China, Herbst 2017: Neues hinter Altem

Xi Peng bei der Eröffnung des Parteitags. Bild: Screenshot aus NC-YouTube-Video

Der chinesische Traum lebt fort, aber nur um den Preis politischer Regression

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Das ist definitiv vormodern: Chinas Führer und Parteichef Xi Jinping (64) langt nach 5 Jahren im Amt auf dem 19. Parteikongress in Peking tief in die unterirdischen Vorratskammern des chinesischen Kollektivgedächtnisses - und fördert eine höchst zweifelhafte Kultfigur zutage, den Großen Vorsitzenden Mao Tsetung.

Erstaunt sieht alle Welt Xi und seinen 2.300 Claqueuren zu, man möchte eine Großmacht auf ihrem Weg in ein "neues Zeitalter" gern verstehen. Aber wie verständlich ist das wirklich?

Glaube mir, unsere moralische und politische Welt ist mit unterirdischen Gängen, Kellern und Cloaken miniret …

J.W.v.Goethe an Johann Caspar Lavater, 22. Juni 1781

Ein Vordenker, 90 Millionen Lakaien

Xi Jinping und seinem "Gedankengut" wird eine Ehre zuteil, die nach westlicher Auffassung anachronistisch anmutet. Wie es heißt, werden seine Ideen fortan namentlich als Leitlinie in die Statuten der Partei übernommen.

Die kommunistische Ideologie unterscheidet hier sehr feinsinnig zwischen "Gedankengut" und "Theorien". Mit letzeren war auch Deng Xiaoping schon in den Satzungen vertreten, aber mit eigenem "Gedankengut" zuvor nur der Große Vorsitzende Mao. Das Geistesgut von Xi Jinping persönlich soll in der Tradition Maos nun als "Leuchtturm" für die Arbeit von beinahe 90 Millionen Parteimitgliedern dienen.

Ein Vordenker und 90 Millionen Mitdenker? Mit seiner Einstufung als Vordenker baut Xi seine bestehende Machtposition bis zur vollständigen Unangreifbarkeit weiter aus. Der Parteitag billigte auch einen Personalwechsel im Zentralkomitee, mit dem Xi weitere Gefolgsleute in dem Parteigremium installiert.

Das erneuerte Politbüro und dessen Ständiger Ausschuss riegeln den Machtanspruch und seine Exklusivität als engster Führungszirkel um Xi Jinping zusätzlich definitiv ab: Xi Jinping will den vor fünf Jahren gebildeten Ausschuss des Politbüros, der noch frühere Machtverhältnisse abbildete, fast komplett auswechseln. Nur Premier Li Keqiang (62) soll neben Xi Jinping selbst im Ausschuss verbleiben. Der Deal ist damit perfekt: Einer für alle, und alle für Einen.

Was ist von der Summa Harmonica zu halten? Zunächst, ideologisch ist der Regress auf den absoluten Personenkult unübersehbar. Ein solcher Akt ist unmöglich als rein politische Maßgabe zu werten, sondern muss zugleich als ein mythologischer Salto Mortale eingestuft werden, allerdings von höchst zweifelhafter Statur.

Die offenkundig angestrebte Duplizität (Xi - Mao), die unverkennbar hier den Führungsanspruch begleitet beziehungsweise unterfüttert, kann nicht abgelöst von der historischen Leitfigur betrachtet werden. Allzu deutlich spukt der Geist Maos hinter der Parteitags-Kulisse. Was Xi hier vollbringt, ist zugleich die chinesische Spielart eines zeitgemäßen Populismus, denn, wie jedermann weiß, schwören immer noch Millionen auf das Genie des Großen Vorsitzenden Mao Tsetung und schwärmen von Heiligen Zeiten.

Dämon der Vergangenheit

Die reale Geschichte spricht eine andere Sprache. In den "unterirdischen Gängen, Kellern und Cloaken", abseits der pompösen Inszenierungen, wie sie auch heutige Parteitage zur Schau tragen, schlummern die Zeugnisse der kommunistischen Diktatur, der Millionen zum Opfer fielen. Ist sich Xi der Doppelbödigkeit seiner Show bewusst?

Mao war ein Gewaltmensch, der einen monströsen Personenkult pflegte und der sich auf dem Höhepunkt seiner Macht in der Tradition chinesischer Kaiser erblickte. Während der Kulturrevolution der 1960er Jahre nahm der Kult abnorme Ausmaße an. Allein der "Große Sprung nach vorn" (1958) brachte nach neueren Erkenntnissen 45 Millionen Menschen den Tod.

Trotz des menschenverachtenden Terrors zehren bis heute viele Landsleute von einem Gefühl der Identität, das sich aus Maos Ära nährt und erhält. Hier hat es keine wirkliche Aufarbeitung gegeben. Die chinesische Revolution war für Millionen die Hölle; da mutet es fast wie ein Gruselkabinett von willfährigen Lobhudlern an, wenn 2.300 Parteigänger ohne Gegenstimme Xi zusammen mit dem Geist der Erneuerung beschwören.

Der Traum vom "großen Aufstieg" - Auch die EU ist Rivale

Unterdes läuft der machtpolitische globale Poker weiter, teils weit weniger von der Weltöffentlichkeit beachtet. Chinas Bestrebungen in Afrika sind wohl bekannt, auch die Rivalität des amerikanischen Gegenspielers.

Nicht so stark im Licht der Öffentlichkeit steht Zentralasien, wenn es um Chinas Einflussnahme geht, beispielsweise Usbekistan, das bevölkerungsreichste Land unter den postsowjetischen Staaten der Region. China ist seit Jahren dabei, seine wirtschaftliche Präsenz an der östlichen Peripherie der EU gezielt auszubauen. Peking kooperiert dabei bereits mit 16 ost- und südosteuropäischen Ländern und tätigt umfassende Investitionen. Ein Rivale für Chinas Machtanspruch ist hier die EU, aber auch Russland, das in Zentralasien weiterhin strategisch auf Einflussgewinne setzt, und dies auf ökonomischem und militärischem Gebiet gleichermaßen.

Zum Abschluss des Parteitags rief Xi Jinping zu einer "neuen Reise beim Aufbau des Sozialismus chinesischer Prägung" auf. Die Parole überdeckt das Fehlen einer Zivilgesellschaft, weit und breit sind keine Anzeichen für einen erwünschten politischen oder gesellschaftlichen Diskurs erkennbar.

Xi will China zur Weltmacht machen, die Partei macht ihn zum Alleinherrscher. Mao schottete sich zuletzt gegen alles und jeden ab, dabei verlor er den Bezug zur Realität - zu seinem Volk. Unter der allmächtigen Führung von Parteichef Xi Jinping preisen die Kommunisten nun wieder den "großen Aufstieg Chinas", propagieren einen "Aktionsplan für die ganze Partei und alle Chinesen, nach dem großen Wiederaufstieg der chinesischen Nation zu streben".

Das sind hehre Worte. In der Vision von China als wirtschaftlicher und militärischer Weltmacht repräsentiert der Parteichef erneut eine quasi göttliche Sendung. Deren Erfüllung "ist der größte Traum des chinesischen Volkes seit Beginn der Neuzeit".