Chile: Kommen die Monster zurück?

Seite 2: Das sind die demokratischen Neuerungen der neuen Verfassung in Chile

Der neue, in den letzten zwei Jahren vorangeschrittene Verfassungsprozess bedeutete eine radikale Wende in der Geschichte Chiles und ganz Lateinamerikas: Nun wurde ein neuer Verfassungstext zum ersten Mal von einem zuvor demokratisch gewählten Gremium ausgearbeitet.

Aber nicht nur das: Diese verfassungsgebende Versammlung wurde paritätisch besetzt und die angemessene Repräsentation der indigenen Gruppen (knapp 13 Prozent der chilenischen Bevölkerung) gemäß ihrem Bevölkerungsanteil sichergestellt – ein weltweit einmaliger Schritt.

Die Zusammensetzung dieses "Verfassungs-Körpers" spiegelt sich in den Ergebnissen der Beratungen wider. Neben der Definition Chiles als "sozialer und demokratischer Rechtsstaat" besteht die wichtigste demokratische Neuerung des Textes in der Einführung des Grundsatzes der Geschlechterparität in allen Positionen der staatlichen Verwaltung.

In Verbindung mit den oben genannten Punkten erkennt sie zudem ausdrücklich die Klimakrise an und räumt der Natur Rechte ein (was bereits in der letzten ecuadorianischen Verfassung der Fall war), um die Verantwortung des Staates für den Schutz der Umwelt zu gewährleisten.

Im "Halbdunkel": Fake News und andere Gespenster

Diese Aussicht ist zu schön, um wahr zu sein. Zwei Wochen vor dem endgültigen Plebiszit zeigen alle Umfragen im Land einen großen Vorsprung für die Option "Ablehnung".

Eines der Gespenster, die den Prozess in den letzten Monaten behinderten, war eine starke Fake News-Kampagne der Konservativen. Unter anderem verbreiteten sie die Lüge, die neue Verfassung würde das Privateigentum abschaffen und eine "indigenistische Diktatur" errichten. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit ist solche Angstmacherei das perfekte Rezept zur Deligitimierung von Demokratien – eine Geschichte, die Deutschen noch bekannter vorkommen dürfte, als uns Chilenen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Plebiszit die Erwartungen des progressiven Kräfte enttäuscht (man denke nur an die Brexit-Abstimmung oder an den Friedensprozess in Kolumbien). Es wäre auch zu kurz gegriffen, die unbeabsichtigten Fehler der Führer der örtlichen verfassungsgebenden Versammlung zu ignorieren, deren Verhalten in kritischen Momenten mit den Interessen der Bevölkerung kollidierte.

Wie auch immer der Ausgang sein wird, kann diese Erfahrung demokratischer Praxis bei den Chilenen nicht ausgelöscht werden. Sie wird im Gegenteil ein dauerhafter Maßstab für das verfassungsrechtliche Schicksal anderer Regionen in politischen Krisen sein.

Auch im Globalen Norden: Es würde weder dem Vereinigten Königreich noch den Vereinigten Staaten schaden, nach Süden zu schauen.