Chipindustrie – Wem nutzt Geopolitik?

Seite 2: Ein Gewirr von Interessen

In der Taiwan-Frage bereiten die USA Sanktionen vor und üben Druck auf Europa aus, sich diesen anzuschließen. Wolfgang Pomrehn hat kürzlich darauf hingewiesen, dass die antichinesische Politik die transatlantische Beziehungen belasten dürfte:

Ein Zertrennen der Wirtschaftsbeziehungen mit China würde in der hiesigen Wirtschaft aller Voraussicht nach Verwerfungen auslösen, gegen die die gegenwärtige Gaskrise nur ein laues Lüftchen wäre. … Die Interessen deutscher Konzerne in China und im China-Geschäft sind ungleich größer (als in Russland, MB), sodass etwaige Sanktionen vermutlich auch zu erheblichen Konflikten innerhalb des westlichen Lagers führen werden.

Im Bereich der Computer- und Informationstechnik gibt es solche Konflikte bereits, aber sie bleiben (noch?) unter der Oberfläche (will sagen: in den Hinterzimmern). Dass aus der Branche kaum öffentliche Kritik oder Protest kommt, liegt auch daran, dass die Sanktionen einigen ganz recht sind.

Den Auftakt zum gegenwärtigen Handelskrieg bildete der Kampf um Huawei seit 2018. Das Unternehmen drohte mit seinen 5-G-Mobilfunkanlagen eine dominierende Stellung auf dem Weltmarkt zu erreichen. Mit gezielten Sanktionen und politischem Druck gelang es den USA, den chinesischen Konzern aus den transatlantischen Märkten, aus Australien und Neuseeland zu drängen, wenn auch nicht aus dem Weltmarkt insgesamt.

Schon damals reagierte die Branche uneinheitlich. Während Huawei-Kunden sich zunächst bitter beklagten, um sich dann mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren, freuten sich die Wettbewerber Ericson und Nokia.

Nun wiederholt sich dieses Muster in der Halbleiterindustrie. Europäische Ausrüster wie ASML, Trumpf oder Zeiss befürchten, dass die Blockade dazu führen wird, dass China langfristig eine eigene, weitgehend unabhängige Halbleiterindustrie aufbaut.

Die Sanktionspolitik versperrt ihnen einen wichtigen Absatzmarkt und, schlimmer noch, lässt die asiatischen Konkurrenten von morgen entstehen. Daher sind diese Unternehmen tendenziell gegen die Entkopplung, so wie einige nordamerikanische Maschinen-Zulieferer.

Im Gegensatz dazu treffen andere Unternehmen zunehmend auf chinesische Wettbewerber (zum Beispiel in den Bereichen assembly/test, Software und Internetdienstleistungen). Sie begrüßen tendenziell die Offensive der US-Regierung.

Ein beeindruckendes Beispiel dafür ist die Zusammensetzung der erwähnten "Kommission für die Nationale Sicherheit in der KI": Neben Militärs und Staatsbediensteten bestand das Gremium aus Vertretern von Oracle, Microsoft, Amazon und Google.

Bei den Chip-Fertigern schließlich ist die Interessenlage uneindeutig. Die Semiconductor Manufacturing International Corporation (SMIC) und andere chinesische Unternehmen stellen nur etwa zehn Prozent der weltweit verkauften Chips her. Taiwan und Südkorea dominieren den Markt, für sie sind die Chinesen auf absehbare Zeit keine Bedrohung. Gleichzeitig betreiben alle großen Chips-Hersteller Fabriken in China, auch Intel (USA) und Infineon (Deutschland).

Die Annahme, in der Debatte um die Entkopplung stünde die Industrie geschlossen auf der einen Seite, die Politik auf der anderen, geht also fehl.

Der Zwiespalt

Einige Unternehmen profitieren von den Sanktionen, weil sie Wettbewerber behindern oder sogar ganz ausschalten. Andere dagegen leiden darunter, weil sie chinesische Abnehmer verlieren und ihre Produktionskosten steigen (weil chinesische Zulieferer ausfallen).

Ebenso wenig sind die Deutschen grundsätzlich daran interessiert, im Streit zwischen USA und China zu vermitteln und die Wogen zu glätten. Die deutsche Wirtschaft ist so exportabhängig wie die chinesische, und gerade deshalb stoßen die hiesigen Unternehmen auf dem Weltmarkt immer häufiger auf chinesische Wettbewerber.

Mit der industriepolitischen Strategie "Made in China 2025" will die Volksrepublik die Marktführerschaft in Branchen erreichen, die für die deutsche exportierende Industrie entscheidend wichtig sind (Automotive, Maschinenbau, Elektromobilität, Umwelttechnik, neue Werkstoffe, aber auch hochwertige Pharmazeutika).

Der Riss geht also auch hier mitten durch die Unternehmenslandschaft: Den einen machen chinesische Konkurrenten das Leben schwer, während die anderen auf die chinesische Nachfrage nicht verzichten können.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) veröffentlichte im Jahr 2019 ein Grundsatzpapier mit dem Titel "Partner und strategischer Wettbewerber", das von diesem Zwiespalt durchzogen ist. Die Kernthese:

Das chinesische Modell einer Wirtschaft mit stark lenkendem staatlichen Einfluss tritt in einen systemischen Wettbewerb zu liberalen Marktwirtschaften.

Die BDI-Autoren beklagten unter anderem, dass China "Märkte und Preise durch staatliche Eingriffe verzerrt (Land, Energie, Kapital, Arbeit)", "einzelne Unternehmen oder ganze Branchen" subventioniert und "eine aktive staatliche Industrie- und Innovationspolitik zur Erlangung von Technologievorherrschaft" betreibt.

So pauschal treffen die Vorwürfe allerdings auf alle Länder in der Weltmarktkonkurrenz zu. Die Frustration in der deutschen Industrie beruht eher darauf, dass sie auf einen Wettbewerber trifft, der über einen ungleich größeren Heimatmarkt verfügt und mehr Ressourcen mobilisieren kann, während die Regierung der Volksrepublik bestimmte Wirtschaftssektoren immer noch vor ausländischen Investitionen abschirmt.

Das große Spiel

Die USA versuchen ihre Verbündeten und Partner in internationale Abkommen und Gesprächskreise gegen China einzubinden. Zum Beispiel treffen sich Vertreter von EU und USA halbjährlich im "Handels- und Technologierat" ("Trade and Technology Council", TTC), um Sanktionen zu koordinieren, die Versorgung mit kritischen Rohstoffen und Komponenten sicherzustellen und insgesamt ihre handelspolitische Linie abzustimmen.

In Asien treiben die USA das "Indo-Pacific Economic Framework for Prosperity" (IPEF) voran, um China zu isolieren. Im Bereich der Halbleiter soll das Bündnis "Chip 4" mit den Mitgliedsländern USA, Japan, Taiwan und Südkorea die Zusammenarbeit stärken. Die südkoreanische Wirtschaft ist allerdings mit der chinesischen noch wesentlich enger verflochten als die deutsche, weshalb die Regierung versucht, mit vielen Verrenkungen, keine Seite zu verprellen.

Die USA locken mit Investitionen und größerem Marktzugang. Die US-Finanzministerin Janet Yellen prägte dafür in einer Rede im April den schönen Ausdruck "Friendshoring" – die Verlagerung industrieller Kapazitäten zu Freunden:

Die Risiken für uns und unsere Handelspartner werden durch Friendshoring sinken. Wenn wir Lieferketten hin zu Freunden und vertrauenswürdigen Ländern bevorzugen, dann können wir den Marktzugang ausweiten.

Yellen deutete in ihrer Rede zum Beispiel Kompromissbereitschaft bei der Besteuerung von US-Konzernen wie Amazon an, die auf ihre Gewinne im Ausland kaum Steuern bezahlen.

Bislang allerdings hatte die Freundschaftsrhetorik keine konkreten Folgen, es wurden auch keine Handelsschranken abgebaut. Im Gegenteil, neue Subventionen der Biden-Administration für die einheimische Chip-, Batterie- und Solartechnik-Produktion sorgen gerade für neue Konflikte.

Wenn es um Technologieführerschaft geht, gibt es ohnehin keine festen Partnerschaften. Als Infineon 2017 die amerikanische Firma Wolfspeed kaufen wollte, untersagten die US-Behörden die Übernahme mit Verweis auf die nationale Sicherheit. Wolfspeed stellt besonders leistungsfähige Wafer aus Siliziumkarbid her.

Gegenwärtig befürchtet die europäische IT-Industrie, die US-Firma Nvidia könne das britische Unternehmen ARM übernehmen, dessen Lizenzen für die meisten Mikroprozessoren gebraucht werden. Damit hätten die USA eine weitere Blockademöglichkeit der IT-Lieferketten, die kaum zu umgehen wäre. Solche Konflikte werden lediglich von der gemeinsame Angst vor der "Gelben Gefahr" verdeckt.