Chipindustrie – Wem nutzt Geopolitik?

Seite 3: Alle wollen fabs

Seit der Lieferkettenkrise grassiert die Angst um die Versorgungssicherheit, angefacht von einer Art geopolitischen Paranoia. Regierungen fürchten immer mehr, dass Handelspartner ihre Importabhängigkeit als Druckmittel einsetzen – "zu einer Waffe machen", um die mittlerweile gängige Phrase zu verwenden.

Und weil Chips angeblich über Sein oder Nichtsein einer Volkswirtschaft entscheiden, bemühen sich alle großen Handelsmächte (China, Japan, Indien, Südkorea, USA, EU), Fertigungskapazitäten im eigenen Land zu schaffen. Sie überbieten sich gegenseitig mit Investitionshilfen und Steuererleichterungen. Davon profitiert eine Handvoll Unternehmen wie Intel, Infineon, TMSC oder Samsung.

Der Anteil der staatlichen Anschubfinanzierung schwankt zwischen einem Drittel und der Hälfte der investierten Gesamtsumme, wobei die Kosten für ein einziges fab bis zu 20 Milliarden US-Dollar betragen – Steuergelder für äußerst profitable Konzerne.

Das europäisch-amerikanische TTC sollte eigentlich einen Subventionswettlauf in der Halbleiterei verhindern. Trotz regelmäßiger Treffen und Konsultationen haben sich die beiden Seiten gegeneinander ausspielen lassen. Deutlich wurde dies zum Beispiel, als der US Chips Act für den Geschmack der Industrie zu lange auf sich warten ließ. Daraufhin wandte sich der Intel-Vorstandsvorsitzende Pat Gelsinger an die US-Parlamentarier:

Wenn ich mit meiner Arbeit nicht fertig bin, mache ich nicht Feierabend, und ihr solltet das auch nicht! Ich und die anderen in der Halbleiterbranche müssen über künftige Investitionen entscheiden. Wenn wir hierzulande einfach nicht konkurrenzfähig genug sind, dann müssen wir nach Asien oder nach Europa gehen.

Wenige Tage später wurde das Gesetz verabschiedet. Intel wird am meisten begünstigt, laut Schätzungen mit bis zu 30 Milliarden US-Dollar.

Mit ökonomischer Rationalität hat all das wenig zu tun. Die angekündigten Investitionen weltweit entsprechen einer Steigerung der Herstellungskapazität um gewaltige 40 Prozent, dabei sind einige fabs bereits jetzt nicht voll ausgelastet. Wegen der einsetzenden Rezession sinkt die Nachfrage, damit wachsen auch die Überkapazitäten.

Die äußerst aufwändige und kapitalintensive Produktion lohnt sich aber nur, wenn die Fabriken mit voller Kraft fahren. Angeblich beginnen die Verluste in manchen Fällen (je nach Typ) bereits bei einer Auslastung unter 90 Prozent.

Eine echte Autarkie bei der Halbleiterherstellung ist ohnehin unerreichbar. Keine Industrie ist im selben Maß globalisiert, vom Design über die Roh- und Werkstoffe bis zur Endmontage. An einen Chip, der schließlich in einem iPhone landet, wirken buchstäblich Zehntausende unterschiedliche Firmen in der ganzen Welt mit. Die Regierungen gehen aber davon aus, dass sie auf Produktionsstätten im eigenen Staatsgebiet Zugriff haben werden, wenn es zu einer Versorgungskrise kommt.

Damit diese Fabriken nicht blockiert werden können, müssen aber kritische Komponenten von Lieferanten in "verbündeten und befreundeten Staaten" und (weil solche Allianzen wechseln) möglichst aus mehreren Quellen bezogen werden. So steigen Aufwand und Kosten, außerdem müssen manche Zulieferer und Dienstleister vor Ort zur Verfügung stehen.

Die Produktionsstandorte zu vervielfachen, wird zu enormen Effizienzverlusten und steigenden Preisen führen. Aus geopolitischen Gründen werden Überkapazitäten in Kauf genommen – "sicherheitshalber".

Kosten scheinen keine Rolle zu spielen, wenn es um Halbleiter geht, und ebenso wenig ökologische Erwägungen. Die Halbleiter-Produktion verbraucht extrem viel Wasser, Energie und Metalle aus "seltenen Erden" – für Chips, die in aller Regel in Mobiltelefonen und andere Geräten verbaut werden, die (aufgrund der erwünschten Obsolenz) nach wenigen Jahren nicht mehr benutzt werden können!

Dennoch ist bisher kaum jemand auf den Gedanken gekommen, die Chips-Krise mit haltbareren und reparierbaren Geräten abzumildern. Mittlerweile fallen jedes Jahr weltweit 57 Millionen Tonnen Elektroschrott an, fast doppelt so viel wie im Jahr 2010.

Die bisherige internationale Arbeitsteilung wird zerschlagen

Im Bundeswirtschaftsministerium gibt es Überlegungen, die Auslandsinvestitionen der Unternehmen strategisch zu kontrollieren und nötigenfalls zu beschränken. Im Ministerium wird gerade eine neue China-Strategie erarbeitet, die zu diesem Zweck bei den Investitionsgarantien ansetzen wird.

Im Sommer lehnte das Ministerium zum ersten Mal einen Antrag von Volkswagen ab, die eine solche Garantie für eine Fabrik in Urumqi in der Provinz Xinjiang wollten. Solche Vorstöße bedeuten noch keine Entkopplung, wie sie die USA anstreben, aber sie könnten zu einem allmählichen und teilweisen Rückzug führen. Die betroffenen Unternehmen werden bremsen und klagen, aber sich letztlich fügen.

Die internationale Handelspolitik wirkt beinah wie die Vorwegnahme des Krieges mit anderen Mitteln. Angefacht wird die Konfrontation wohlgemerkt nicht von Unternehmern, sondern von Geo-Politikern, die die Wirtschaftskraft ihrer Länder gleichsam instrumentalisieren.

Allerdings bilden sich keine Handelsblöcke mit klaren Grenzen (und daher auch keine Technosphären mit eigenen Standards): Weder China noch die USA haben die Stärke, alle Länder der Welt zu einer solchen Entscheidung und zu Loyalität zu zwingen.