China kämpft gegen neue Publikationsformen im Netz
Die Zensurmauern werden brüchiger
Demnächst wird der Prozeß gegen Lin Hai, einen dreißigjährigen Geschäftsmann aus der Computerbranche, beginnen. Er könnte eine neue Ebene der Auseinandersetzung zwischen politischen Aktivisten und Menchenrechtlern und den chinesischen Ordnungskräften einleiten, denn immer mehr Menschen - gegenwärtig soll es mehr als 1,2 Millionen Internet-Accounts geben - haben in China einen Zugang zum Internet. Lin Hai wird beschuldigt, zur Subversion der staatlichen Macht aufgerufen zu haben. Seit September 1997 bis zu seiner Verhaftung im März dieses Jahres habe er Tausende von chinesischen Email-Adressen an "feindliche ausländische Publikationsorgane" weitergegeben.
Gemeint ist damit vor allem der von chinesischen Dissidenten und Intellektuellen in den USA veröffentlichte Newsletter VIP Reference, der alle 10 Tage erscheint, Artikel von Nachrichten über Kommentare und Rezensionen bis hin zu Essays enthält, die in China nicht veröffentlicht werden dürfen ("Wenn People's Daily sie veröffentlicht, erscheinen sie bei uns nicht") und angeblich mittlerweise an 250000 chinesische Email-Adressen versandt wird. Man kann beliebig viele Email-Adressen angeben, um den Newsletter an diese verschicken zu lassen. Das soll auch dazu dienen, daß einzelne Empfänger nicht beschuldigt werden können, den Newsletter von sich aus abonniert zu haben. Die Herausgeber warnen die Menschen in China davor, VIP Reference selbst weiterzusenden, da man deswegen angezeigt und bestraft werden könne. Nur Mail zu empfangen, sei nicht strafbar. Um Webfilter auszutricksen, wird der Newsletter stets von einer anderen Emailadresse ausgesendet.
Die Herausgeber sagen, daß sie Internet-Experten seien und daß sie die Idee der Meinungsfreiheit schätzen: "Wir sind entschlossen, das chinesische Zensursystem im Internet zu zerstören. Wir glauben, daß das chinesische Volk, wie jedes andere auch, das Recht auf Information und auf freie Meinungsäußerung braucht. Wir wollen helfen, Chinas Pressefreiheit als integralen Bestandteil der Menschenrechte des chinesischen Volks zu verwirklichen." Mit dem Newsletter will man den beschränkten Informationszugang der Menschen in China in Bereichen der Politik, der Wirtschaft, der Außenpolitik und der intellektuellen Ideologie erweitern, die gegenwärtig besonders stark zensiert würden.
Der Prozeß gegen Lin Hai wird als Versuch der chinesischen Behörden gesehen, den Zugang zu Informationen im Internet stärker zu kontrollieren. Die chinesische Regierung versucht zwar, China aus kommerziellen Gründen dem Netz gegenüber zu öffnen, aber gleichzeitig die "gefährlichen" politischen Seiten im Griff zu behalten. Spezialeinheiten wurden aufgebaut, um gegen Computerkriminalität vorzugehen. Chinesische Bürger sollen aber auch keinen Zugang zu veröffentlichten Staatsgeheimnissen, politischer Subversion und Pornographie erhalten. Seit 1995 müssen sich alle User polizeilich registrieren lassen, was aber offensichtlich nicht streng verfolgt wird. Das Netz soll nicht zur Verbreitung von Separatismus oder zur Denunzierung der Regierung benutzt werden. In die Pflicht eingespannt werden dabei auch die Provider, die Missetäter melden müssen, wenn sie nicht bestraft werden wollen. Die von der Regierung angestrebte Kontrolle des Internetzugangs durch Blockierung unliebsamer Websites wie CNN, BBC oder im Ausland befindlicher chinesischer Dissidenten wird aber von Newsletters wie VIP Reference durchbrochen.
"Up until today, China's rulers still have not relaxed their ideological control over citizens. They force citizens to maintain unity with the "center," allowing citizens to accept only one theory and one "ism," and prohibiting them from accepting anyideology or value system which has not received official endorsement, particularly the so-called "Western" value system. To this day, all mass media such as newspapers, radio and television stations are kept under the control of a specified party's propaganda organs, thus forcing the media to act as the mouthpiece of this party and to perform the function of suppressing public opinion.
They block the dissemination of information, conceal the facts, cover up what occurs in real life with elaborately-fabricated lies and conceal the special privileges given to a particular party and other interest groups. But such obviously out-dated and rigid ways of interfering with freedom of thought and of restricting citizens' freedom to seek, receive and impart information are increasingly incompatible with the present information age."
Declaration on Civil Rights and Freedom, 22.9.1998
Seit letztem Jahr gibt es auch das Untergrund-Webzine Tunnel, das gleichfalls gegen die Zensur in China kämpft. Angeblich ist es das erste Internetmagazin, das in China geschrieben, dann in die USA geschickt und von dort aus über Email wieder an Interessenten in China verteilt wird. "Freiheit und inspirierende Ideen hat es schon immer gegeben, aber sie konnten nicht verbreitet werden. Die Macht in der Vergangenheit konnte zensieren, was wir sehen und was wir hören, sie konnte unsere Gedanken manipulieren, weil sie das Monopol über die Techniken der Informationsverbreitung besaß. Das Computernetz hat das anders gemacht. Es verbreitet Technologie auf den Schreibtischen von jedem - und es kann daher die zwei Säulen der autokratischen Gesellschaft untergraben: Monopol und Unterdrückung." Wenn man die Mauern durchbohrt und sie mit Löchern übersät, so glauben die Gründer von Tunnel, ist der Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft nicht mehr fern.
Neue offizielle chinesische Website zu Menschenrechten gehackt