Christmette und Liebestod

Seite 4: Doppelgänger

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Die erste Rückblende zeigt Abigail als Mrs. Robert Manette. Es ist spät in der Nacht, sie liegt im Ehebett und wacht auf, als der Mann ins Schlafzimmer kommt, mit dem sie seit einem halben Jahr verheiratet ist. Sechs glückliche Monate seien es gewesen, sagt Jackie aus dem Off, aber das ist jetzt vorbei. Roberts erster Satz im Film: "I do keep terrible hours, don’t I?" Das kann man so sagen. Nicht nur, dass Robert wieder einmal furchtbar spät nach Hause kommt - eine Stunde vorher hat er einen Buchmacher namens Teddy Jordan umgebracht. An seiner Hose klebt das Blut des Opfers. Im Roman sind Teddy und Robert durch mehr als das Pferderennen verbunden. Teddy ist schwul und außerdem sehr großzügig, und der chronisch klamme Robert teilt gelegentlich das Bett mit ihm. In einem Hollywoodfilm des Jahres 1944 ließ sich das nur andeuten. Später wird es eine Szene in einer Bar geben, in der man ein paar Frauen sieht, in erster Linie aber Männer. Jordan verbringt seine Zeit offenbar lieber mit solchen Männern als mit dem weiblichen Geschlecht, gibt ihnen einen Drink aus, fasst sie an. Dass es da eine sexuelle Komponente gibt ist am Kontext zu erkennen. Abigail hat soeben Roberts Heiratsantrag angenommen, und nun sitzen die beiden in dieser Bar, weil der Bräutigam von seinem alten Leben Abschied nehmen will, um ein neues zu beginnen. Nicht nur die Pferdewetten sind gemeint.

Christmas Holiday

Christmas Holiday verstößt andauernd gegen die von Hollywood und der PCA ausgegebenen Regeln des guten Geschmacks, und gegen die Zuschauererwartung. Das war es, was Mainstream-Kritiker wie Bosley Crowther mit schlimmen Verrissen quittierten. Als der Mann, von dem wir schon wissen, dass er ein Mörder ist, bevor wir ihn das erste Mal zu Gesicht bekommen, wurde Gene Kelly besetzt. Trotz des Erfolgs von Busby Berkeleys For Me and My Girl (mit Judy Garland, der alten Rivalin von Deanna Durbin) war Kelly noch primär ein Broadway-Star, als ihn die Universal von der MGM auslieh. Kürzlich aber hatte er den Film abgedreht, der einige Monate vor Christmas Holiday Premiere haben und auch in Hollywood den Durchbruch für ihn bringen würde: Cover Girl mit Rita Hayworth in der Titelrolle. Das Musical läuft zu Weihnachten oft im Fernsehen, Christmas Holiday so gut wie nie. Man sollte beide Filme hintereinander zeigen, weil sie sich so schön ergänzen.

Christmas Holiday

Cover Girl ist für ein Musical sehr dunkel. Gene Kelly als Danny McGuire hegt finstere Gedanken, als er durch die nächtlichen Straßen geht und in einer Scheibe sein Spiegelbild entdeckt. Die Spiegelung löst sich von der Scheibe ab, die beiden Kellys tanzen mit- und mehr noch gegeneinander, der Doppelgänger zieht die Fäden, an denen Kelly hängt, und der Spuk hat erst ein Ende, als McGuire die Scheibe einwirft, die zugleich das Fenster zu seiner Seele ist - einer Seele, die auch eine dunkle Seite hat. Crowther fand es verwirrend und daher abzulehnen, dass Kelly den Mörder in Christmas Holiday nicht als dekadenten Südstaatengigolo spielt, sondern als athletisch tänzelnden Charmeur, also sein Broadway-Image dupliziert. Dabei sollte es genau so sein. Was Cover Girl vorausahnt macht Christmas Holiday explizit: mitunter ist es nur ein kleiner Schritt von der heiteren Welt des Musicals zum Film noir.

Cover Girl

Die erste Rückblende zeigt, wie entschieden sich die Welt von Christmas Holiday den schlichten Erklärungsmustern von gestern entzieht (und der manichäischen Weltsicht der Propagandafilme, die damals auf beiden Seiten der Frontlinie gedreht wurden). Die Hure berichtet von einer Zeit, als sie noch das süße Mädel aus den üblichen Durbin-Komödien war und ihr Gatte zum Mörder wurde, und ihr Zuhörer ist ein Mann, der uns als braver Durchschnittsamerikaner präsentiert wurde und nach San Francisco will, um dort zum Mörder zu werden (die Frau umzubringen, die er heiraten wollte). Da wir Abigail, das Mädchen vom Lande nur sehen, wenn Jackie, die Prostituierte aus dem Bordell ihre Version der Vergangenheit erzählt müssen wir uns immer fragen, wie glaubwürdig das ist, was sie Lieutenant Mason mitteilt. Hat sie tatsächlich ein halbes Jahr lang Tisch und Bett mit Robert Manette geteilt, ohne zu bemerken, was für ein Mensch das war? Wie unschuldig war sie, als sie ihn heiratete?

Cover Girl

Christmas Holiday mit Deanna Durbin und Gene Kelly, das hätte ein Krippenspiel mit Gesang und Tanz werden können, ein weihnachtliches Singin’ in the Rain. Bei Siodmak wird eine Geschichte rund um Mord und Prostitution daraus. Beunruhigend daran ist, dass das eine so nah am anderen liegt. Es braucht nicht viel, um aus Maria eine Hure zu machen und Josef ein blutiges Messer in die Hand zu drücken. Das ist keine Blasphemie, sondern ein illusionsloser Blick auf die Wirklichkeit des Jahres 1944, als längst zu erkennen war, dass die alten Sicherheiten ihre Gültigkeit verloren hatten. Den Stall, der ihnen einen Unterschlupf bot, hatten nicht nur Millionen von Juden umsonst gesucht. Eine festliche Weihnachtsstimmung wollte da nicht aufkommen, zumindest nicht bei Robert Siodmak. Und die Erlösung bringt nur der Tod. Zugegeben: Als klassischer Weihnachtsfilm für das Feiertagsprogramm ist Christmas Holiday nicht geeignet. Schließlich wollen wir da froh und lustig sein.

Trümmer einer Ehe

Der Hort der Geborgenheit, auch das gehört zu Weihnachten, ist traditionell die Familie. Christmas Holiday braucht nur ein paar Leinwandminuten, um das als Illusion zu entlarven. Erst kommt mitten in der Nacht der Gatte nach Hause, der gerade Teddy Jordan ermordet und außerdem Abigail betrogen hat (er hat sein Versprechen gebrochen, Jordan nicht mehr zu treffen und nicht mehr in diese Bar mit den vielen Männern zu gehen). Dann geht es Schlag auf Schlag. Am nächsten Morgen entdeckt Abigail dunkle Flecken an Roberts Hose. Als Abigail in der Rückblende weiß sie noch nicht, dass das Blutflecken sind und Robert einen Menschen getötet hat. Als Jackie Lamont in der Rahmenhandlung weiß sie es sehr wohl, und wir wissen es auch, weil Jackie es Lieutenant Mason (und uns) erzählt hat. Das kann man unnötig kompliziert finden, verwirrend und sogar langweilig wie der Großkritiker der New York Times. In vielen Films noirs ist die verschachtelte Erzählstruktur mit Rückblenden und Rückblenden in den Rückblenden tatsächlich nur ein Gimmick, aber nicht in Christmas Holiday.

Christmas Holiday

Am Morgen nach der Tat beobachtet Abigail ihre Schwiegermutter, die versucht, die Blutflecken abzuwaschen und schließlich die Hose verbrennt, weil es nicht gelungen ist. Roberts Mutter hat da schon begriffen, dass ihr Sohn ein Mörder ist. In Abigails scheinbar heiler Welt breiten sich jetzt die Schatten aus. Das Heimliche, das Haus der Manettes, hat sich in etwas Unheimliches verwandelt. Einer der Schatten ist der eines Polizisten, der Robert sucht und ausrichten lässt, dass er sich tags darauf auf dem Revier melden soll, um ein paar Dinge aufzuklären. In der Nacht liegt die besorgte Abigail wach im Bett, als Robert wieder sehr spät nach Hause kommt. Es gibt einen veritablen Ehekrach, bei dem aus dem stets lächelnden und charmanten Robert ein latent gewalttätiger Mensch wird, der sich nur schwer beherrschen kann (als äußeres Zeichen der gespaltenen Persönlichkeit trägt er abwechselnd Fliege und Krawatte, und es ist interessant zu beobachten, in welcher Szene sich der auf jedes Detail achtende Siodmak für welches Accessoire entschieden hat). Sollte es wirklich das erste Mal in sechs Monaten Ehe sein, dass er diese andere, finstere Seite seines Wesens zeigt? Oder war dieses halbe Jahr gar nicht so voll eitlen Sonnenscheins, wie Jackie, die Erzählerin der Rückblende, es uns glauben machen will?

Die (indirekte) Antwort folgt am nächsten Morgen. Robert entschuldigt sich für den Streit der letzten Nacht. Die Lüge vom Vortag (er hat das Geld beim Pferderennen gewonnen) ersetzt er durch eine neue (er hat das Geld seiner Mutter gestohlen, um Wettschulden zu bezahlen). Von Abigail verlangt er, die Polizei zu belügen, wenn sie nach dem Geld und der inzwischen verbrannten Hose gefragt wird. Sein Leben hänge davon ab. Von nun an, sagt Robert, werde alles anders, auch wenn er das schon hundertmal versprochen habe. Damit ist die Sache klar. Abigail wurde in dem halben Jahr, in dem sie Roberts Frau ist, systematisch belogen und betrogen, und sie hat das auch gewusst. Unser Weg zur Erkenntnis ist also dieser: Am Anfang der ersten Rückblende sagt Abigail (in ihrer neuen Existenz als die Prostituierte Jackie Lamont), dass ihr (als ahnungslose Mrs. Robert Manette) ein halbes Jahr des unbeschwerten Glücks beschieden war. Dann werden wir Zeuge, wie dieses Eheglück innerhalb von etwas mehr als 24 Stunden in Trümmer fällt. Am Ende der Rückblende erfahren wir, dass diese Ehe keineswegs so ideal war, wie Jackie es behauptet.

Christmas Holiday

Das ist sehr gut gemacht und gar nicht langweilig, weil damit jede Sicherheit verloren geht und wir fortan aufgefordert sind, uns aufgrund eigener Beobachtungen selbst eine Meinung zu bilden, statt brav zu glauben, was man uns sagt. Auf einer Ebene erleben wir mit, wie sich Abigails Träume vom Eheglück in Luft auflösen. Auf einer anderen Ebene stellt der Film die Frage, wie unser Bild von der Vergangenheit durch unser gegenwärtiges Wissen beeinflusst ist und welche Interessen wir mit der Herstellung dieser Vergangenheit verbinden, die immer nur ein subjektives Konstrukt sein kann. Wie verhält man sich, wenn der nächste Angehörige ein Mörder ist? Wie steht es um die eigene Verantwortung? Hat man tatenlos zugesehen, weggeschaut, verdrängt oder tatsächlich nichts gewusst? Unter welchen Umständen darf man einen anderen Menschen lieben und wann nicht?

Häusliches Glück

Christmas Holiday ist auch ein Film über eine amour fou. Zu Beginn der ersten Rückblende sagt Jackie aus dem Off, sie sei nach Roberts Verurteilung wegen Mordes aufgefordert worden, sich von ihm scheiden zu lassen. Für sie sei das nicht in Frage gekommen, obwohl man ihr dann Vorwürfe gemacht habe: "Sie meinten, dass ich verrückt sei, als ich sagte, dass ich ihn weiter lieben würde, ganz egal, was er getan hatte. Sie sagten, es sei eine Schande, dass ich ihn liebte. Als ob man aufhören könnte zu lieben, weil es eine Schande ist zu lieben." Offenbar ist das eines der Motive, die sie in Madame de Merodes Bordell geführt haben. Wenn schon eine schändliche Person sein, scheint sie sich gedacht zu haben, dann richtig. Man kann das als einen Akt des Widerstands verstehen. Eine von den reichen Freiern verachtete Prostituierte, die zur Hure geworden ist, um der guten Gesellschaft ihre Verachtung zu zeigen - das ist typisch Robert Siodmak, der ein Zyniker war und zugleich ein sehr menschlicher, gegen jede Art von Ausgrenzung opponierender Regisseur.

Christmas Holiday

"Abigail, wenn du mich je geliebt hast ….", sagt Robert am Ende der ersten Rückblende. Und Abigail erwidert unter Tränen: "Ich werde dich immer lieben." An dieser Stelle bringt Siodmak uns vom Schlafzimmer des Ehepaars Manette zurück in die Gegenwart, zu Jackie und Lieutenant Mason, und er tut es mit einem Donnerschlag, weil das ein Film über die ganz großen Gefühle ist, für die sich die Ausdrucksmittel des Melodrams am besten eignen. Da sitzt nun also in einem Restaurant in New Orleans die Hure, die in einem Bordell am Rande der Stadt ein Leben in Sünde führt und den Mann, den sie einst geheiratet hat, immer lieben wird wie es der Liedtext von Irving Berlins "Always" verspricht: "I’ll be loving you, oh always/With a love that’s true always./When the things you’ve planned/Need a helping hand,/I will understand always." Ihre Geschichte erzählt sie in dieser Gewitternacht Charley Mason, dem seine Braut gerade mit einem "Always" den Laufpass gegeben hat, weil sie doch lieber einen Mann heiraten möchte, der sich nicht in den Sturm (den von den Nazis vom Zaum gebrochenen Zweiten Weltkrieg) begibt. Wer würde sich in dieser Situation noch zutrauen, das hohe Ross der bürgerlichen Moral zu besteigen und sich über die Hure Jackie Lamont zu erheben, die jetzt den Rest der Heiligen Nacht - in aller Unschuld - in Masons Hotelzimmer verbringen wird, weil so spät kein Bus mehr zum Bordell fährt (die Freier, die dort verkehren, haben ein Auto oder können sich ein Taxi leisten). Irgendwie steckt doch mehr von der Weihnachtsbotschaft in diesem Film, als man anfangs glaubt.

Christmas Holiday

Siodmak fand auch deshalb wenig Freunde unter den die Vorgaben der Filmindustrie brav nachbetenden Mainstream-Kritikern, weil er sich nicht besonders für die stromlinienförmigen, an Ursache-Wirkungs-Mustern orientierten und psychologisch erzählten Geschichten interessierte, die Hollywood am Fließband ausspuckte. Das heißt nicht, dass er nichts von Dramaturgie verstand oder sein Handwerk nicht beherrschte. Er erzählt nur anders als erwartet. In der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs war das Melodram ein Schauspiel (Drama) mit Gesang (griechisch melos = Lied, Sprachmelodie). Siodmak nimmt sich daran ein Beispiel, betont jedoch das Melo und also den Teil, der im Hollywood-Melodram oft zu kurz kommt. Fast alles, was für eine handelsübliche Form von Dramatik hätte sorgen können, lässt er weg. Den Mord an Teddy Jordan sehen wir so wenig wie Robert Manettes Verhaftung, eine Haussuchung endet mit einer Antiklimax (Abigail hat die von ihrer Schwiegermutter im Saum eines Vorhangs versteckte Beute des Raubmords längst entdeckt und verbrannt, als die Polizei kommt), es werden keine Beweise beigebracht, niemand sagt als Zeuge aus, der Prozess wird auf die Urteilsverkündung reduziert und die Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft auf einen lapidaren Satz im Off.

Christmas Holiday

Die bewährten Versatzstücke des Kriminal- und Gerichtsfilms sind für Siodmak (und seinen Drehbuchautor Mankiewicz) nur da, um ignoriert zu werden. Stattdessen organisiert er Christmas Holiday rund um die Musik. Abigail und Robert lernen sich bei einer konzertanten Aufführung von Tristan und Isolde kennen, jener Wagner-Oper, deren Protagonisten den Tod herbeisehnen, weil sie ihre verbotene Liebe nicht leben können. Das Symphonieorchester spielt den "Liebestod", dann lädt Robert Abigail zu einem Beethoven-Konzert ein, und nach Beethoven gehen sie in ein Tanzcafé, wo die Kapelle "Always" spielt. Das sei das erste Lied, das sie zusammen hören, meint Robert. Fortan wird es ihr Lied sein. Die beiden wollen tanzen, aber die Tische des Cafés sind über mehrere Etagen verteilt, und als das Paar die Tanzfläche erreicht hat ist das Lied vorbei.

Christmas Holiday

Einmal, gleich nach der Trauung und dem Hochzeitsmarsch, gibt es eine Szene häuslichen Glücks (ziemlich wenig für sechs Monate, die man sich glücklicher nicht denken kann, wie Jackie in der Rahmenhandlung behauptet). Mutter Manette sitzt mit ihrem Strickzeug im Lehnstuhl, Robert hat am Piano Platz genommen und spielt "Always", Abigail singt dazu. Sie tut das mit viel Schmelz in der Stimme und so, wie man es von einem Durbin-Film erwarten durfte, als die Welt noch in Ordnung war. Das hält genau ein Lied lang vor, und auch das nur, wenn man nicht zu genau auf Roberts Mutter achtet. Deren Miene schwankt zwischen Besorgnis und Erleichterung, als sie ihren Sohn beobachtet, der den Abend beim Musizieren mit seiner jungen Frau verbringt, statt sich mit anderen Männern herumzutreiben, zum Rennen zu gehen - oder Schlimmeres. In der nächsten Szene versteckt sie das Geld, das ihr unter Mordverdacht festgenommener Sohn Teddy Jordan abgenommen hat. Statt des warmen Kerzenlichts beim Musizieren dominieren wieder die dunklen Schatten.

Christmas Holiday

Alles dreht sich

Der Weg über die Treppen des Cafés nach unten auf die Tanzfläche ist auch ein metaphorischer. Beim Abstieg gesteht Robert, dass er ein kleiner Büroangestellter ist, der soeben seinen Job verloren hat. Dann erzählt er Abigail, dass er der verarmte Spross einer einst reichen und einflussreichen Familie ist. Die Manettes haben schon eine bedeutende Rolle in Louisiana gespielt und hohe Ämter bekleidet, als es die Vereinigten Staaten von Amerika noch gar nicht gab. Robert trägt schwer an der Last der Vergangenheit und an dem Gefühl, dass auch von ihm große Taten erwartet werden, er dazu aber nicht in der Lage ist. Da wissen wir schon, dass der Name Manette bald wieder in der Zeitung stehen wird - nur nicht, weil die Familie eine Bibliothek gegründet hat oder ein Park nach einem Manette benannt wird wie in früheren Generationen, sondern weil der letzte Spross ein Mörder ist. Bevor es jedoch zu psychologisch wird spielt die Kapelle die nächste Nummer und Robert führt seine Auserwählte zurück auf die Tanzfläche.

Christmas Holiday

Das kann (und soll) den Zuschauer an eine frühere Szene erinnern, in der die Dame den Herrn zum Tanz auffordert und nicht umgekehrt wie im Café. Wir sind in der Maison Lafitte, dem vorgeblichen Nachtclub. Jackie und Lieutenant Mason stehen von ihrem Tisch auf, tanzen ein paar Schritte, bis der Soldat der Hure auf die Füße tritt (Gene Kelly wäre das nie passiert) und gehen anschließend zurück zu ihrem Tisch. Das ist total banal und doch spektakulär, weil Woody Bredells Kamera den beiden folgt und eine Kreisbewegung ausführt, in deren Verlauf wir im schummrigen Licht das Innere des Bordells sehen. Wer Zweifel hat, dass die Maison Lafitte eines ist beachte die Treppe, die nach oben zu den Zimmern führt. Siodmak hat uns zuvor schon Leute gezeigt, die auf der Treppe nach oben steigen, und auch den Ober, der mit den überteuerten Getränken hinterher geht. Das Bordell am Stadtrand ist der finstere Doppelgänger des Cafés im Zentrum, so wie Jackie die Doppelgängerin von Abigail ist und Robert, der Mann mit den zwei Persönlichkeiten, der Doppelgänger von Charley Mason, dem potentiellen Mörder Monas.

Christmas Holiday

Die Kreisbewegung von Bredells Kamera beschreibt sehr gut die Struktur des Films, in dem sich alles um die Musik dreht, die die Figuren hören und um die Lieder, die sie singen. "Über Nacht wurde alles anders", sagt Abigail alias Jackie einmal. Christmas Holiday funktioniert wie ein Spiegelkabinett und auch nach dem Prinzip der Drehbühne, auf der eine kurze Drehbewegung genügt, um Szenenbild und Stimmung zu verändern. Dreht man schnell genug, verwischen dabei die Übergänge und der Zuschauer weiß am Ende nicht mehr genau, wo er sich befindet, im Bordell oder im gut bürgerlichen Tanzcafé, bei Wagner oder Irving Berlin, im Schlafzimmer der Eheleute, in dem Robert Abigail in der Hochzeitsnacht entjungfert hat oder in der Küche, in der die Mutter das Blut des Ermordeten von der Hose ihres Sohnes wäscht. Zwischendurch bleibt noch Zeit für die Bordellchefin, die Frohe Weihnachten wünscht und Karten für die Christmette verteilt. Christmas Holiday ist fürwahr eine Tour de force, obwohl (oder weil) auf Actionszenen und vordergründige Effekthascherei verzichtet wird.

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