Chinas Uigurenpolitk

Chinas Antwort auf die "China Cables" nimmt einen Umweg über die Terrorbekämpfung. Instrumentalisierung der Menschenrechte - Teil 2

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Die Propagandaschlacht gegen China ist voll im Gange. Auf Reddit gab sich eine CIA-Agentin als verfolgte Uigurin in Xinjiang aus, um von den Zuständen in den "Konzentrationslagern" zu berichten. Die geleakten Dokumente der China Cables sollen voller grammatischer Fehler sein, die bezweifeln lassen, ob es sich überhaupt um offizielle Dokumente handelt oder um ein fabriziertes Imitat. Die chinesische Regierung reagiert scharf auf die laufenden Anschuldigungen der westlichen Medien (vgl. Teil 1: Instrumentalisierung der Menschenrechte). Es handle sich um Fake News basierend auf haltlosen Gerüchten. Dabei zeigt sich allerdings auch, dass China immer wieder gleich argumentiert.

Auf die China Cables und die Beschuldigungen westlicher Medien reagierte CGTN, der englischsprachige Ableger von CCTV, interessanterweise mit einer Veröffentlichung von zwei Dokumentarfilmen (Fighting Terrorism in Xinjiang & The Black Hand) zu einer Reihe von Anschlägen in den Jahren 2009 bis 2015, die uigurische Extremisten begangen haben sollen. Die Dokumentarfilme, die zunächst von YouTube gesperrt wurden, dienen dazu, Chinas "harte Hand" gegen die drei "bösen Kräfte" zu legitimieren. Als diese gelten Terrorismus, religiöser Extremismus und ethnischer Separatismus.

In einer anschließenden Diskussionsrunde ohne uigurische Vertreter, beklagen die geladenen Professoren Huo Zhengxin und John Gong, dass die grausamen Anschläge nicht mit Terroranschlägen im Westen gleich gesetzt würden, sondern unter dem Etikett ethnischer Konflikte firmieren. Dies zeuge von einer Doppelmoral im Kampf gegen den Terrorismus, denn dieser sei schließlich ein Angriff auf die Menschenrechte aller. China gehe im Kampf gegen den Terrorismus im Gegensatz zum Westen jedoch einen friedlichen Weg und setze auf Bildung, Sprache und wirtschaftliche Förderung.

Sie befürworten daher De-Radikalisierungmaßnahmen in Xinjiang, man setze auf das Erlernen der chinesischen Sprache als auch auf handwerkliche Fertigkeiten in den volkshochschulähnlichen Einrichtungen, die im Westen Konzentrationslagern gleich gesetzt werden.

CGTN stellte offen zur Schau, welches Narrativ in China reflexartig eingesetzt wird. Soziale Spannungen und politische Unruhen werden dem wiederkehrenden Einfluss von Außen, etwa in Form des radikalen Islams oder der amerikanischen Desinformationskampagnen, zugeschrieben. Als Dorn im Auge chinesischer Harmoniebedürfnisse gelten die uigurischen Unabhängigkeitsbewegungen, die angeblich vom Dschihadismus heimgesucht werden. Im Namen der Terrorbekämpfung müssen jene Uiguren, die ihre Religion statt der Nation in den Vordergrund stellen, nun mal "de-radikalisiert" werden.

Terrorismus in Chinas Uigurenpolitik

China macht uigurische Separatisten für rund 300 Anschläge mit mehreren Hunderten von Toten seit Ende der Neunziger verantwortlich. Seit 9/11 und dem "War on Terrorism" bedient sich China jedoch zunehmend des Framings der Terrorbekämpfung, um jene Anschläge dazu zu nutzen, die freiheitsfeindliche Sicherheitspolitik nicht nur in Xinjiang auszubauen. Unter den Anschlägen, die CGTN portraitiert, gelten drei als von besonderer Bedeutung für die Stimmungsmache für eine Sicherheitspolitik, die vor allem den Han-Chinesen vermitteln soll, Chinas Stabilität und Prosperität im Westen hänge von der Kontrolle über die Uiguren ab.

Die Aufstände von Urumqi sind weltbekannt. Auch CGTN griff sie erneut auf. Am 5. Juli 2009 wurde eine gewaltfreie Demonstration von Uiguren äußerst gewaltsam aufgelöst. Die Demonstration prangerte das Versagen der chinesischen Behörden an, die den Mord an einem uigurischen Wanderarbeiter in Südchina im Vormonat nicht untersuchten. Infolge der gewaltsamen Auflösung der Demonstration brachen Ausschreitungen aus, bei denen schätzungsweise 200 Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen Han, weitere etwa 1.700 wurden verletzt (Ethnischer Konflikt vertieft sich, Ausgangssperre für Urumqi).

Weniger bekannt, und auch unterschlagen von CGTN, sind die Angriffe einer Bürgerwehr von Han-Chinesen, die in den folgenden Tagen auf Uiguren losgingen, als auch auf die Polizei als Stellvertreter der Regierung. Sie kritisierten die Lokalregierung dafür, nicht genug für die Sicherheit "ihrer" Han-Leute zu tun. Als Konsequenz wurde der für Xinjiang verantwortliche Parteisekretär Wang Lequan abgesetzt, gegen den sich die Han-Proteste unter anderem gerichtet hatten. Die Aufstände der Han schob man jedoch den Uiguren in die Schuhe, und verhaftete vier Uiguren, statt jener Han-Chinesen, die für die Aufstände verantwortlich waren.

Kunming-Massaker als Chinas 9/11.

Besonders viel Aufmerksamkeit schenkte CGTN der Messerattacke von Kunming. Sie gilt als Chinas eigenes 9/11, und zog ein verschärftes Vorgehen gegen uigurische Fundamentalisten nach sich. Damals stürmten sechs Männer und zwei Frauen mit Schwertern bewaffnet einen Bahnhof in Kunming und ermordeten 29 und verletzten 143, Menschen. Innerhalb kürzester Zeit veröffentlichte die Polizei die Fotos und Namen von vier Verdächtigen, die sie während des Angriffs getötet hatte, und vier Verdächtigen, die sie bei der Ermittlung nach dem Angriff festgenommen hatte. Alle waren angeblich Uiguren aus Xinjiang, was aus Sicht der Regierung den Verdacht bestätigte, dass es sich um einen "vorsätzlichen und organisierten" Angriff auf chinesischem Boden handelte, einem Angriff der "gefährlichen" Uiguren auf das Herz Chinas (Kunming-Massaker: China beklagt amerikanische Doppelstandards).

Keine Beachtung schenkte man den Tatsachen, die darauf hindeuteten, dass der Angriff weniger mit der Sache der Uiguren zu tun hatte. Beispielsweise zeigten die Angreifer in Kunming eine schwarze Flagge, wie sie von al-Qaida mit der islamischen Shahida benutzt wurde, nicht etwa die hellblaue Flagge der für die Unabhängigkeit von "Ostturkestan" kämpfenden East Turkestan Islamic Movement (ETIM). Auch die verwendeten Schwerter bzw. Dolche, als auch die Vollverschleierung, seien untypisch für uigurische Muslime. Als auch Abdullah Mansour von der ETIM seine geistige Unterstützung für solche Angriffe aussprach, verbreitete die chinesische Staatspropaganda, ETIM habe sich zu den Angriffen bekannt.

Zudem waren bei dem Angriff auch Frauen unter den Angreifern, was bei Militanten im Nordkaukasus, aber nicht jenen in Xinjiang gewöhnlich sein soll. Auch die Ausrichtung auf einen Verkehrsknotenpunkt wie einem Bahnhof schien eher auf Angreifer aus dem Kaukasus hinzudeuten, wo Militante im Vorfeld der Olympischen Spielen in Sotschi den Bahnhof in Wolgograd angegriffen hatten.

Unbeachtet wurde ebenfalls, dass die Angreifer von Kunming auf dem Weg nach Laos waren, doch aufgrund von Sicherheitskontrollen an der Grenze zurück nach Kunming gefahren waren. Der Gelegenheitsangriff wurde jedoch als ein Versuch uigurischer Terroristen gebrandmarkt, für ihre Unabhängigkeit nun auch die Han-Bevölkerung im "inneren China" bedrohen zu wollen.

Selbst konservative Amerikaner kommentierten damals: "Der letztendliche Sieg für die uigurischen Militanten wäre, wenn China diesen Angriff als seinen eigenen "9/11" verinnerlichen würde und unverhältnismäßig auf die militante Krise reagieren würde." Genau das Tat die Zentralregierung, Kunming gilt als Chinas 9/11.

Dass China nur im Interesse der inländischen Sicherheitspolitik für die Han den Terrorismus-Vorwurf gegen die Uiguren nutzt, belegt ein weiteres Beispiel. Im September 2015 fand eine Messerattacke auf Kohlebergarbeiter in Xinjiang statt, die 50 Menschenleben forderte. Vermutlich handelte es sich um eine Vergeltungsaktion auf Enteignung oder Umsiedlung von Uiguren oder auf die Betreiber der Mine, die nur Han-Chinesen einstellte, jedenfalls sind die Motive nicht bekannt. China hielt den Vorfall zunächst geheim. Erst als im November die Terroranschläge von Paris stattfanden, veröffentlichte China den Vorfall.

Peking machte daraus eine Story über den islamistischen Terrorismus, der sich über die Uiguren von Xinjiang seinen Weg nach China suche. Zugleich nutzte China den Vorfall, um einen Seitenhieb gegen die westlichen Medien auszuteilen. Chinas Problem mit dem und Kampf gegen den religiösen Extremismus werde vom Westen nicht beachtet. Man beklagte damals die westliche Doppelmoral.

Syriens Dschihadisten werden inhaftiert

Ab 2016 schürte China die Angst vor Dschihadisten aus Syrien, die im Namen der uigurischen Unabhängigkeitsbewegung nun heimkehren und Terroranschläge verüben wollten. Die Angst schien in der Tat real.

Im Jahr 2016 sprachen Beobachter auch von rund 2000 Uiguren, die als Turkistan Islamic Party (TIP) in Idlib an der Seite des Al-Qaida-Ablegers Nusra-Front kämpften. Weitere 500 bis 1000 hätten sich dem Islamischen Staat angeschlossen. Insgesamt seien während des Syrienkriegs mehrere tausend radikalisierte Uiguren, die im Kampf gegen Assad den heiligen Krieg gegen China schon mal üben. AP berichtete damals über die Wut der Uiguren über China, die neue Dschihadisten schaffe.

Es passte ins Bild der chinesischen Regierung, dass 2016 ein Selbstmordanschlag auf die Botschaft der Volksrepublik China in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek stattfand. China befürchtete nun Anschläge durch radikalisierte Uiguren, die nach Xinjiang zurückkehren. Rund 13.000 Uiguren sollen seit 2014 bei der Einreise inhaftiert worden sein. (Ein Bild aus dem Jahr 2017 der auf Verdacht Inhaftierten sorgt nach wie vor in westlichen Medien für große Empörung).

Zugleich verschärfte China in Xinjiang das religöse Leben der muslimischen Uiguren. Beispielsweise darf nicht nach religiösem Brauch des Brautraubs geheiratet werden, Kinder und Jugendliche sollen erst ab 18 Jahren eine Moschee besuchen dürfen, lange Bärte sowie Vollverschleierung wurden verboten. Alle, die sich nicht daran halten, werden als potentielle Terroristen unter Generalverdacht gestellt.

Mit seiner Anti-Uiguren-Propaganda versucht Peking einerseits von innenpolitischen Missständen abzulenken, als auch andererseits den eigenen Han-Chinesen zu versichern, dass die Regierung sie vor inneren und äußeren Feinden beschützt. Ihnen spielt auch der Westen in die Karten. Solange dieser völkerrechtswidrige Drohnenangriffe und Präventivhaft im Namen der Terrorbekämpfung geltend macht, scheint China die gleiche Narrative zu nutzen, um die eigene Sicherheitspolitik zu rechtfertigen. Die Frage, ob repressive Maßnahmen nicht wiederum Radikalisierung schüren, bleibt auch in China ungestellt.

Seit im Januar 2018 der Pentagon in seiner Nationalen Verteidigungsstrategie China zusammen mit Russland ausdrücklich als die wichtigsten strategischen "Bedrohungen" für die fortgesetzte Vorherrschaft der USA nannte, hat sich der äußere Feind bereits zu erkennen gegeben. Erklärtes Ziel ist die Destabilisierung der "Belt and Road Initiative". Sie geht durch Xinjiang, das nun als Achillesferse Chinas gelten dürfte.