Change.org oder Bundestag?

Seite 3: Neues Lobbybüro will mitverdienen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eher zufällig erhielt Telepolis Kenntnis von einem neuen Lobbybüro in Berlin, das Petenten als Kunden warb. In einer dieser Emails heißt es: "Sehr geehrter Herr NN, ich habe ihre Mailadresse von Gregor Hackmack, dem Geschäftsführer von change.org, bekommen - er sagte, dass wir Ihnen bei Ihrem Anliegen, (...) weiterhelfen könnten." In der Email heißt es weiter:

W. ist eine Lobbyorganisation, die ausschließlich für politische Themen von Bürgern und kleinen NGOs lobbyiert. Ähnlich wie bei change.org, können Bürger bei uns ihre Anliegen vorstellen und andere Bürger als Mitstreiter finden. Anders als bei change.org unterzeichnen Menschen aber nicht bloß eine Petition, sondern geben einen kleinen Geldbetrag, damit im Anschluss Politprofis loslegen und das Thema aktiv gegenüber der Politik vertreten. Der Vorteil ist, dass echtes Lobbying in der Regel effektiver als eine Unterschriftenliste zum Erfolg führen kann. Und der Vorteil bei uns ist, dass ein Initiator kein Geld mitbringen muss, um die Lobbykosten zu bezahlen - sondern die Masse an Unterstützern das Geld zusammen aufbringt...

Lobbybüro

Das Lobbybüro teilte weiterhin mit, dass es "Mitte April" mit seiner Arbeit starten würde. Auf die Frage von Telepolis: "Wer bekommt Adressen und Informationen über bei Ihnen eingegangen Petitionen?", hatte Hackmack geantwortet: "Vor- und Nachname können von den Petitionsstartern heruntergeladen und im Rahmen einer Petitionsübergabe an den Adressaten übergeben werden." Wie hieß es noch in der Email? "Ich habe Ihre Mailadresse von Gregor Hackmack, dem Geschäftsführer von Change.org., bekommen."

Verein Mehr Demokratie e.V. - Auf Distanz zu Change org

Weil im Fall der Vereinsauflösung das Vermögen des Change.org e.V. an den Verein Mehr Demokratie e.V. übergeht, fragte Telepolis auch nach dem Verhältnis zu dem Verein Mehr Demokratie e.V. und erhielt die Auskunft, dass es ansonsten "keine institutionellen Verbindungen" gebe. Auch bei Mehr Demokratie e.V. legt man Wert auf eine gewisse Distanz.

Namens des Bundesverbandes von Mehr Demokratie erklärte Anne Dänner gegenüber Telepolis seit den Vorwürfen von 2016 gebe es keine gemeinsamen Kampagnen des MD-Bundesverbandes mit change.org. Wer im Falle einer Auflösung begünstigt wird, entscheide der Verein, der sich die Satzung gibt, also in diesem Fall der change.org e.V. Deutschland. Mehr Demokratie habe bereits Mitte 2015, also vor den Geschehnissen rund um die BigBrotherAwards, per Vorstandsbeschluss Folgendes festgelegt: "MD schließt eine Zusammenarbeit mit change.org nicht grundsätzlich aus, eine Zusammenarbeit müsste aber im konkreten Fall mit change.org verhandelt werden und der Bundesvorstand von MD muss zustimmen."

Anne Dänner ergänzt: "Da rund ein Jahr später im Rahmen der BigBrotherAwards unsere Bedenken hinsichtlich der Datenschutzpolitik von change.org bestätigt wurden, haben wir die Zusammenarbeit mit change.org abgelehnt. Dem sind mit Ausnahme des Landesverbands Hamburg auch die Landesverbände von Mehr Demokratie e.V. gefolgt."

Der Datenschützer Thilo Weichert, der 2015 seine detaillierten datenschutzrechtlichen Bedenken an Change org. veröffentlicht sieht bisher kaum eine Änderung in der Geschäftspolitik von Change org. Seine detaillierten Fragen sind Weichert zufolge bis heute nicht befriedigend beantwortet worden. Change.org erklärt, die deutschen Datenschutzvorschriften einzuhalten.

Dass die Grünen Europa-Abgeordneten Sven Giegold und Martin Häusling ihre politischen Forderungen via Chang.org als Petitionen transportieren, stößt trotz der großen Unterzeichnerzahlen von mehreren Hunderttausend durchaus auch auf Unverständnis. Sven Giegold hat darauf mit einer ausführlichen Erklärung auf seiner Internetseite reagiert, in der es heißt: "Keine andere Petitionsplattform ermöglicht uns, so viele Bürgerinnen und Bürger direkt mit unseren Forderungen zu erreichen …"

Es wird dennoch merkwürdig, wenn Abgeordnete, an die sich normalerweise Petenten wenden, selbst das Mittel der öffentlichen Petition wählen.