China: Moralkeule von Baerbock, Wahrheit von Macron

Seite 2: Russland und China: Zwei Kriege auf einen Streich?

Denn natürlich kann es sich kein Staat Europas leisten, mit dem gleichen Aufwand wie im russischen Krieg gegen die Ukraine mit Sanktionen und Militärlieferungen gegen China vorzugehen. Wegen der ungleich stärkeren Rolle Chinas im Welthandel, wegen der Insellage Taiwans, wegen der begrenzten Kapazitäten der europäischen Rüstungsindustrie, die schon jetzt "am Limit" produziert, hätte das auch viel bescheidenere Auswirkungen auf China, als es bisher auf Russland hatte.

Ganz abgesehen davon, dass auch die völkerrechtliche Lage ganz anders ist: nur wenige Uno-Mitglieder erkennen Taiwan als souveränen Staat an, es hat bisher selbst auf eine Unabhängigkeitserklärung verzichtet. Das heißt auch: Die moralische Empörung in Europa nach einem gewaltsamen Vorgehen Chinas wird sich in Grenzen halten, besonders, wenn das gewaltsame Vorgehen schnell beendet sein wird.

Man hat ja gesehen, wie schnell in Europa (und den USA) wieder business as usual herrschte, nachdem Peking Hongkongs Demokratiebewegung und die Autonomie der Stadt abgeschafft hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass taiwanesische Flüchtlinge bis nach Europa kommen und dort unser kollektives Gewissen so wachrütteln, wie die Millionen Ukrainer das in Polen, Rumänien, Deutschland getan haben, ist gering. Es gibt etwa 40 Millionen Ukrainer und die sind 700 Kilometer östlich von Berlin. Aber es gibt nur 24 Millionen Taiwanesen und die sind 9.000 km östlich von Berlin.

Außenpolitik als moralische Angelegenheit

Nun rächt sich, dass Außenpolitik in Deutschland immer in erster Linie als moralische Angelegenheit betrachtet wird. Olaf Scholz und Annalena Baerbock müssen sich einsetzen für Menschenrechte, für europäische Werte, Demokratie, Minderheiten, Frauenrechte, Klimaschutz und Umweltschutz, Toleranz und intersektionale Inklusion. Sie müssen gegen das Böse in der Welt und für das Gute kämpfen. Nur eines verlangt fast niemand von ihnen: dass sie unsere Interessen verteidigen. So etwas sagt nur die AfD, die dafür aber auch eine – vorsichtig gesagt – eigenartige Vorstellung von diesen Interessen hat.

Doch wenn Moral die Richtschnur der Außenpolitik ist, warum liefern wir dann Waffen an die Ukraine,aber keine an den gewaltbereiten Teil der Opposition im Iran? Warum haben wir dann China nicht schon längst mit Wirtschaftssanktionen überzogen, um es für die Verfolgung der Uiguren, der Demokratiebewegung in Hongkong und die Unterdrückung Tibets zu bestrafen? Warum empören uns Kriegsverbrechen in der Ukraine mehr als Kriegsverbrechen im Kongo und im Jemen? Die Antwort ist simpel, jeder zufällig auf der Straße angesprochene Otto Normalverbraucher kann sie in ein Mikrofon sprechen: "Was gehen uns die Leute im Kongo an?" Macron würde es vermutlich so ausdrücken: "In der Ukraine hat Europa ein strategisches Interesse. In Asien nicht."

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.