Christmette und Liebestod
Seite 2: Dunkle Wolken am Horizont
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Christmas Holiday beginnt mit einer Ankündigung des nahenden Todes. Charley Mason, ein frischgebackener Lieutenant der US Army (Dean Harens in seiner ersten Filmrolle), ist einer von vielen jungen Männern, die bei einer feierlichen Zeremonie ihr Offizierspatent erhalten. Ein Vorgesetzter sagt etwas vom größten Moment im Leben dieser Männer, spricht aber auch davon, dass viele von ihnen dem Vaterland dienen werden, indem sie leben und andere, indem sie sterben, bevor die Kapelle einen Militärmarsch anstimmt und für die angemessene patriotische Atmosphäre sorgt. Nach dem Weihnachtsurlaub wird man die jungen Offiziere nach Übersee bringen, wo der Zweite Weltkrieg tobt. Lieutenant Mason hat noch Zeit, über Weihnachten heim nach San Francisco zu fliegen, wo er seine Verlobte Mona heiraten will. Dann kommt ein Telegramm, in dem ihm die Verlobte mitteilt, dass sie soeben Frank geheiratet hat und dass Charley ihr viel Glück wünschen soll, so wie sie das umgekehrt auch für ihn tun will. Gezeichnet: "Always. Mona."
Dieses Telegramm ist der blanke Hohn und ein typischer Siodmak-Moment. Der im Vorspann bereits angespielte Song "Always", den Irving Berlin als Hochzeitsgeschenk für seine Frau schrieb, wird sich durch den gesamten Film ziehen. "Days may not be fair always/That’s when I’ll be there always", heißt es im Liedtext. "Not for just an hour/Not for just a day/Not for just a year/But always." Mona macht genau das Gegenteil von dem, was da versprochen wird. Statt immer für den Mann da zu sein, der nun in den Krieg ziehen wird, heiratet sie Frank, der vermutlich zuhause bleibt. Wie üblich hat Siodmak eine gewisse Erwartungshaltung des Publikums mit eingeplant, um diese zu unterlaufen. "Always" war populär wie nie zuvor, seit man das Lied als Titelmelodie des amerikanischen Heldenepos Pride of the Yankees gehört hatte (Gary Cooper brilliert als die früh verstorbene Baseballlegende Lou Gehrig), einem Kassenschlager der Saison 1943/44, mit dem sich der Regisseur Sam Wood als Superpatriot und Verfechter der amerikanischen Werte positionierte (um nach Kriegsende zur Jagd auf Linke, Roosevelt-Anhänger, premature anti-fascists und Leute mit ausländischem Akzent zu blasen).
In Christmas Holiday begleitet "Always" eine Geschichte rund um Mord, Prostitution, Inzest und Homosexualität. Das war ein Affront. In Hollywood würde nun bald eine Welle der Heiterkeit und der erbaulichen Selbstgefälligkeit den Patriotismus der Kriegsjahre ablösen, doch es würde auch Films noirs wie The Blue Dahlia (1946) geben, in dem sich einige Veteranen die Frage stellen, ob es das Amerika, das sie bei ihrer Heimkehr vorfinden, überhaupt wert war, dafür zu kämpfen (und zu töten). Einer von ihnen gerät unter Verdacht, seine Frau ermordet zu haben, die ihn mit anderen Männern betrogen hat, als er im Krieg war. Der wahre Mörder ist aber einer von seinen Freunden, ein Veteran mit Kriegsverwundung und posttraumatischer Belastungsstörung. Zumindest hatte Raymond Chandler das so vorgesehen, der das Drehbuch schrieb. Auf Druck des Kriegsministeriums wurde der Schluss geändert. Ein Soldat, der für sein Land Leute umgebracht hatte, durfte im zivilen Leben kein Mörder sein. Zwischen Krieg und Frieden sollte strikt getrennt werden, auch wenn das Personal mitunter dasselbe war.
Angesichts solcher Pressionen kriegt man eine Ahnung davon, wie gewagt es war, aus dem angehenden Immobilienverwalter in Maughams Roman einen Offizier der US-Armee zu machen, der zwei Tage vor seiner geplanten Hochzeit erfährt, dass seine Braut einen anderen geheiratet hat und der nun beschließt, trotzdem nach San Francisco zu fliegen, nur eben nicht mehr als Bräutigam, sondern als potentieller Mörder. Mona und Frank, sagt Lieutenant Mason zu einem Freund, wird er so leicht nicht davonkommen lassen. Was wird er also tun, wenn er in San Francisco ist? Mason wirkt wie fremdbestimmt und wie einer, der zu viele schlechte Filme gesehen hat, an denen er sich orientiert. Nach den Gesetzmäßigkeiten solcher Filmplots wird Mona bald eine Leiche sein. Mason steigt mit Mordgedanken in das Flugzeug, um eine Reise anzutreten, an deren Ende er womöglich einen Menschen töten wird, und zwar am Vorabend einer noch größeren Reise, an deren Ende er auch Menschen töten wird, nur dieses Mal in soldatischer Pflichterfüllung. Das heißt nicht, dass Siodmak ein Pazifist war und den Krieg prinzipiell verurteilte, selbst den gegen das Hitlerregime. Er war nur nicht bereit, aus Gründen der Opportunität darüber hinwegzusehen, dass im Krieg genauso Menschen getötet werden wie bei einem Mord aus Eifersucht oder verletzter Ehre. Darum beginnt der Film mit Lieutenant Mason, der die Kritiker irritierte, weil er einer dieser Siodmak-Protagonisten ist, die als zentrale Figur eingeführt und dann an den Rand geschoben werden. Extrem wichtig ist er trotzdem, weil er in seiner Militäruniform den Bezugsrahmen für die Geschichte setzt.
Auf dem Weg von North Carolina nach San Francisco fliegt die Passagiermaschine in ein Gewitter. Lieutenant Mason wird nie nach San Francisco kommen und deshalb auch Mona nicht ermorden, weil der Flugkapitän zur Landung in New Orleans gezwungen ist. Man kann das, wenn man möchte, als göttliche Intervention verstehen (immerhin ist es die Heilige Nacht, in der ein guter Christ die Geburt des Erlösers feiern sollte, statt eine Frau umzubringen, die lieber mit einem anderen Kinder zeugen will), oder als die sich entladende Wut des Kriegsministers und des katholischen Oberzensors Joe Breen, des Chefs der PCA, die ohnehin nicht zugelassen hätten, dass sich die Geschichte in der bisher angedeuteten Richtung entwickelt. Metaphorisch ist es in jedem Fall. Flugzeug und Gewitter stehen bildhaft für eine in schwere Turbulenzen geratene Gesellschaft. Außerdem kündigen Blitz und Donner eine melodramatische Geschichte an, die wir - sagt Siodmak - als solche beurteilen sollten, statt eines der üblichen Durbin-Filmchen mit hohem Wohlfühlfaktor zu erwarten und uns hinterher darüber zu beklagen, dass Christmas Story keines ist.
Truppenbetreuung
Glücklich gelandet, werden die Passagiere in ein Hotel gebracht, das nach einer legendären Stadt an der Seidenstraße benannt ist, in der sich Orient und Okzident begegneten: Samarkand. In dieser Oase an der Karawanenstraße, sagt man, haben alle Geschichten ihren Ursprung. Eine davon wird Mason jetzt dann erzählt bekommen. Sie auf die Leinwand zu bringen war nicht ganz einfach. Der Produzent Walter Wanger hatte bereits 1939 versucht, die Genehmigung der PCA für eine Verfilmung von Maughams Roman zu erhalten. Das war damals kategorisch abgelehnt worden, wegen der "groben sexuellen Unregelmäßigkeiten" in der Vorlage. Im Februar 1943 reichte Felix Jackson ein Exposé ein, in dem der Ort der Handlung in die USA verlegt worden war. Die Prostituierte eines Pariser Bordells hatte sich in die Hostess einer USO-Kantine verwandelt, die einem traurigen Soldaten ihre noch traurigere Geschichte erzählt. USO ist das Kürzel für United Service Organizations, einen Zusammenschluss gemeinnütziger Organisationen wie der Heilsarmee, des Christlichen Vereins Junger Frauen oder des National Jewish Welfare Board zum Zwecke der Truppenbetreuung. Honoriger ging es kaum. Zur Hebung der Moral produzierten die großen Studios in den Kriegsjahren Filme wie Hollywood Canteen, in denen Stars die GIs mit Gesangsnummern und komischen Einlagen erfreuten und so ihre Solidarität demonstrierten, statt mit den Soldaten ins Bett zu gehen. Mit der USO-Betreuerin suggerierte Jackson den Zensoren, dass auch seine Version von Christmas Holiday moralisch hochstehende Unterhaltung bieten werde, zumal seine Verlobte mit an Bord war, die Garantin für familientaugliches Trallala.
Die PCA nickte das Projekt mit einigem Bauchgrimmen ab, und im März 1943 gab der Hollywood Reporter bekannt, dass die Universal die Rechte an Maughams Roman gekauft hatte. Im September folgte die Meldung, dass Deanna Durbin ihre Mitwirkung zugesagt habe und erstmals eine Rolle spielen werde, die nicht speziell für sie geschrieben worden sei. So heizte man die Erwartung an und besänftigte die Zensoren. Das war dringend nötig. Der Soldat war nach wie vor Soldat, doch aus der USO-Kantine war "a kind of a joint" geworden, wie es der Reporter Simon Fenimore einmal formuliert, und dieses Etablissement stand nicht in irgendeiner beliebigen Stadt, sondern im als Sündenpfuhl verrufenen New Orleans. Das Singing Sweetheart schien die Gewähr dafür zu bieten, dass es so schlimm nicht werden würde. Am 21. Oktober genehmigte die PCA das Drehbuch, warnte aber davor, dass das Publikum die Tischdamen im Nachtclub für Prostituierte halten könnte und bemängelte das exzessive Trinkverhalten des Reporters. Letzteres war ein klassisches Ablenkungsmanöver, mit dem gewiefte Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten die Zensoren austricksten. Fenimore, so das Kalkül, würde im Film ein bisschen weniger saufen als im Drehbuch, oder er würde es im Off tun, und dafür würde man mehr von dem zeigen dürfen, was man wirklich zeigen wollte. Der Alkoholismus war die Verhandlungsmasse.
Bevor der Soldat seiner "Tischdame" begegnen konnte, waren noch einige narrative Verrenkungen erforderlich. Besucht ein adretter amerikanischer Offizier, der bald sein Land gegen Nazis oder Japaner verteidigen wird, am 24. Dezember zum Vergnügen einen Nachtclub, und zu allem Überfluss noch einen, in dem viele junge Frauen auf Kundschaft warten, weshalb ein argwöhnischer Beobachter - wie von der PCA befürchtet - den Verdacht hegen könnte, dass das doch keine Tanzbar ist, sondern etwas noch viel Unmoralischeres? Selbstverständlich tut er das nicht. Wie bringt man ihn also in diesen Laden? Auch ohne Zensur ist es eine der schwierigsten Übungen beim Drehbuchschreiben, dafür zu sorgen, dass die Figuren zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Mankiewicz zog sich recht gut aus der Affäre.
Der Lieutenant würde brav im Hotel Samarkand bleiben, wenn ihn nicht Simon Fenimore (kein alter Schulfreund wie im Roman) überreden würde, ihn in ein Etablissement am Rande der Stadt namens Maison Lafitte zu begleiten. Jean Lafitte war - siehe Cecil B. DeMilles The Buccaneer (1938) - der Pirat, der Andrew Jackson im Unabhängigkeitskrieg half, New Orleans gegen die Briten zu verteidigen. Die Chefin des Clubs, Valerie de Merode, ist auch so etwas ähnliches wie eine Piratin und soll Lieutenant Mason wenigstens helfen, auf dem Landweg nach San Francisco zu kommen (wegen Weihnachten sind alle Züge ausgebucht), solange das Wetter für Flugzeuge zu schlecht bleibt. Madame de Merode kann kein alternatives Transportmittel besorgen, was einen nicht wirklich überrascht. Das war nur der von Mankiewicz erfundene Vorwand, um Mason in die Maison Lafitte zu bringen.
Im Roman geht Charley einfach mit Simon ins Bordell, weil Maugham der Production Code egal sein konnte. Im Film hat er für den Besuch einen Grund, der nichts mit Sex zu tun hat, oder nur indirekt. Daran ist auch zu erkennen, welch aberwitzige Paradoxien der Production Code enthielt. Lieutenant Mason will so schnell wie möglich nach San Franciso, um dort … nun ja, es der untreuen Mona heimzuzahlen und sie umzubringen oder wenigstens unter Mordverdacht zu geraten, weil Mona diese Ausgangssituation nach den Gesetzen der Hollywooddramaturgie nicht überleben würde. Die Ermordung der Braut wäre im Rahmen der von der Zensur vertretenen Moral erlaubt gewesen, wenn jemand dafür bestraft wird. Aber dass einer aus dem Grund in so ein Etablissement wie die Maison Lafitte geht, aus dem die Kunden es normalerweise machen, das war verboten. Wohlgemerkt: Nicht das Bordell an sich, die Ausbeutung der Frau und so weiter stand auf der Verbotsliste ganz oben, sondern der außereheliche Sex ohne Zeugungsabsicht. Joe Breen war nicht umsonst mit der katholischen Bischofskonferenz im Bunde.
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