China auf der Überholspur bei klinischen Versuchen mit neuer Gentherapie?

Wegen der laxen Regeln werden in China riskante Versuche an Menschen mit durch die Genschere Crispr-Cas9 genveränderten Zellen durchgeführt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Während in den westlichen Ländern erst im nächsten Jahr klinische Versuche einer Gentherapie mit der Genschere Crispr-Cas9 anstehen, sind die ersten Versuche in China bereits 2015 in einem Militärkrankenhaus geschehen. In dem Jahr wurden Krebspatienten (Niere, Leber, Lunge und Kehlkopf) bereits eigene, mit der 2012 erstmals beschriebenen Genschere editierte Zellen injiziert. Nach ClinicalTrials.gov sind bislang in China mit dieser Methode mehr als 200 Krebspatienten behandelt worden. Wahrscheinlich ist es das einzige Land, in dem bislang damit Versuche am Menschen durchgeführt wurden. Ergebnisse wurden nicht veröffentlicht. Das Wall Street Journal berichtet nun von einem Krankenhaus in der Nähe von Shanghai, in dem seit März 2017 vermutlich 21 Patienten, die Speiseröhrenkrebs haben, der neuen Methode der Gentherapie unterzogen wurden, die ähnlich gehypt wird wie einst das Klonen und die Stammzellen.

Damit preschen die Chinesen anderen Staaten weit voraus und könnten sich so ein Monopol sichern, sofern die CRISPR/Cas-Methode erfolgreich sein sollte. Mit der Genschere können anders als bei der traditionellen Gentherapie, bei der genetisches Material etwa mit einem Virus in den Körper eingeschleust werden, das bestenfalls irgendwo in die DNA eingebaut wird, gezielt Gene ausgeschnitten und/oder eingefügt werden.

Das Wall Street Journal greift das Thema vor allem unter der Perspektive eines unlauteren Wettbewerbs auf. China könne voranpreschen, weil es wenige Hürden für die Durchführung von klinischen Tests auch mit bislang unbekannten Methoden der Gentherapie gibt. Ein Versuch müsse nicht von staatlichen Instanzen bewilligt werden, es seien auch kaum Auflagen für notwendige Berichte erforderlich. So habe das Team von Wu Shixiu im Hangzhou Cancer Hospital lediglich die Zustimmung des Ethikkomitees des Krankenhauses für die Genehmigung der Versuche benötigt. Das billigte es angeblich in wenigen Stunden. Wu erklärt, es sei notwendig gewesen, die todkranken Patienten schnell zu behandeln. Den Patienten wurde gesagt, dass ihr Immunsystem verändert werden, aber nicht, dass es sich um ein experimentelle, also ungeprüfte Methode handelt

Für die Versuche an Menschen wurden an Speiseröhrenkrebs erkrankten Patienten Blut abgenommen. In einem Labor wurde dann mittels Crispr-Cas9 in Immunzellen ein Gen ausgeschnitten, das das Immunsystem hemmt, Krebs zu bekämpfen. Die Zellen wurden schließlich mit einer Infusion in die Körper der Patienten eingeleitet. Es besteht die vage Hoffnung, dass die genveränderten Zellen dem Immunsystem ermöglichen, den Krebs zu bekämpfen. Und es besteht die Hoffnung, dass nicht doch auch mehr als Krebszellen bekämpft werden oder andere Folgen eintreten. Noch ist nicht klar, ob und welche langfristige Folgen solche Eingriffe in die DNA verursachen können. Sie könnten erst nach Jahren oder Jahrzehnten auftreten.

Die europäischen und amerikanischen Wissenschaftler stehen jedenfalls vor dem Dilemma, dass das überstürzte Anwenden der neuen Gentherapie diese auch voreilig diskreditieren könnte, wenn sie sich als zu riskant erweisen sollten, während sie auf der anderen Seite viele Anforderungen zur Risikominimierung der Patienten überwinden müssen. Sollen also, wie manche sagen, verbindliche, weltweit geltende Regeln aufgestellt werden? An die würden sich aber auch nicht alle halten. So könnten also durch die "gesetzliche Asymmetrie" europäische und amerikanische Wissenschaftler und Standorte ins Hintertreffen geraten, was zur Folge haben könnte, dass auch hier die Forderung nach Senkung der Hürden für die Durchführung von klinischen Tests an Menschen erhoben wird.

Sicherheit unsicher

Allerdings könnte der Hype, der derzeit um die CRISPR/Cas-Methode als vielversprechende Gentherapie gemacht wird, auch schnell gedämpft werden, wenn sich erweist, was Stanford-Wissenschaftler gerade herausgefunden haben. Die verwendeten Cas9-Proteine stammen nämlich von Bakterien (Staphylococcus aureus und Streptococcus pyogenes), die häufig Infektionen bei Menschen verursachen. Daher hat offenbar das Immunsystem bei vielen Menschen bereits Abwehrmechanismen entwickelt. Die Wissenschaftler haben Antikörper bei 79 Prozent der untersuchten Menschen gegen SaCas9 und bei 6 Prozent gegen SpCas9 gefunden, bei 46 Prozent wurden entsprechende T-Zellen gefunden. Es ist also gut möglich, dass bei der Hälfte der Menschen die Genschere nicht eingesetzt werden kann oder zu unerwünschten Ergebnissen führt.

Von den Versuchspersonen am Hangzhou Cancer Hospital sind sieben gestorben. Nach Wu am fortgeschrittenen Krebs, nicht wegen der Behandlung mit der neuen Methode. Daher wurden sie auch nicht dem Ethikkomitee gemeldet. An menschlichen Embryonen wurde die Genschere allerdings auch bereits in den USA ausprobiert. Nach anfänglichen Erfolgsmeldungen (Durchbruch bei der gentechnischen Veränderung des Menschen) wurden jedoch Zweifel laut, wie effizient ein Gen ausgeschaltet oder korrigiert werden kann. Dazu kam, dass durch den Eingriff mit der Genschere offenbar wahllos DNA-Bausteine in die Schnittstelle eingefügt oder entfernt wurden: "Das Gen wird damit in der Regel unbrauchbar, und die Embryonen können nicht für eine Schwangerschaft verwendet werden" (Genmanipulierte menschliche Embryonen - Zweifel am Durchbruch).

Eine andere Studie warnte, dass Eingriffe mit der Genschere keineswegs gezielt sind, sondern weitreichende Folgen haben können. Wissenschaftler hatten das Genom von Mäusen vollständig sequenziert, die mit der Genschere behandelt wurden. Ein Gen, das Blindheit verursachte, war zwar erfolgreich korrigiert worden, aber gleichzeitig waren woanders auf dem Genom über 1500 Mutationen in einzelnen Nukleotiden (Punktmutationen) und mehr als 100 größere Veränderungen aufgetreten (CRISPR-Genom-Editierung mit unerwünschten Nebenwirkungen). Das kann zwar unbedenklich sein, verstärkt aber doch die Skepsis an der gefeierten Wundertechnik und deren schnelle Anwendung an Menschen. Allerdings könnte man auch ethisch begründet sagen, dass es richtig sein kann, Menschen, die vorhersehbar bald sterben werden, auch mit Methoden zu behandeln, deren Risiko und Wirksamkeit nicht bekannt ist. Mehr als sterben können sie nicht. Aber sie müssten zumindest darüber deutlich aufgeklärt werden, dass sie Versuchskaninchen sind, was offenbar in China nicht geschehen ist.