China: Neue Planstadt, doppelt so groß wie Berlin

Bahnhof von Xiongan. Bild: N509FZ, CC BY-SA 4.0

Planstädte als Spiegel gesellschaftlicher Utopien und Entwicklung: das Beispiel Xiongan. Neue Metropole soll Beijing entlasten. Deutsche Firmen beteiligt.

Die Geschichte der Planstädte erstaunlich alt. Schon das alte Ägypten war voll davon, die älteste durchgeplante Ansiedlung ist wahrscheinlich Memphis, das schon 3150 vor Christus gegründet wurde. Zunächst waren es große HerrscherInnen, die sich Städte bauen ließen, später kamen andere Akteure und Beweggründe hinzu.

Emanzipation von der Landschaft

Mit der Barockzeit emanzipieren sich die Entwürfe auch in Mitteleuropa endgültig von den durch die Landschaft auferlegten Vorgaben. Deutsche Gründungen aus dieser Zeit sind zum Beispiel Mannheim (Quadrate) und Karlsruhe (Kreisform). Bei solchen Planungen ging es nicht mehr ausschließlich um Ruhm und Repräsentanz, sondern auch um neue Funktionen wie etwa eine zentralisierte Verwaltung. Diese konnten die enger werdenden mittelalterlichen Siedlungen nur eingeschränkt erfüllen.

Oft spielte Verteidigung eine Rolle – geradezu idealtypisch wurde diese Funktion etwa beim Bau von Neuf-Brisach in Stein gemeißelt. Auch religiöse Motive haben zu bemerkenswerten Ergebnissen geführt, wie zum Beispiel das südindische Madurai beweist, dessen Straßenzüge im 16. Jahrhundert wie eine Lotusblüte um einen zentral gelegenen hinduistischen Tempel angeordnet worden sind.

Als weltumspannendes Phänomen traten Planstädte erstmals im Zuge des Kolonialismus in Erscheinung. Das bezeugen vor allem die unzähligen Schachbrettmuster der Städte in beiden Teilen des amerikanischen Kontinents.

Auch britische Gründungen wie New Delhi (im Gegensatz zu Old Delhi) zählen in diese Kategorie. Den Kolonialherren war das Pflaster in Kalkutta auch wegen der bengalischen Unabhängigkeitsbestrebungen zu heiß geworden. Und im philippinischen Manila versuchten die Spanier, ihre Vorstellungen von der Ordnung der Welt zu realisieren.

Mit der industriellen Revolution erlangten weitere Aspekte von Stadtplanung Bedeutung. Dafür sind etwa Wolfsburg und Eisenhüttenstadt Beispiele aus der Mitte des 20. Jahrhunderts.

Derzeit ist Navi Mumbai, das Neue Mumbai, mit über einer Million Einwohner:innen die größte Planstadt der Welt. Dessen Bau wurde vor allem nötig, weil die Infrastruktur des alten Bombay schon seit Jahrzehnten überlastet war.

Dagegen hat das palästinensische Rawabi seine Existenz vor allem dem Willen zum Widerstand in der völkerrechtswidrig besetzten Westbank zu verdanken. Anders als etwa Angkor hat Rawabi es immerhin in die Liste der Planstädte bei Wikipedia geschafft.

Neue Planstadt in China: Xiongan

Derzeit wird in Nordchina eine Planstadt errichtet, die später einmal zwei bis 2,5 Millionen Menschen beherbergen und einen Planungs- und Verwaltungsraum umfasst, der mehr als doppelt so groß ist wie das Land Berlin.

Da ist es spannend, zu fragen, was sich die Verantwortlichen davon versprechen, vor allem, da die "New Area Xiongan" als Gebiet von nationalem Rang eingestuft wurde und damit Projekten wie dem Stadtbezirk Pudong in Shanghai gleichgestellt ist.

Zunächst geht es darum, den Großraum Beijing zu entlasten. Es sollen neue Kapazitäten und Flächen für solche Funktionen Beijings bereitgestellt werden, die nicht dessen Zweck als Regierungssitz dienen.

Xiongan befindet sich in der Mitte eines Dreiecks Beijing, Tianjin und Baoding/Shijiazhuang was es ermöglichen soll, die Wirtschaft des Großraumes (mit insgesamt 50 bis 60 Millionen Einwohner:innen) besser zu koordinieren, zu vernetzen und zu diversifizieren.

Die geografischen Voraussetzungen dafür sind gut. Der Beijinger Flughafen ist nur 55 Kilometer weit weg, Beijing selbst sowie Tianjin liegen nur etwa jeweils 80 Kilometer entfernt. Sogar das fast 200 Kilometer entfernte Shijiazhuang, die Hauptstadt der Provinz Hebei, soll später mit Schnellzügen in weniger als einer Stunde zu erreichen sein.

Es wird also möglich sein, in einer dieser Städte zu arbeiten und in Xiongan zu wohnen.

Doch eine Schlafstadt soll Xiongan nicht werden: Geplant ist die Ansiedlung von High-Tech-Industrien und die Entwicklung innovativer Ressourcen. So ist die erst am 22. April 2021 gegründete China Satellite Network Corporation in Xiongan beheimatet. Die Agentur soll die Bemühungen um ein nationales Satelliteninternet Chinas bündeln, um es dann aufzubauen und zu betreiben.

Die Chinesen sind überdies Meister der Zonierung. In verschiedenen Zonen werden vor allem gesetzliche Neuerungen wie etwa die Zulassung von Direktinvestitionen ausländischer Kapitalgeber oder für einen reibungslosen Export in unterschiedlichen Branchen zunächst getestet.

Berühmt geworden sind vor allem die Sonderwirtschaftszonen im Perlflussdelta mit Shenzhen an der Spitze. Auch die ehemals kolonialen Besitztümer Hongkong und Macao verfügen nach wie vor über einen Sonderstatus. In Xiongan soll von Anfang an ein neues Modell für Stadtverwaltungen geschaffen werden, bei dem es vor allem um Digitalisierung geht. Hat dieses Modell Erfolg, könnte es gegebenenfalls auf andere Verwaltungseinheiten übertragen werden.

Schließlich heben die chinesischen Quellen die hervorragende Ökologie der Umwelt und im gleichen Atemzug die damit einhergehende hohe Belastbarkeit der natürlichen Ressourcen und der Umwelt hervor. Die geringe Bebauung biete reichlich Raum für Entwicklung. Chinas Offizielle lieben Bäume, und deshalb sollen auch im Verwaltungsgebiet Xiongans 30.000 Hektar (300 Quadratkilometer) Wald gepflanzt werden.

In der Region gibt es zudem ausgedehnte Feuchtgebiete, was die PlanerInnen von einer "international erstklassigen, grünen, modernen und intelligenten ökologischen Wasserstadt in blauen und grünen, frischen und hellen Farben" träumen lässt.

Die zur Ansiedlung der neuen Stadt ausgewiesene Fläche beträgt derzeit etwa 100 Quadratkilometer, das mittelfristige Entwicklungsgebiet etwa 200 Quadratkilometer.

Zum Vergleich: Nürnberg umfasst eine Fläche von 186,5 Quadratkilometer und hat rund 530.000 Einwohner:innen. Zwei junge Damen, die an der Planung beteiligt waren und sind, stellt die Global Times in einer Reportage vor.

In der Reportage wird betont, dass Xiongan die Vision des nächsten Entwicklungsschrittes Chinas repräsentiert. Mitte des 21. Jahrhunderts soll die Stadt Teil eines städtischen Clusters auf Weltniveau mit Beijing als Zentrum geworden sein. In diesem Jahr sind Projekte im Wert von etwa 100 Milliarden Euro in der Region geplant.

Westliche Partner

Auch wenn es die chinesische Seite nicht hervorhebt – die Internetsuche zeigt, dass auch westliche Firmen an der Planung der Stadt beteiligt sind. Dazu gehört etwa die in London ansässige Büro Chapman Taylor, das ebenfalls eine junge Chinesin als Ansprechpartnerin für das Projekt nennt.

Aus Deutschland haben Pesch Partner einen städtebaulichen Entwurf für einen der zu errichtenden Stadtteile bei. Die Planer:innen bezeichnen das an einem See gelegene Vorhaben als "eine urbane Struktur mittlerer Dichte, die optimal in die Kulturlandschaft der Region einbettet ist".