Chicago Boys im hellenischen Chicago

Seite 3: Al Capone stolperte über die Steuererklärung …

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Karamperis hatte außer guten Verbindungen in die Politik offenbar auch studiert, woran das große Vorbild Al Capone scheiterte. Die Geldwäsche konnte nur funktionieren, wenn außer den willigen Polizisten das Finanzamt mitspielte. Praktischerweise holte sich der Gauner mit Christos Papachatzis den Regionalleiter und hochrangigen nationalen Amtsträger der Steuerfahndung ins Boot. Die abgehörten Dialoge der beiden verbreiteten sich als Abschriftprotokoll in Windeseile über das Internet. Jeder kann sich nun davon überzeugen, wie vertraulich Anzeigen bei griechischen Steuerbehörden behandelt wurden. Über das weitere Schicksal der Anzeigensteller wurde noch nichts bekannt.

Auch Papachatzis ist in Thessaloniki kein Unbekannter. Er gehört(e) zu den profiliertesten Gewerkschaftlern und lokalen Funktionären der Regierungspartei PASOK. Schlimmer noch, er wird von bösen Zungen sowohl mit dem aktuellen als auch dem vorherigen Finanzminister Griechenlands in Verbindung gebracht. Finanzminister Evangelos Venizelos sah sich gezwungen, im Parlament Stellung zum Thema zu nehmen. Er hatte zwar Papachatzis auf den aktuellen Topposten gehievt, konnte aber nach eigenen Angaben den kriminellen Hintergrund des Funktionärs nicht erkennen. Er hätte jedoch bei sorgfältiger Prüfung herausfinden können, dass sich Papachatzis in der Vergangenheit auch dann noch als Entlastungszeuge für überführte korrupte Steuerfahnder anbot und geradezu aufdrängte, als diese mit den markierten Scheinen des Schmiergeldes von der Staatsanwaltschaft erwischt wurden.

Eventuell hätte auch die selektive Strenge Papachatzis auffallen müssen. Dem Steuerfahnder kam offenbar außer der Schutzfunktion für Karamperis noch eine weitere Schlüsselrolle zu. Wer nicht an die Gangster zahlte, war schnell im Visier fiskalischer Willkür.

Politik, Banken, Polizei, Finanzamt… was fehlt noch?

Offenbar plante Karamperis die Zusammensetzung der Banden sorgfältig. Unter den dreiundfünfzig bisher festgenommen Verdächtigen befinden sich prominente Exfußballer und Schauspieler, aber auch der kurz vor der Rente stehende bisherige Nachrichtenchef des staatlichen ET3 Fernsehens, Giorgos Feretis. Feretis Rolle im Drama beschränkt sich offenbar auf den Posten des Kassenwarts. Der Journalist beteuerte seine Unschuld und konnte sich selbst nicht erklären, wieso immer so viel Geld auf seinem Konto war. Offensichtlich wurde ihm jedoch auch Geld in Einkaufstüten ins Fernsehbüro gebracht. Nach Zahlung einer Kaution von 200.000 Euro wurde er am Samstag aus der Haft entlassen. Im Internet bildeten sich derweil satirisch gemeinte "free Feretis"-Gruppen.

Der Journalist war bisher vor allem als Kommentator von Paraden und Fußballspielen aufgefallen. Feretis war bis 2004 Sprecher des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel. Warum der stets bis zur Grenze der Langweiligkeit auftretende Pressesprecher diesen Posten verlor, ist nicht bekannt. Kaum ein großes Geheimnis ist jedoch Feretis Hang zum Glücksspiel.

Die Justiz beginnt zu arbeiten

Fast könnte man bei all diesen Festnahmen und Räuberpistolen über sich auf magische Weise füllende Konten vergessen, dass auch in der offiziellen Politik aufgeräumt wird. Thessalonikis Exbürgermeister Vassilis Papageorgopoulos muss bald ebenso wie sein ehemaliger Stadtkämmerer Michalis Zorpidis durch schwedische Gardinen gefilterte Luft atmen. Auch der amtierende Bürgermeister der mit Thessaloniki benachbarten Stadt Kilkis, Evangelos Balaskas, ist derzeit vom Dienst suspendiert. Gegen ihn laufen Ermittlungsverfahren wegen finanziellen Unregelmäßigkeiten, die er in seinem früheren Amt als Präfekt zu verantworten hatte. Was sonst, möchte man fragen.

Selbst vor Ex-Ministerpräsident Giorgos Papandreou macht die Justiz nicht (mehr) halt. Finanzstaatsanwalt Grigoris Peponis ermittelt wegen vorsätzlicher Bilanzfälschung. Offenbar befindet sich ein Teil der Justiz im Clinch mit der Politik. Denn Peponis und sein Mitstreiter Spyros Mouzakitis, die als oberste Finanzstaatsanwälte erst vor wenigen Monaten eingesetzt wurden, werden von amtierenden Regierungsmitgliedern regelmäßig angegriffen. Die Staatsanwälte hingegen behaupten regelmäßig, dass sie seitens der Politik unter Druck gesetzt werden.

Auffällig ist jedoch, dass erst seit Dienstantritt der beiden gehäuft Festnahmen von Prominenten stattfinden. Im Land werden die überaus regen und als streng, aber gerecht bekannten Justizbeamten bereits jetzt mit dem italienischen Staatsanwalt Antonio di Pietro und dem ermordeten Richter Giovanni Falcone verglichen. Insider munkeln, dass sich nun die Politiker ärgern, die im Sommer für die Schaffung des Finanzstaatsanwaltsamtes getrommelt hatten. Denn seinerzeit erregte Staatsanwältin Eleni Raikou durch intensive Untersuchungen politischer Skandale Aufsehen.

Es bleibt abzuwarten, ob es mit einer politischen Entscheidung zur griechischen Schuldenfrage noch ein Happy End in buchstäblich letzter Minute gibt. Sollte das Aufräumen der Justiz im Korruptionssumpf langfristig Erfolg haben, dann ist zumindest ein Grundstein für einen besseren Neuanfang gelegt. Ohne Säuberung kranker Strukturen bleibt das Staatssystem ein Fass ohne Boden, in dem alle Kredite versickern.