Christmette und Liebestod

Seite 5: Nicht ohne meine Mutter

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Und wo, wird der versierte Krimileser fragen, bleibt das Motiv? Warum hat Robert den schwulen Buchmacher Teddy Jordan umgebracht? Das Geld ist höchstens vorgeschoben. Robert nimmt es Teddy in der Mordnacht ab, seine Mutter versteckt es im Vorhangsaum, Abigail verbrennt es, dann ist es weg und keiner braucht es, um Robert den Mord nachzuweisen. Das Geld ist ein Zugeständnis an die Krimikonvention und wird nicht weiter ernst genommen. In der Romanvorlage gibt es unterschiedliche Spekulationen über das Mordmotiv. Maugham interessiert sich besonders für die Idee, dass Robert ein Soziopath ist, der sich erst kleinerer Gaunereien schuldig macht, dann schwerere Verbrechen begeht und schließlich so sehr von dem Gedanken besessen ist, nun auch noch einen Menschen töten zu müssen, dass er wie unter Zwang zum Mörder wird. Ob diese einmalige Erfahrung genügen oder ob er weiter morden würde bleibt offen, weil er bald nach der Tat gefasst wird.

Gene Kelly ist sehr gut als grinsender Soziopath mit Broadway-Charme, und weil der Film keine Angst vor heiligen Kühen hat, wird auch die Mutterliebe arg zerrupft. Vor der Szene in der Schwulenkneipe stellt Robert Abigail seiner Mutter vor (ein Vater existiert nicht). Nach Meinung eines Psychoanalytikers, sagt Jackie im Off, als sie (als Abigail) und Robert zu dem Haus gehen, das vom einstigen Reichtum der Manettes noch übrig ist, sei Roberts Beziehung zu seiner Mutter pathologisch. Ist also die Mutter schuld wie in Leo McCareys My Son John, wo der Sohn wegen seiner Mutter (und deren sexueller Verfügbarkeit) zum Kommunisten wird oder in Psycho, wo - wenn wir dem Psychiater glauben wollen - nicht Norman Bates gemordet hat sondern seine Mutter? Ganz so einfach ist es weder bei Hitchcock noch bei Siodmak, dessen Inszenierung die schlichte Botschaft unterläuft, sobald sie ausgesprochen wurde.

Christmas Holiday

Robert führt Abigail ins Haus und geht mit ihr auf einen Spiegel zu. Man würde nun erwarten, dass Abigail noch rasch die Frisur in Ordnung bringt, bevor sie ihrer künftigen Schwiegermutter gegenübertritt. Stattdessen schwenkt die Kamera in einer ununterbrochenen, die beiden Frauen verbindenden Bewegung nach rechts und zeigt Mrs. Manette, die in einem Türrahmen steht, als wäre sie das älter gewordene Spiegelbild der Jüngeren. Das lässt nichts Gutes ahnen, zumal Mrs. Manette von Gale Sondergaard gespielt wird, die Sherlock Holmes kurz davor - als "weiblicher Moriarty" in The Spider Woman - sehr zugesetzt hatte. Als die beiden Frauen sich die Hand geben steht Robert genau dazwischen. Zwischen der Braut und der Schwiegermutter, denkt man, wird nun ein Gezerre um den Mann in der Mitte einsetzen, aber dann zieht Mrs. Manette Abigail auf ihre Seite und schickt ihren Sohn aus dem Zimmer. Als er wieder herein darf stehen ihm die Frauen gegenüber, als wären sie das Paar. Es gibt Zweiereinstellungen mit Abigail und Mrs. Manette, in denen das Gesicht der einen im Licht und das der anderen im Schatten ist. Erst in der Kombination wird eine ganze Person daraus.

Christmas Holiday

Die amerikanische Gesellschaft wird in Christmas Holiday zur dysfunktionalen Familie, symbolisiert durch die Manettes. Unter dem Druck der Ereignisse zeigt die Fassade der Harmonie und bürgerlichen Wohlanständigkeit zunehmend Risse. Dahinter wird ein Geflecht aus Lügen, Vertuschung, Selbstbetrug und Realitätsverlust sichtbar. Hier kommt wieder die Erzählstruktur zum Tragen, das Zusammenspiel von Rahmenhandlung und Binnenhandlung deckt innere Widersprüche auf. Vielleicht wäre alles anders gekommen, sagt Jackie zu Lieutenant Mason, wenn Mrs. Manette ihr bei der ersten Begegnung ehrlich gesagt hätte, was sie über ihren Sohn wusste. Aber ist die Abigail der Rückblenden wirklich so ahnungslos, wie die Jackie der Rahmenhandlung ihr attestiert? Vor dem Mordprozess kommt es zur Konfrontation zwischen Mutter und Schwiegertochter. Mrs. Manette wirft Abigail vor, dass sie vorsätzlich die Augen vor Roberts wahrer Natur verschlossen habe, statt anzuerkennen, was das für ein Mann ist, den sie geheiratet hat, weil sie nur so ihren Traum von Eheglück leben konnte. Durch das Festhalten an ihren Blütenträumen habe sie sich der Möglichkeit beraubt, Einfluss auf Robert zu nehmen und vielleicht zu verhindern, dass er zum Mörder wird.

Was stimmt nun? Die Version von Jackie/Abigail oder die von Mrs. Manette? Der Film verweigert eine eindeutige Antwort. So wird man immer wieder auf die von keinem bestrittene und von keinem überzeugend erklärte Tatsache zurückgeworfen, dass der Mann, der aussieht wie Gene Kelly, spricht wie Gene Kelly und grinst wie Gene Kelly, ein Mörder ist. Eine der gruseligsten Szenen gibt es am Morgen nach der Mordnacht. Die beiden Frauen haben soeben die Blutflecken an der Hose entdeckt, und dann kommt Robert mit leichten Schritten zum Frühstück in die Küche, als würde er gleich lostanzen, um der ganzen Welt von seinem Glück zu singen. Das ist verstörend.

Christmas Holiday

Nach dem Schuldspruch der Geschworenen verlassen die beiden Frauen nebeneinander den Gerichtssaal. Mrs. Manette weiß da noch nicht, dass das Todesurteil gegen ihren Sohn in eine Gefängnisstrafe umgewandelt werden wird. In der Eingangshalle des Gerichtsgebäudes wirft sie Abigail vor, Robert durch Wegschauen getötet zu haben ("You killed him!"). Damit schließt sie an ihre früheren Vorwürfe an, dass Abigail nicht blind gegenüber dem Mörder in ihrem Ehemann gewesen sei, weil sie blind sein musste, sondern weil sie es so wollte. Dann gibt sie ihr eine Ohrfeige. 1944 hatte das eine Resonanz, die weit über das dunkle Geheimnis einer Familie in New Orleans hinausreichte. Von der Abigail der Rückblende wird auf die Jackie der Rahmenhandlung überblendet, die sich die Wange reibt, als sei der Schlag ins Gesicht immer noch zu spüren. Sie ist am Ende der Geschichte angekommen, die sie Charley Mason erzählen wollte. Es ist der Morgen des Weihnachtstages, und der Lieutenant wird jetzt dann wieder die Uniform des Soldaten anziehen, die den größeren Bezugsrahmen symbolisiert.

Fiebertraum in Sumpflandschaft

In Maughams Roman wird Robert zur Verbannung in den Kolonien verurteilt. Der Reporter, Simon Fenimore, hat seine Frau im Verdacht, eine Hure geworden zu sein, um das Geld zu verdienen, das er für seine Flucht braucht. Im Film bricht Robert Manette ohne finanzielle Hilfe aus dem Gefängnis aus. Am Ende treffen sich alle im Etablissement von Madame de Merode, das die Polizei bereits observiert, weil sie damit rechnet, dass der entsprungene Mörder seine Frau aufsuchen wird. Nur die Mutter ist nicht dabei, weil sie als Haushälterin einer begüterten Familie in New York arbeitet, seit die Verteidigung ihres Sohnes den letzten Rest des Manette-Vermögens verschlungen hat. Vor dem finalen Showdown sagt Charley Mason der Chefin des Bordells, dass er in den letzten 24 Stunden viel über das Leben gelernt und herausgefunden hat, dass man sich selber gegenüber ehrlich sein müsse und nicht etwas tun dürfe, nur weil andere Leute es auch so machen würden. Darum werde er doch nicht nach San Francisco fliegen (um mit Mona abzurechnen, weil ein Mann tun muss, was er tun muss usw.), sondern zurück in die Kaserne.

Das könnte eine dieser lauwarmen Konfliktlösungen à la Hollywood werden, wenn da nicht die grimmige Ironie wäre, die Siodmaks beste Filme auszeichnet. Statt in San Francisco Mona umzubringen wird der Lieutenant Feinde in Europa töten. Das ist, wie schon erwähnt, kein Aufruf zum Pazifismus und soll nicht bedeuten, dass alle Soldaten Mörder sind oder etwas in der Art. Der Emigrant Robert Siodmak hatte nichts dagegen einzuwenden, dass amerikanische Soldaten Nazis umbrachten und dabei vielleicht diejenigen seiner jüdischen Verwandten retteten, die noch nicht deportiert und ermordet worden waren. Aber Krieg führen, auch gegen ein Regime wie das des Dritten Reichs, heißt Menschen töten. Wenn man sich selbst gegenüber ehrlich ist, gehört diese Erkenntnis mit dazu.

Christmas Holiday

Inzwischen hat die Combo des Bordells "Always" angestimmt, und Deanna Durbin singt eine Version des Liedes, die so bluesig ist, dass sie die einleitenden Strophen getrost weglassen kann: "Everything went wrong,/And the whole day long/I’d feel so blue./For the longest while/I’d forget to smile,/Then I met you." Der Mann, der damit gemeint ist, beobachtet den Auftritt von seinem Versteck in einem Nebenzimmer aus. Als Abigail ihm dort begegnet vergeht ihr schnell das wiedergefundene Lächeln, weil Robert von Lieutenant Mason die Rolle des düpierten Liebhabers übernommen hat, der sich an der Frau rächen will, die ihn betrogen hat. Damit wird nicht nur eine dieser beunruhigenden Verbindungen zwischen dem Offizier und dem Mörder hergestellt, Siodmak beseitigt auch letzte Überbleibsel der von der Zensur erzwungenen Fiktion vom "Nachtclub". Robert will Abigail nicht dafür bestrafen, dass sie allabendlich ein Lied singt, sondern weil sie als Jackie Lamont für Geld mit anderen Männern schläft.

Christmas Holiday

Bredell hat das Licht so eingerichtet, als sei Abigail im Strahl eines Suchscheinwerfers gefangen, oder im Schein der Lampe beim Verhör durch die Polizei, und in dieser Lage gibt sie nun eine Erklärung für ihr Prostituiertendasein ab, das wieder hemmungslos melodramatisch ist und auf eine verquere Weise christlich. Kurz gefasst: Abigail hat erkannt, dass Mrs. Manette recht hatte. Auch sie ist verantwortlich für das, was geschehen ist. Der Schuldspruch der Geschworenen galt ebenso ihr wie Robert. Nach dem Prozess wollte sie sterben, doch als das Todesurteil in lebenslange Haft umgewandelt wurde beschloss sie, Buße zu tun und sich wie Robert in einen Kerker zu begeben (das Bordell) und dort so zu leiden wie ihr Liebster im Gefängnis. Anders formuliert: In ihrer Existenz als Jackie lässt sie sich jede Nacht vergewaltigen, weil sie in ihrem früheren Leben als Abigail gefehlt hat. Das ist die Sühne, die sich diese Sünderin auferlegt hat. Wahrscheinlich haben Mankiewicz und Siodmak diese schwarzromantische, ungebremst auf den Abgrund zusteuernde Geschichte in New Orleans angesiedelt, weil die Stadt (auch als Konstrukt aus Studiokulissen) jene Atmosphäre aus Südstaaten-Dekadenz, Katholizismus, Jazz und etwas Voodoo mitbringt, die ein Fiebertraum wie dieser braucht.

Christmas Holiday

Ein Hollywoodfilm des Jahres 1944 konnte nur mit dem Tod des Mörders enden. Das verlangte der Production Code. Konsequent wäre es gewesen, das Liebespaar gemeinsam sterben zu lassen. Robert, jetzt ganz der eifersüchtige Ehemann, zieht den Revolver und beschuldigt Abigail, ihr Leben im Bordell zu genießen, aber dann kommt doch noch ein Polizist und schießt ihn nieder. Man traut zwar seinen Augen kaum, wenn man sieht, was Siodmak hier alles an den Produzenten und Zensoren vorbeilotste, aber am Ende dieser wüsten Weihnachtsgeschichte auch noch Deanna Durbin umzubringen, das wäre doch zuviel gewesen. Also haucht der sterbende Robert zu süßlicher Musik ein "Du kannst jetzt loslassen, Abigail", und Lieutenant Mason wiederholt es gern für sie: "Du kannst jetzt loslassen, Abigail."

Christmas Holiday

Abigail hat prompt ihr Erweckungserlebnis, lässt los und richtet den Blick zum Himmel, wo sich die Gewitterwolken teilen und die Sicht auf die Sterne freigeben, bevor "The End" eingeblendet wird. Wer unbedingt möchte kann das so interpretieren, dass Abigail jetzt frei ist und ein neues Leben beginnen kann, sollte aber beachten, dass am Schluss nicht die Engel singen. Die Musik, die zu den letzten Einstellungen anschwillt, ist aus Richard Wagners Tristan und Isolde. Die Geschichte von Abigail Martin und Robert Manette beginnt mit dem Liebestod, und sie endet mit dem Liebestod, auch wenn die Regeln Hollywoods und des Kommerzes andere Bilder verlangen. Die Tonspur sagt, wie es wirklich ist. Eros und Thanatos gehen in Christmas Holiday eine unauflösliche Verbindung ein. So wird die Musik von Hitlers Lieblingskomponisten zum Instrument der Subversion. Robert Siodmak hätte es nicht anders haben wollen.

Ausblick

Als Siodmak die Regie von Christmas Holiday übertragen wurde und er zur Vorbereitung den Roman von William Somerset Maugham las, muss das ein seltsames Déjà-vu-Erlebnis für ihn gewesen sein. Das Buch ist vom Fall eines deutschen Serienmörders inspiriert, der in Frankreich zum Tode verurteilt und enthauptet wurde. Siodmak selbst hatte die wesentlichen Elemente dieser Affäre, die Ende der 1930er Jahre durch die internationale Presse ging, bereits in Pièges (seine letzte französische Produktion vor der Weiterreise in die USA) und in Phantom Lady (sein erster Film noir in Hollywood) verarbeitet. Mit Christmas Holiday drehte er also bereits den dritten Film, mit dem er sich dem damals sensationellen Kriminalfall annäherte. Es hätten noch mehr werden können, weil sich die durch die Affäre aufgeworfenen Fragen auch in einem viel größeren Rahmen von Krieg, NS-Verbrechen und Holocaust stellen ließen. Der deutsche Serienkiller wurde nicht so sehr durch die von ihm gestandenen Morde zum Faszinosum, sondern dadurch, dass dieser Täter einer allgemein als bedrohlich und brutalisierend empfundenen Atmosphäre ein Gesicht zu geben schien. Besonders beunruhigend war das deshalb, weil der Mörder ein charmanter Mensch war, der Goethe, Schiller und die Musik von Richard Wagner liebte und aussah wie der ideale Schwiegersohn.

An gleicher Stelle mehr über Pièges, Phantom Lady und den unheimlichen Serienmörder, der nicht nur durch diese Filme spukt.

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