an denen Migranten für einige Wochen untergebracht werden sollen, zu Protestdemonstrationen. So kamen am vorigen Wochenende rund 150 bis 200 rechte Demonstranten in das 1.300 Einwohner zählende Dorf Saint-Denis-de-Cabanne im weiteren Umland von Lyon, wo achtzig Geflüchtete vorübergehende Aufnahme finden sollen.
Andernorts finden jedoch auch viel gewalttätigere Formen von "Protest" statt. So wurden in der Nacht zum vergangenen Mittwoch in Saint-Brévin, in der Nähe des westfranzösischen Nantes, vier Schüsse auf eine geplante Aufnahmeeinrichtung abgefeuert.