Chronik eines angekündigten Krieges

Nach jahrelangen Militärhilfen sieht sich die kolumbianische Armee nun zur Offensive bereit. Ermutigungen kommen aus Washington, Warnungen hingegen von Menschenrechtsorganisationen aus dem In- und Ausland

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Jahrelangen Verhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC sind gescheitert. Nach der Wiederaufnahme der Gespräche mit der Organisation am 3. Januar dieses Jahres hat die kolumbianische Regierung unter dem konservativen Präsidenten Andrés Pastrana den Friedensprozess Mitte vergangener Woche einseitig aufgekündigt. Tagelange Vermittlungsversuche des Sondergesandten der Vereinten Nationen, James Lemoyne, blieben erfolglos.

Das Foto zeigt die FARC im Mai 2001 bei der Gründung der "Bolivarianischen Bewegung für ein neues Kolumbien" in San Vicente de Caguán

Am Samstag Abend erklärte der Pastrana endgültig ein 48-stündiges Ultimatum. Bis Montag Abend, 21.30 Uhr (Ortszeit) sollen die bis zu 20.000 Angehörige der größten Guerillaorganisation Lateinamerikas die entmilitarisierte Zone von der Größe der Schweiz geräumt haben. Das "Friedenslabor" war im November 1998 eingerichtet worden, der Rückzug der Armee hatte den Grundstein für die politische Lösung des seit 1964 andauernden bewaffneten Konflikt gelegt.

Andrés Pastrana berief sich in einer Ansprache an die Nation am Mittwoch Abend auf den Chefunterhändler Camilo Gómez und erklärte, die FARC hätten den Verhandlungstisch aus eigenem Willen verlassen und den Dialog damit aufgekündigt. Die Darstellung wurde nach einem Kommuniqué der FARC in der Nacht von Samstag auf Sonntag widerrufen. Fortan hieß es, die Position der FARC sei zu unnachgiebig gewesen. Die Zugeständnisse der Gruppe bezeichnete Pastrana als "nicht glaubwürdig". Die Forderung der FARC, die zunehmende Militärpräsenz um die Zone herum abzubauen ist nach Pastrana "nicht verhandelbar".

Unmittelbar nach dem Abbruch der Gespräche traf sich der Präsident mit dem Oberkommando der kolumbianischen Armee. Seit mehreren Monaten hatten die Generäle verstärkt Druck auf Pastrana ausgeübt und eine militärische Lösung im Krieg mit den FARC und dem Nationalen Befreiungsheer (ELN) gefordert.

Armee zum Krieg bereit

Schon Anfang August setzte sich die Armee gegen die Befürworter einer politischen Lösung durch und bekam freie Hand für eine Großoffensive gegen die FARC. Im Verlauf dieser "Operation 7. August" wurden in der Region Gauviare rund 1.500 Guerillakämpfer in Gefechte mit rund 3.000 Soldaten verwickelt. Nach dieser seit Jahren größten Militäroffensive, bei der erstmals auch "Black-Hawk"-Kampfhubschrauber der USA eingesetzt wurden, brach das Oberkommando der FARC die Gespräche mit der Regierung ab.

Präsident Andrés Pastrana erklärt Ultimatum

Unterstützt durch jahrelange Militärhilfe aus den USA und motiviert vom "Kampf gegen den Terrorismus", mit dem auch die kolumbianische Guerilla ins Visier Washingtons gerät, hat sich die Militärlobby nun endgültig durchgesetzt (Kolumbien gleich Afghanistan?). Bestens gerüstet ist sie: Neben über einer Milliarde Dollar, die Washington für den sogenannten Kolumbienplan zur Verfügung gestellt hat, wurde der Armee in den vergangenen Wochen auch Kriegsgerät zugesagt. Nach Angaben von General Jorge Mora Rangel ist die kolumbianische Armee "zum Krieg gegen die Guerilla bereit". Laut Mora ist die Zahl der Soldaten seit 1998 von 60000 auf 110000 erhöht worden. Ende dieses Jahres werden 140000 Mann in Waffen stehen, sie verfügen über 172 Transport- und Kampfhubschrauber.

Zu der materiellen und finanziellen Unterstützung aus den USA wurde die kolumbianische Armee mit Hilfe Washingtons in den vergangenen Jahren komplett umgerüstet. Kleinere und flexiblere Einheiten sollen effektiver gegen die FARC-Guerilla vorgehen. Die versteht sich zwar als klassische Armee, die militärische Strategie basiert aber auf kleinen, in der Regel voneinander unabhängigen Einheiten. Neben Kampfhubschraubern setzt die Armee deswegen auch auf Flugzeuge mit Infrarot-Scannern und Radarsensoren, um Bewegungen am Boden zu verfolgen.

In den vergangenen Jahren haben die beiden großen Guerillagruppen Kolumbiens, FARC und "Nationales Befreiungsheer" (ELN) massiven Zulauf, nach Darstellung der CIA auch aus Nachbarländern erhalten. Die Anstrengungen des Oberkommandos der FARC, sich neue Taktiken anzueignen, führte zu militärischen Erfolgen. In August wurden von kolumbianischen Sicherheitskräften drei Mitglieder der IRA festgenommen, die FARC-Einheiten trainiert haben sollen (Pastranas Krieg). Der Gruppe wurde immer wieder vorgeworfen, die unter ihrer Verwaltung stehende Zone zu nutzen, um von dort aus Attacken zu lancieren.

Überraschend kommt der Schritt von Pastrana trotzdem, denn eine Krise wurde dem Friedensprozess erst für Ende Mai vorausgesagt. Dann steht in Kolumbien die Präsidentschaftswahl an. Die Kandidaten der beiden größten Parteien begrüßten die Entscheidung Pastranas. Der Präsidentenanwärter der konservativen Partei, Álvaro Uribe, erklärte den Abbruch der Friedensverhandlungen als "notwendig, um die Menschen in dem Gebiet zu schützen". Horacio Serpa, der aussichtsreiche Kandidat der liberalen Partei, kündigte an, er werde "weiter für Kolumbien kämpfen". Diese Drohung ist wohl wörtlich zu nehmen.

Nach Einschätzung von David Shultter von der Universität von Miami kann Bogotá auf "die volle Unterstützung im Kampf gegen die FARC rechnen, die auch auf der Terroristenliste Washingtons steht". Allerdings erwarte die US-Regierung schnelle Ergebnisse, Präsident Pastrana stehe, so Shultter, unter einem enormen Druck. Analisten von "Center for International Policy" (CIP) gehen inzwischen von einer stärkeren Gewichtung des heftig diskutierten Kolumbienplans aus.

Guerilla auf Vorrücken der Armee vorbereitet

Als "Resultat eines langfristigen Plans zur Eskalation des Krieges" wurde der Abbruch der Gespräche von den FARC bezeichnet. "Keiner der zwölf Punkte der gemeinsamen Agenda wurde erfüllt, und konkrete Gespräche darüber wurden vermieden", sagte ein Kommandeur der Gruppe am Donnerstag. Die Schuld für das Scheitern der Gespräche sei demnach allein bei der Regierung zu suchen, ihr Unterhändler Camilo Gómez habe die Nation belogen, als er die FARC für den Abbruch verantwortlich erklärte.

Tatsächlich liefen die Forderungen beider Seiten zunehmend auseinander. Während die Regierung auf eine rasche Beendigung des Krieges setzte, bestehen die FARC auf soziale und politische Reformen in dem südamerikanischen Land. Die gegen die starken wirtschaftlichen Interessengruppen durchzusetzen, wäre aber auch für eine friedenswillige Regierung kaum möglich. Das Beispiel des mittelamerikanischen Guatemalas lässt die Chancen für eine solche Verhandlungslösung in einem schlechten Licht erscheinen. Die dort aktive Nationale Revolutionäre Einheit (URNG hatte vor fünf Jahren ein umfassendes Friedensabkommen unterschrieben und die Waffen abgegeben. Heute wird das Abkommen selbst in UN-Kreisen als in fast allen Punkten gescheitert betrachtet. Die sozialen Reformen blieben aus, die politische Gewalt hingegen ist ungebrochen. Diese Erfahrungen beeinflussen auch die Verhandlungen in Kolumbien.

Mitglied paramilitärischer Verbände

Auch wenn die FARC nach eigenen Angaben weiter auf eine "Korrektur" der Regierungsentscheidung hofften, weisen die Zeichen in eine andere Richtung. BBC und CNN zumindest sagten am Wochenende Woche unisono "das blutigste Jahr im kolumbianischen Bürgerkrieg" voraus. Derweil hieß es bei den FARC, man werde vor der vermuteten Offensive der Armee in die Zone keinen Schritt weichen. Einzig aus der 15.000 Einwohner fassenden Kleinstadt San Vicente de Caguán würden sich die Guerillaeinheiten in die Berge zurückziehen. "Um die Zivilbevölkerung zu schützen", wie ein Militärausbilder der Gruppe erklärt.

Die Tageszeitung El Tiempo beruft sich auf Informationen aus Armeekreisen, nach denen die FARC die Grenzen der Zone vermint hätten, um ein eventuelles Vorrücken der Truppen aufzuhalten. Die Zeitung zitiert einen Angehörigen der Gruppe mit der Einschätzung, die FARC-Einheiten seien "zwanzig Kilometer hinter San Vicente in den Bergen" sicher.

Ganzes Land im Ausnahmezustand

Seit dem Abbruch der Friedensverhandlungen mit den FARC ist Kolumbien im Ausnahmezustand. Laut General Fernando Tapias, dem Oberkommandierenden der kolumbianischen Armee, sind bis zu 4.000 Soldaten um die Zone postiert. "Wir warten nur noch auf die Order von Präsident Pastrana, um die Offensive zu starten", erklärte Tapias am Sonntag. 4.500 Soldaten der "Schnellen Eingreiftruppe" operierten von der von Washington unterstützen Militärbasis Tres Esquinas aus. Diesen Truppen stehen 35 "Black-Hawk"-Kampfhubschrauber zur Verfügung, von denen zehn erst vergangene Woche aus den USA eingetroffen sind.

Black-Hawk

Die Aufforderung des UN-Sondergesandten Lemoyne, auf militärische Aktionen zunächst zu verzichten, wird in Kolumbien offensichtlich kein Gehör geschenkt. Nach Presseumfragen sind zwischen achtzig und neunzig Prozent der Befragten gegen eine Fortführung der Verhandlungen, weil niemand mehr in eine politische Lösung vertraut. Diese Umfrageergebnisse werden von Befürwortern einer militärischen Lösung immer wieder angeführt. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass sich die Presse in Kolumbien in der Hand einiger weniger Medienmogule befindet, die kaum Interesse an der Durchsetzung der von der Guerilla geforderten sozialen Reformen haben und regelrechte Kampagnen gegen eine politische Lösung durchführten.

Nicht nur in den Dörfern der entmilitarisierten Zone herrscht in diesen Tagen gespannte Ruhe, auch die Hauptstadt Bogotá steht quasi unter Militärbesetzung. Trotz der Ankündigung, sich aus den Städten zurückzuziehen, vermutet die Regierung auch dort Unterstützer der Guerilla. Besonders im Visier sind die Universitäten des Landes.

Soziale Gruppen und Menschenrechtsorganisationen zeigten sich von der Entwicklung besorgt. Die kolumbianische Armee steht unter ständigen Vorwurf, mit paramilitärischen Einheiten zusammenzuarbeiten. In der Vergangenheit wurde der Armee vorgeworfen, sich nach einer Offensive für einige Stunden zurückzuziehen, um in dem entstehenden Machtvakuum den paramilitärischen Gruppen freie Hand zu lassen. Im Visier stehen dabei vor allem Menschen, die der Zusammenarbeit mit der Guerilla verdächtigt werden. Das kann aber auch der Kleinhändler sein, der den Gruppen einige Säcke Bohnen verkauft hat. Die Nervosität in der nun allem Anschein nach nicht mehr lange entmilitarisierten Zone ist vor diesem Hintergrund verständlich.

Die FARC wollen am heutigen Montag die entmilitarisierte Zone in einem "öffentlichen Akt" übergeben und sich dann geschlossen in die Berge zurückziehen.