Chaos in den Nachrichtenredaktionen

Kein Krisenmanagement bei den Fernsehsendern im Rahmen der pausenlosen Berichterstattung über die Anschläge

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Die terroristischen Anschläge in New York und Washington offenbarten, dass die Nachrichtenredaktionen bei den Fernsehsendern kein vorausschauendes Krisenmanagement zur Bedienung der Aufmerksamkeit betreiben. Egal, ob ARD, ZDF, N-TV, SAT1 oder RTL - alle bezogen ihre Bilder und Informationen von CNN. Ungeprüft ging jegliche Meldung über den Äther.

Ulrich Wickert und andere Nachrichtensprecher bewiesen in den Dauersendungen des ersten Tages, dass sie in den Redaktionen keinerlei Krisenmanagement beherrschen. Monoton wiederholten sie die schrecklichen Bilder der Kamikaze-Attentate in New York und Washington. Wickert bewies sprachliches Unvermögen und sprach selbst Stunden nach Beginn der Berichterstattung noch von einem Absturz. Die Fassungslosigkeit über die selbstmörderischen Attentate beeinträchtigte der Sprachfähigkeit selbst von professionellen Nachrichtensprechern auf N-TV, denn auch die Moderatoren fanden nie den rechten Ton. Man sprach von Unfällen und erst viel später von Anschlägen.

Jede noch so kleine Meldung, die die Ticker der Redaktionen erreichte, wurde ungeprüft an die Fernsehnation weiter gegeben, um das auf Dauer gestellte Programm zu füllen. Die Meldung etwa, dass sich ein weiteres Flugzeug auf dem Flug nach Washington befinden solle, geisterte noch stundenlang durch die Nachrichtensendungen. Zwar bemühte sich Herr Wickert ausdrücklich zu betonen, dass es sich um ungeprüfte Informationen handele, aber selbst Korrespondenten aus New York oder Jerusalem verhielten sich nicht anders.

Eifrig wurde selbst und mit den "Experten" spekuliert, denn von den wichtigen Informationsquellen waren sie abgeschnitten. In New York herrschte das Chaos und der südliche Bereich wurde evakuiert. Die Telefonleitungen waren längst zusammengebrochen. Viele Familien versuchten, ihre Angehörigen telefonisch zu erreichen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.

Warum aber blieben die Nachrichtensendungen so lange unterbrechungslos auf Sendung? Sicher konnte man nach diesen Anschlägen nicht einfach im (Nachmittags)Programm weitermachen. Aber scheinbar ist man bei den Sendern nicht auf solche Horrorsituationen vorbereitet und hat keine Konserven bereit, die ein angemessenes Fernsehprogramm anbieten. Stattdessen liefen die Nachrichtensendungen rund um die Uhr. Es ging wohl um die berühmte Quote, denn man weiß um die Betroffenheit der Fernsehzuschauer bei Katastrophen und deren Informationsansprüche. Vielleicht wollte man auch nichts versäumen, sollte sich doch noch etwas Neues ereignen.

Aber kann man wirklich stundenlang ungefilterte Informationen einer Gebetsmühle gleich herunterbeten? Alle Sender haben eiligst Experten in die Studios gebeten, um weitere Informationen anbieten zu können. So durfte man einem Piloten zuhören, der dem Fluglinienbesitzer Nicki Lauda beipflichten sollte, dass möglicherweise die Terroristen die Flugzeuge selbst in der letzten Phase gesteuert haben. So wollte man die Vermutung unterstreichen, dass es sich um besonders gut ausgebildete Terroristen handeln würde. Ansonsten bot man den Fernsehzuschauern Betroffenheitsberichterstattung, jeder wurde vor die Mikrofone und Fernsehbildschirme gezerrt. Selbst als sich im Berliner Dom um 21 Uhr über 2.000 Menschen zu einem Gedenkgottesdienst versammelten, wurden diese merklich betroffen wirkenden Menschen befragt. Der Gottesdienst selbst wurde nicht übertragen, stattdessen wurden immer und immer wieder die schrecklichen Fernsehbilder mit den immer gleichen Kommentaren gesendet. Erst um 22.30 Uhr kehrte mit den Tagesthemen mehr Sachlichkeit in die zusammenfassende Berichterstattung gebracht.

Nur wenige Fernsehsender erholten sich von diesem Nachrichten-Flash und fingen ab 22 Uhr mit den Sendungen an. Alle anderen trauten sich offensichtlich nicht, die Berichterstattung zu verlassen, um nicht hinter der Konkurrenz zurück zu fallen oder der Kritik eine Blöße zu bieten. An diesem Tage zeigte sich, dass es kaum noch unabhängige Nachrichtenredaktionen gibt. Erstaunlich, bei welchen Sendern überall Herr Kronzucker als Kommentator im Nachrichtensender N24 zu sehen war. Bei den Bildern und Meldungen konnte der Zuschauer eine Gleichschaltung mit dem amerikanischen Nachrichtensender CNN miterleben. Die teuren ARD-Korrespondenten erschienen überflüssig und stotterten meist nur CNN-Meldungen nach. Die Dauerwiederholung der Bilder und Meldungen auf allen Kanälen hat letztendlich eher den Effekt, durch einkehrende Monotonie und Überdruss das Schreckliche nicht verarbeiten, sondern besser beiseite stellen zu können.